Hype, Ernst und Action

Wer fährt nach Heiligendamm, wie lange und warum? In der Szene hat sich daniel steinmaier umgehört

Im Görlitzer Park ist es beinahe wie immer: Ein Haufen betrunkener Altrocker prügelt auf eine Westerngitarre ein, ein paar Rastafaris spielen Fußball, jemand macht Tai Chi, und Bülent grillt Lammfleisch. Davon, dass aus dem »Görli«, nein, sogar aus ganz Kreuzberg, ein »Convergence-Space« geworden ist, wusste er bis gerade eben noch nichts. Dass das etwas mit dem G8 zu tun hat, kann er sich aber denken. »Ist ja nicht so, dass ich gar nichts mitbekomme.«

Als jemand unter den Transparenten, die den Görli zum »Convergence-Space« erklären, mit dem Megaphon ausruft: »Es gibt noch Vokü«, lockt das Bülent nicht von seinem Grill weg, und auch die Altrocker schrammeln wie bewusstlos weiter. Das mit der »Convergence«, der »Annäherung«, scheint noch nicht hundertprozentig zu klappen, aber immerhin haben sich ein paar Gegner des Gipfels eingefunden. »Conver­gence-Center sind Zentren, wo sich Aktivisten untereinander koordinieren und der Bevölkerung annähern können«, erklärt Miriam. Der Offenheit halber habe man aber lieber einen »Convergence-Space« gegründet, der ganz Kreuzberg 36 umfasst.

Da man wohl dennoch einige konkretere Treffpunkte braucht, hat man unter anderem in der Köpi eine »offene« Anlaufstelle eingerichtet. »Das mit der Offenheit ist aber gerade nicht so einfach«, sagt Tom, der uns nach kurzem Zögern das Stahltor zum Hof des akut von einer Räumung bedrohten Gebäudes aufmacht. »Seit letzte Woche die Polizei unseren Wagenplatz angriff, ist der Eingang 24 Stunden bewacht.« Er selbst fährt deshalb nicht zum Gipfel. »Wir müssen auf unser Haus aufpassen.«

Im Hinterhaus eines Neuköllner Hausprojekts malen zwei Jungs ein großes rosa Transparent. Aber nicht gegen das Treffen der G 8, sondern mit der Aufschrift »Köpi bleibt« für den Karneval der Kulturen. Einer der beiden fährt zwar zum Gipfel, aber nur für einen Tag. »Länger können wir Prekären eben nicht frei machen«, erklärt er. »Ich hab’ so ein Pauschal­angebot genommen.« Mit einem IG-Metall-Bus, morgens hin, abends zurück. »Da ist im Bus sogar ein Anwalt dabei, und die passen auch aufs Gepäck auf.« Der andere dagegen hat keine Zeit, um mitzufahren. »Ich schau mir das einfach im Fernsehen an.«

Bert, Jule und Jonas aus Friedrichshain wollen sich nicht mit Fernsehberichten zufrieden geben. Und der G8-Gipfel ist ihnen auch wichtiger als die Köpi. »Eigentlich wäre die Poli­zeiaktion gegen den Köpi-Wagenplatz auf jeden Fall ein Grund gewesen, Randale zu machen«, meint Bert. »Aber jetzt kurz vor dem Gipfel einfahren und dann nicht nach Heiligendamm mitkönnen, das wäre echt saudoof.« Einen festen Platz in einem der Camps will seine »Bezugsgruppe« nicht einrichten. »Wir haben alles, was wir brau­chen, im Rucksack und sind so viel unkontrollierbarer.«

Auch im besetzten Seitenflügel des Bethanien ist ein »Info-Point« eingerichtet. Hier kann man auf fünf Seiten in allen möglichen Sprachen nachlesen, was man der Polizei keinesfalls erzählen sollte. Gerade aber informiert sich hier niemand. Selbst die beiden zurückhaltenden jungen Leute hinter der »Info-Theke« wollen nicht zum Gipfel. »Irgendjemand muss in Berlin bleiben, hier gibt es viel zu tun.« Angst, etwas zu verpassen, haben die beiden nicht. Sie sehen auch nicht aus, als wären sie auf Action scharf.

