Outlaws an Bord

In den Niederlanden werden Abschiebehäftlinge aufs Wasser ausgelagert. Die Dauer der Abschiebehaft hat sich in zehn Jahren verdoppelt. von tobias müller, amsterdam

Ein Boot ist zum Reisen da«, sagt Khalid* trotzig. Daran hält er fest, auch wenn seine Erfahrungen andere sind. Ein Boot, das hat er in Rotterdam gelernt, eignet sich nicht nur zur Fortbewegung, sondern auch dazu, jemanden einzusperren. In dem Land, das einst dem Wasser abgerungen wurde, werden Abschiebehäftlinge seit drei Jahren zurück aufs Wasser »ausgelagert«. In den Jahren 2004 und 2005 wurden die ersten beiden Gefängnisboote in einem Teil des Rotterdamer Hafens in Betrieb genommen. In diesem Sommer kommen drei neue in Dordrecht und Zaanstad dazu.

Aus den 200 Plätzen, die 1989 für Abschiebehäftlinge reserviert waren, sind mittlerweile rund 3 000 geworden – mehr als 1 800 davon zu Wasser. Diese Unterbringung ist für den Staat billiger als die in konventionellen Gefängnissen, die Boote sind schneller betriebsfertig und können zudem an verschiedenen Orten eingesetzt werden. Sicherheitsaspekte blieben bei dieser Kosten-Nutzen-Rechnung in den vergangenen Jahren oft auf der Strecke.

Nach der Brandkatastrophe im Abschiebegefängnis Schiphol, bei der 2005 elf Inhaftierte infolge grober Fahrlässigkeiten umkamen (Jungle World 44/06), wird in Justizeinrichtungen mehr auf entsprechende Mindeststandards geachtet. Da auch auf den beiden Rotterdamer Booten mehrfach gravierende Mängel festgestellt wurden, verweist das Justizministerium bei den drei neuen Exemplaren auf strengs­te Kontrollen und regelmäßige Katastrophenschutzübungen. Auch das vielfach kritisierte Fehlen von Freigang, Sport- und Freizeitmöglichkeiten soll der Vergangenheit angehören: »Jedes Zimmer ver­fügt über eigene Dusche, Toilette, Kühl­schrank und Fernseher. Daneben gibt es vier Freiluft- und Sportplätze, eine Bibliothek, einen Besuchssaal und einen Laden«, preist das Justizministerium die neuen Boote an.

Solche Korrekturen passen zum Image einer Regierung, die in der Öffentlichkeit für die endlich beschlossene Kampagne zur Legalisierung abgelehnter Flüchtlinge steht, die seit 2001 in den Niederlanden leben. De facto jedoch wird damit nur die Grenze zwischen legalen und illegalen Flüchtlingen verschoben. Dass einige durch einen Gnadenakt der Regierung nun die Seite wechseln dürfen, ändert nichts an der Politik der Illegalisierung, die auch die neue Mitte-Links-Regierung betreibt.

Wenig Beachtung findet beispielsweise der »Leistungsvertrag«, den die Polizei mit dem Innen- und dem Ausländerministerium der Vorgängerregierung für 2007 ausgehandelt hat. Darin ist vorgegeben, 40 000 Flüchtlinge, denen unterstellt wird, sich illegal im Land aufzuhalten, noch in diesem Jahr zu kontrollieren, 12 000 sollen inhaftiert werden. Bei Erfüllung der Quote wird es eine Gehaltszulage für die Polizisten geben.

Da Abschiebehaft nicht als strafrechtliche Maßnahme gilt, sind auch die Regelungen normaler Haftanstalten außer Kraft gesetzt. Auf den Booten gibt es keine Häftlingskommission, Beschwerdebriefe werden den Aussagen zahlreicher Häftlinge zufolge oft einfach weggeworfen, Schikanen seien an der Tagesordnung. Zur Legitimation dieser Entrechtung bedient man sich des rhetorischen Konstrukts der »kriminellen Illegalen«. Der Bootshäftling wird damit zum zweifachen Outlaw.

Die Politik gegenüber diesen Ausgegrenzten ist indes eher symbolisch. Untersuchungen zufolge wird nur rund ein Drittel der Abschiebehäftlinge tatsächlich abgeschoben. Die anderen, bei denen sich kein Land findet, in das sie ausgewiesen werden können, werden wieder auf die Straße gesetzt, oft nur, um wenig später erneut aufgegriffen zu werden. Durchschnittlich dauert die Abschiebehaft 80 Tage, doppelt so lange wie vor zehn Jahren. Für eine wirkungsvolle Obergrenze fehlt der politische Wille.

* Name von der Redaktion geändert