Heil Igendamm!

Die Parolen der NPD gegen die Globalisierung sind nicht allein Populismus. Sie sind ihre – völkische – Antwort auf die soziale Frage. von andreas speit

Am Informationsstand der NPD auf dem Wochenmarkt im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen stehen rund zehn Parteifreunde. Der Landtagsabgeordnete der Rechtsex­tremen in Mecklenburg-Vorpommern, Raimund Borrmann, plaudert mit Passanten. Keine 15 Minuten zu Fuß ist das »Sonnenblumenhaus« entfernt. Im August 1992 griffen mehrere Hundert Menschen unter dem Applaus von zeitweise 3 000 Schaulustigen die dortige »Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber« an.

Bei der NPD spricht man über den G 8-Gipfel. »Der Zaun – unglaublich!« und »In Heiligendamm, da treffen sich die Verbrecher«, so bestätigen sich Sympathisanten und Passanten gegenseitig. An jenen Samstag im April starten die NPD und die »freien Kameradschaften« ihre Kampagne »Gib8 – Sozial statt global«. Aufkleber mit diesem Slogan nehmen Jugendliche gerne mit. Ältere Herren am nahen Bratwurststand lesen das Flugblatt der NPD gegen den Abriss der Villa »Perlenkette« in Heiligendamm. »Stimmt doch, was die schreiben«, ereifert sich einer, und ein anderer klagt: »Wir zahlen die Zeche.«

Ob die Antiglobalisierungspolitik der NPD und der sie unterstützenden Kameraden Populismus oder Programm ist, macht hier keinen Unterschied. Es zählt allein: »Die sagen was gegen die da oben« und »Die haben uns nicht vergessen«. Nach einer Wahlanalyse von Infratest dimap für Mecklenburg-Vorpommern glauben elf Prozent der Befragten, dass die NPD sich »kümmert um die Menschen hier«, und 51 Prozent meinen, die Partei nenne die »Dinge wenigstens beim Namen«.

Kaum waren im September 2006 die sechs Abgeordneten um Udo Pastörs in den Landtag eingezogen, verkündeten sie, sich im Juni 2007 als »einzig authentische Anti-Globalisierungspartei« für Volk und Vaterland einsetzen zu wollen.

Die NPD sei die erste rechtsextreme Partei, die wegen der sozialen Krise eine »programmatisch-strategische Wende« eingeleitet habe, sagt der Parteienforscher Richard Stöss. Der Wandel setzte bereits mit der Wahl Udo Voigts zum Bundesvorsitzenden im Jahr 1996 ein. Auch Mitglieder des Bundesvorstands, die aus der Jugendorganisation »Junge Nationaldemokarten« (JN) kamen, begannen, soziale Fragen aufzugreifen, versuchten, sich in den Kommunen besser zu verankern und die Zusammenarbeit mit den »freien Kameraden« in der Partei voranzutreiben. In einem Interview mit der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit sagte Voigt 2004: »Im übrigen interessiert die Leute auf der Straße nicht der Holocaust, sondern die Alltagsprobleme, wie etwa Hartz IV (…) Die NPD ist bestrebt, die Menschen dort abzuholen, wo sie sich geistig befinden.«

Einst versuchten die Rechtsextremisten, mit einem vermeintlich bürgerlich christlich-konservativen Programm zu gefallen, heute bemühen sie sich um einen revolutionären Gestus und darum, mit einem »nationalen Sozialismus« gegen den »real existierenden Liberalismus der Globalisierung« anzukommen.

»Die sozialen Verwerfungen der Globalisierung werfen die Systemfrage auf«, schreibt Jürgen W. Gansel immer wieder in der Deutsche Stimme. In der Monatszeitung der NPD führte er im April verschiedene Studien an, nach denen – in seinen Worten – der »globalisierungsbedingte Sozialraub« und die »Entmündigung der Völker« für die Menschen einen »staatsautoritären Nationalismus« wieder interessanter erscheinen lasse, der »den liberalen Saustall (…) mit eiserner Forke« ausmisten werde.