Alexander Penn und Abi Schlonski (Namen geändert) aus Israel, die wir im Inneren des Bethanien treffen, wir­ken nur auf den ersten Blick harmlos. »Wir haben Erfahrung im Umlegen von Zäunen«, sagen die beiden Angehö­rigen der Gruppe »Anarchists Against the Wall«. Zwischen der »Mauer in Palästina« und dem Zaun in Heiligendamm sehen sie auch einen direkten Zusammenhang. »In beiden Fällen geht es um Zäune, die die angeblich zivilisierte Welt von vermeintlichen Terroristen trennen.« Auch hänge die Globalisierung mit dem »Apartheidsystem in Israel« zusammen. Deshalb sind sie daran interessiert, den Nahost-Konflikt in Heiligendamm zum Thema zu machen.

»Auch die deutschen Aktivisten fahren nicht nur wegen dem Hype nach Heiligendamm«, meint Abi, »die sind doch immer sehr ernsthaft.« Wie überhaupt die Deutschen »alles immer sehr ernst nehmen«, er­gänzt Alexander. »Wenn wir in Israel eine Demo machen, dann schreien wir aus Spaß sexistische Parolen wie ›Se’arot ba ragla­yim bli chomot be yerushalayim‹ – was wohl ungefähr soviel bedeutet wie: ›Haarige Beine – keine Mauer in Jerusalem!‹« Weil Abi kein Freund allzu großer Ernsthaftigkeit ist, will er nach Reddelich ins Queer-Barrio. »Da sind die schönsten Leute.« Vor der Polizei haben die beiden keine Angst. »Ich habe mehr Angst vor der israe­lischen Polizei als vor der deutschen. Auch wenn das aus historischer Perspektive betrachtet etwas seltsam ist«, meint Abi.

Im Gegensatz zu den beiden Israelis hat Paul aus Berlin die Politik Israels immer gut­geheißen. Die Anti-Globalisierungsbewegung findet er fürchterlich. »Ich will mir den Gipfel aber trotzdem nicht entgehen lassen.« Schon dass er die Proteste in Genua verpasst hat, hat den 30jährigen »insgeheim ja immer geärgert«. Die Lederhandschuhe aus seiner Zeit bei der Antifa hat er mittlerweile gegen eine Digitalkamera eingetauscht. »Ein paar spektakuläre Bilder wären schon fein.«

Die 21jährige Ethnologiestudentin dagegen, die auf der Wiese vor dem Bethanien eine Erste-Hilfe-Broschüre der Roten Hilfe liest, ist sich nicht mehr so sicher, ob sie überhaupt fahren wird. Die in der Broschüre abgebildeten Kopfverletzungen und die detaillierte Beschreibung der Schlag­stöcke steigern nicht gerade ihre Lust. »Vielleicht fahre ich doch nur zum Gegengipfel«, überlegt sie laut. »Dass ist weniger riskant, mit Attac und denen von der Kirche.«

Kerstin dagegen will unbedingt ins Camp. Dummerweise ist die 39jährige aber gerade erst am Knie operiert worden. Dass »Bullen« bei einer Räumung über sie stolpern könnten, ist deshalb ihre größte Angst.

Eine andere »Bezugsgruppe« jenseits der 35 hat sich in zwei »Attac-Bungalows« eingeschlichen. Für 55 Euro pro Nacht. Kurzzeitig überlegt man, ob der Preis wirklich fürs ganze Häuschen gilt und nicht vielleicht pro Person gemeint sein könnte. Der schlimme Verdacht zer­streut sich zum Glück schnell. »­Frisbee-Scheiben und so nehmen wir aber schon mit.« Ein bisschen Urlaub muss auch sein.

Liest man den so genannten Kavala-Report – das Magazin für die in Hei­ligendamm eingesetzten Polizisten –, bekommt man den Eindruck, auch die Uniformierten hätten Badehosen dabei. »Direkt vor der tiefblauen Riesenbadewanne Ostsee liegt das Urlaubsland Mecklenburg-Vorpommern«, heißt es dort neben Fotos von Strandkörben. Die Dame bei der Presseauskunft der »Kavala« wird energisch: Die Polizisten, die zur Vorbereitung des Gipfels länger in der Gegend von Heiligendamm stationiert seien, könnten in ihrer Freizeit natürlich baden gehen. »Wir sind auch nur Menschen und können nicht 24 Stunden am Tag arbeiten.« Während der »heißen Phase«, während des Gipfels, seien »Badevergnügen aber sehr unrealistisch«.

Übernachtungen auf schlammigen Äckern müssen die Beamten nicht fürchten. Für ihre Unterkunft sind Hotels, Pensionen und Ferienanlagen, aber auch Bundeswehrkasernen reserviert. Wer wohin kommt, entscheide sich nach der Verwendung. »Für eine Hundertschaft ist eine kollektive Unterbringung ja durchaus sinnvoll. Ich persönlich sitze den ganzen Tag im Büro.«