Hör auf zu malen!

Jörg Immendorff hat das Betriebssystem Kunst in Deutschland installiert. Zum Tod des Malers. von roger behrens

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine schreckliche Krankheit, in deren tödlichem Verlauf es zu irreversiblen Lähmungen der gesamten Muskulatur kommt. 1997 wurde ALS bei Jörg Immendorff diagnostiziert. Ein langsames, qualvolles Sterben begann, Hoffnung auf Heilung gab es nicht. Immendorff machte weiter mit dem, was er immer machte: Mit derselben Exaltiertheit, mit der er sich gegen das Leben stemmte, stemmte er sich auch gegen seinen eigenen Tod. Dabei war weniger die Kunst die Waffe gegen die Krankheit, als vielmehr die Zurschaustellung seines Privatlebens als Künstlerexistenz.

Als Maler wurde er zum Popstar, ohne wirk­lich nennenswerte Spuren in der gegenwärtigen Popkultur-Kunst zu hinterlassen, in deren Adelsstand er erhoben wurde. Um zu finden, was Immendorff zum Klassiker der Gegenwartskunst macht, muss man schon ein paar Jahrzehnte zurückblicken. Das funktioniert bei ihm nicht anders als bei den Rolling Stones, The Who oder – ebenfalls dieselbe Generation – Gerhard Schröder.

Das zu Immendorffs letzten Arbeiten zählen­de Porträt des Altkanzlers ist ästhetisch vollkommen irrelevant, schlechter Kitsch. Auch Huren und Koks waren 2003 kein wirklicher Skandal, sondern bloß Klatsch und kaum spek­takulärer als sein Auftritt zwischen den »25 bestausgezogenen Deutschen«, die 1995 von der Bunten vorgestellt wurden. Immendorff schreibt für die Bild-Zeitung, erklärt dort Kunstgeschichte, malt für das Blatt zum Jahrtausendwechsel eine uninspirierte Arbeit namens »Mensch 2000«. Schließlich illustriert das »Maler-Genie« 2006 die Bibel, herausgegeben von Bertelsmann und Bild.

Die Bedeutung, die ein Künstler für die Kunst hat, ebenso wie die Bedeutung, die die Kunst für die Gesellschaft hat, bestimmt sich freilich nur insofern nach ästhetischen Krite­rien, wie diese wiederum vom Markt bestimmt werden. Das ist nicht nur eine Binsenweisheit über den Zusammenhang von Kunst und Kapital, sondern charakterisiert wesentlich die Entwicklung des so genannten Betriebssystems Kunst in den ver­gangenen zwei Jahrzehnten. Das heißt zum Beispiel konkret: Heute werden für Gegenwarts­kunst weitaus höhere Preise gezahlt als für die alten Meister oder selbst die Klassiker der Moderne; und dabei geht es nicht selten um Millio­nenbeträge.

Gleichzeitig hat im zwanzigsten Jahrhundert, vor allem seit den fünfziger und dann noch ein­mal insbesondere seit den neunziger Jahren, das Verhältnis von Ästhetik und Politik gravierende Transformationen erfahren.

Neben der Institution Kunstmarkt ist so eine scheinbar autonome zweite Institution Kunst entstanden, nämlich ein weiträumiger Diskurs, in dem die Kunst sich vollständig mit sich selbst beschäftigen darf: Hier können alle idiotischen Scheingefechte ausgetragen werden; hier kann die Kunst von der Gesellschaft handeln, ohne dass das mit der Gesellschaft auch nur annähernd zu tun hätte; hier darf jeder konsequent politische Kunst ohne politische Konsequenzen machen etc. Und hier bekommt Immendorff seinen Ehrenplatz – auch deswegen, weil er der­einst zu jenen Künstlern gehörte, die dieser Entwicklung den Weg bereitet haben. Indes: ein deutscher Sonderweg – und das macht die deutsche Nachkriegs-Künstlergeneration, vor allem Immen­dorff, so signifikant.

1945 wird Jörg Immendorff in Ble­cke­de, in der Nähe von Lüneburg, geboren, nicht unweit der späteren Gren­ze zwischen den beiden deutschen Staaten. Dass diese Grenze nicht sein soll, wird zum Lebensthema der Kunst Immendorffs. Bei Jo­seph Beuys, dessen Schüler Immendorff 1964 wird, lernt der 19jährige einen erweiterten Kunstbegriff kennen, der sich – wenn auch esoterisch mit Rudolf Steiner verzerrt – immer im Auftrag eines vereinigten Deutschlands versteht.