Seit Jahren wiederholt das Mitglied des Bundesvorstands und der sächsischen Landtagsfraktion, dass »Hartz IV und Globalisierung, Verausländerung und EU-Fremdbestimmung (…) bitterböse Gegenwart« seien. »Insofern haben wir Nationalisten (…) die soziale Frage konsequent zu nationalisieren. Laden wir die soziale Frage weiterhin völkisch auf – ›Wir Deutsche oder die Fremden‹, ›Unser Deutschland oder das Ausland‹ – und untermauern wir den Schlachtruf ›Gegen Verausländerung, Europäische Union und Globalisierung‹ noch stärker programmatisch«, sagt Gansel weiter, der in der Szene als intellektueller Vordenker gilt.

Mit einem Rekurs auf den NS-freundlichen Staatsrechtler Carl Schmitt deutet er an anderer Stelle an, wie die Globalisierungskritik ganz selbstverständlich aus dem rechten Theoriekanon abgleitet wird. »Die Ethnisierung des Sozialen ist eine Aktualisierung und sozialpolitische Durchformung von Carl Schmitts Freund-Feind-Unterscheidung als Essenz der Politik.« Deshalb gibt es für ihn nur die »solidarische Wir-Gemeinschaft oder materialistische Ich-Gesellschaft«. Die alte Liberalismuskritik an der westlichen Welt erklingt neu.

Für den jungen Rechtsextremisten wird die Globalisierung im »Taschenkalender des Nationalen Widerstands 2006« einfacher umrissen: Sie sei die Bestrebung »des internationalen Kapitals, möglichst einheitliche, den Gewinn steigernde Rahmenbedingungen zur Heranschaffung von Arbeitskräften, Ausbeutung der Rohstoffe sowie zum monopolistischen Warenabsatz zu schaffen«, sie bewirke die »Zerstörung eigenständiger regionaler und nationaler Lebens- und Wirtschaftsformen«. Die »Globalisierung« habe die von den USA dominierte westliche Wertegemeinschaft »im Schlepptau«, die die »Souveränität der Völker in hohem Maße« gefährde. Globalisierungskritik ist insofern auch wieder Kulturkritik – ganz klassisch rechts gedacht.

In dem von Gansel verfassten Text »Argumente für Kandidaten & Funktionsträger« der NPD wird es noch konkreter. Bei der »Globalisierung« handele es sich »um das planetarische Ausgreifen der kapitalistischen Wirtschaftweise unter Führung des Großen Geldes. Diese hat, obwohl seinem Wesen nach jüdisch-nomadisch und ortlos, seinen politisch-militärischen bestimmten Standort vor allem an der Ostküste der USA«. Darauf greifen die »freien Kameradschaften« und die »Jungen Nationaldemokraten« in der Broschüre »Antikapitalismus … von ›Rechts‹« zurück.

Die Enteignung der Enteigner im Sinne von Karl Marx geistert nicht durch den Text. Stattdessen will man mit einem »nationalen Sozialismus« den Ausgleich von freier Markt- und Planwirtschaft erreichen. Ernst Kovahl schreibt im Rechten Rand, dass Gansel bereits in seiner Magisterarbeit von Oswald Speng­ler geschwärmt habe. Der hatte 1919 unter der Überschrift »Preußentum und Sozialismus« erklärt, das Individuum habe sich dem Kollektiv gänzlich unterzuordnen, getreu der Vorstellung eines gemeinschaftlichen Ethos. Das sieht Gansel nichts anders. Er meint, nach dem »Kriegsausbruch 1914« seien die Klassenunterschiede in den »Schützengräben« verschwunden und ein »volksgemeinschaftlicher Sozialismus« erfahrbar geworden.

Auf dem Infotisch in Rostock liegen Hör-CDs mit Reden des Fraktionsvorsitzenden Udo Pastörs aus dem Landtag. Da wird der Sozialneid kräftig geschürt: »Wer den G 8-Gipfel mitsamt Luxusessen und Ausstattung des Kempinski-Hotels mit Luxus-Daunen-Bettfüllungen und Spezial-Damast-­Wäsche bestellt, sollte diesen Unfug auch bezahlen!«

Auch einen Feind anderen benennt die NPD: die »gewaltbereiten Krawalltouristen«. Deren »aggressiver Aktionismus« könne nicht über den »inneren Zusammenhang zwischen linker Ideologie und Globalisierung« hinwegtäuschen, schreibt Thomas Drescher in der Deutschen Stimme. Da schlägt das völkische Konzept durch. Ihren Rassismus, Antisemitismus und Antiamerikanismus verbregen die Rechtsextremisten seltener. Hoffen sie doch, von den Ressentiments in der Mitte der Gesellschaft profitieren zu können.