Immendorff radikalisierte das politisch ausgerechnet mit dem Maoismus der KPD/ML: dem Volke dienen, lautete die Parole. Während in den USA und in Frankreich die Frage der natio­nalen Kunst als politisches Problem verstanden wurde (Pop-Art, Situa­tionismus etc.), versuchte man in der deutschen Kunst nach 1945, das politische Problem als nationale Frage zu übersetzen. Von Anfang an war das von schlechter Metaphysik, billigem Christentum und reaktionärem Innerlichkeitspathos bestimmt – vergleiche Hans Sedlmayr, Johannes Itten und selbst Willi Baumeister.

»Hör auf zu malen«, schreibt Im­men­dorff 1966 auf seine Leinwand. 1972 heißt ein Bild »Ich wollte Künstler werden … «, auf dem Immendorff in der Art Spitzwegs bei Kerzenschein in der Ecke eines Dachzimmers liegt und sich in einer Gedankenblase ausmalt, wie er berühmt und sein Werk ausgestellt wird. »Ich träumte davon, in der Zeitung zu stehen, von vielen Ausstellungen, und natürlich wollte ich etwas ›Neues‹ in der Kunst machen. Mein Leitfaden war der Egoismus«, ist auf dem Gemälde zu lesen. »Wo stehst Du mit Deiner Kunst, Kollege?« ist als Titel eines anderen Bildes zu lesen, auf dem ein Maler aufgefor­dert wird, sich der Demonstration auf der Straße anzuschließen. Kunst soll der Weltrevolution dienen.

Doch darf man sich von dem jugendlichen Elan nicht täuschen lassen. Peter Bürger be­stimmte 1974 in seiner wegweisenden »Theo­rie der Avantgarde« diese über die Selbstkritik der Kunst; was Immendorff jedoch in seinen frühen Arbeiten zeigt, die in den Nachrufen gerne als radikaler Beginn des politischen Künstlers Immendorff gewürdigt werden, ist Selbstbezichtigung.

Das ist keine Avantgarde, son­dern Kunst als stalinistischer Schauprozess. Die Selbstanklage wird zur Selbstüberschät­zung des Künstlers als Genie, indem die individuelle Identitätskrise als kollektive aufgelöst wird: 1978 beginnt Immendorff seine Serie »Café Deutschland«, ein Zyklus von 16 großforma­tigen Bildern, die, wie es heißt, den »Ost-West-Konflikt« thematisieren.

Immendorffs künstlerische Karriere beginnt in den Siebzigern (1972 documenta 5; 1976 Venedig-Biennale), seinen ökonomischen Erfolg als Maler erlebt er in den Achtzigern, begleitet vom internationa­len Boom des Kunstmarktes und der Erosion der Grenze zwischen high and low.

Immendorff sympathisiert mit den Jungen Wilden, wird gewissermaßen der Maler der Neuen Deutschen Welle, indem er Mainstream in Subkultur verwandelt: Seine 1984 in Hamburg eröffne­te La-Paloma-Bar und die davor aufgestellte Hans-Albers-Statue sind symp­to­matisch für das, was heute Gentrifizierung genannt wird – im Kontrast zur da­maligen Kneipen-Avantgarde, die sich im Karoviertel versammelte (Albert Oeh­len, Andreas Dorau, Alfred Hilsberg, Diedrich Diederichsen etc.).

Bis 1980 unterrichtet Immendorff als Kunst­erzieher an einer Düsseldorfer Haupt­schule. 1989 wird er Professor in Frankfurt, 1996 an der Kunstakademie Düsseldorf. Am 28. Mai 2007 starb er an den Folgen seiner Krankheit.

Von Immendorff bleibt eine Haltung, die konsequent von der Selbstbezichtigung zur Selbstüberschätzung führt. Auch wenn sich die Kunst, die sich heute »links« nennt, immer weiter von ihm entfernt hat, so hat doch der wesentlich von Immendorff geprägte Begriff des Politischen als Ideal einer vermeint­lich kritischen Kunst überlebt: Sich gleichzeitig als Opfer zu stilisieren, um sich dann doch bereitwillig dem Betrieb zu unterwerfen – mehr denn je idealisiert sich heute so der Künstler zum Popanz.

Jörg Immendorff engagierte sich als Student in der Apo und gehörte zur maoistischen KPD/ML. Flog wegen neo­dadistischer Aktionen von der Düsseldorfer Kunstakademie. Er malte schon früh gegenständliche Bilder mit Agitprop-Charakter. Später entdeckte er die neue Historienmalerei.