Die One-Man-Show

Ein Dokumentarfilm über Slavoj Žižek entwirft die perfekte Ikonografie des philosophierenden Hofnarren. von lars quadfasel

Kann man etwas falsch machen, wenn man einen Film über Slavoj Žižek dreht? Eigentlich nicht. Man folge einfach dem Star mit der Kamera, wenn er seinen Einzug hält in die Vortragssäle von New York oder Buenos Aires, um dort gestikulierend und schweißgebadet seine Sätze einem begeisterten Publikum einzukneten. Das Ganze würze man mit Abstechern ins Kinderzimmer der Familie Žižek, in dem Vater Slavoj begeistert die Lieblingsplaymobilfiguren seines Sohnes vorführen darf. Einige skurrile slowenische Archivaufnahmen schaden auch nicht. Vor allem aber lasse man die Haupt­figur, den Kopf stets in Großaufnahme, das tun, was sie am besten kann: eine philosophisch-psycho­analytische One-Man-Show ab­ziehen, bei der man nur noch staunen kann. Fertig ist »der fesselnde Dokumentar­film« über »die exzentrische Persönlichkeit und Arbeit dieses bedeutenden und unerschrockenen Den­kers, der auch ›der Elvis der Kulturtheorie‹ genannt wird«, um den deutschen Verleih zu zitieren.

Die Regisseurin Astra Taylor enthält sich dabei wohlweislich jeder Widerworte. Ehrfurchtsvoll lauschend, tritt sie höchstens als Stichwortgeberin auf. Statt »Žižek!« könnte der Film auch »Žižek™« heißen. Er entwirft die perfekte Ikonographie seines Helden und wird ihm gerade dadurch gerecht. Alles an Žižek ist schließlich ein Markenzeichen: vom markanten, zwischen Rasputin und einem versoffenen Nick Nolte changierenden Antlitz über die unnachahmlich harte Aussprache bis zu dem einmalig exklusiven Namen.

Die entsprechenden Charakterzüge dürfen da nicht fehlen. Žižek, verrät uns »Žižek!«, ist ein Misanthrop, der seine Fans und die Menschen überhaupt ebenso fürchtet wie verachtet. Unerschrocken stellt er sein neurotisches Seelenleben zur Schau, entlarvt etwa seine Wortflut als Angst vor dem Verschwinden. Natürlich gehören diese Einblicke erst recht zur Inszenierung. Umso gelungener, weil sie höchstwahrscheinlich wahr sind.

»Hinter« der Rolle, der öffentlichen Person, den wahren, authentischen Menschen zu suchen, gehört Žižeks Lehre zufolge zu den elendsten Ideologien. Selbst schuld daher, wer die Inszenierung für bare Münze nimmt; selbst schuld auch, wer sich über ihren Charakter als Inszenierung beschwert. Žižek ist mit Haut, Haar und Psyche der Philosoph im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Einer allerdings, der sein Metier, die Medien, beherrscht, wenn das nach der seriellen Herstellung von über 30 deutschsprachigen Büchern noch eines Beweises be­durft hätte: Der Film, ein ebenso manisches wie unterhaltsames Meisterstück kritisch-theoretischen Psychotainments, liefert ihn nachdrücklich.

Das ist fraglos Grund genug, die Kulturindustrialisierung kritischen Denkens zu beklagen. Aber die Klage bekommt leicht einen verkniffenen Unterton. Ein kluges Wort, und du bist heutzutage zwar nicht mehr Kommunist, dafür aber entweder Taxifahrer oder Talkshowgast. Wer will es da jemandem verdenken, wenn er sich für letztgenanntes entscheidet? Žižek mag mit seinem Gonzo-Marxismus und Groucho-­Lacanianismus dem Kapital den Hofnarren machen. Aber Hofnarren dürfen, wie wir wissen, als einzige die Wahrheit sagen.

Wo die Philosophie allerorten pragmatisch und bescheiden wird, ist der Gestus des Marktschreiers vielleicht wirklich ihre letzte Zuflucht. Die Žižek­sche Theorie, die noch aufs Ganze will, schöpft ihre Kraft gerade aus der Mimesis an die Reklame. All die Dikta, Anek­doten, Aperçus und Bonmots, für die sie berühmt ist, sind verfasst mit der Prägnanz von Werbe­slogans. In »Žižek!«, dem Best-of-Žižek-Sampler für die Leinwand, erscheinen sie als Redeschnipsel, Stichworte oder Textausschnitte, ohne auch nur das Mindeste einzubüßen. Einen Gedanken zu zitieren, macht nach Walter Benjamin die Probe auf dessen Haltbarkeit. Žižeks bestehen den Test mit Aplomb.

Wer als Kritiker dem Geistlosesten Geist abringen will, darf nun einmal die Nähe zum Gegenstand nicht fürchten. Er muss, wie seit Hegels Zeiten, nicht über den Dingen sein, sondern in ihnen. Stark ist Žižeks Denken daher nicht auf den Kommandohöhen der Weltpolitik, sondern in quasi natürlicher Umgebung, in der Welt des Waren­spektakels. Dort spürt es in Light-Produkten, entkoffeiniertem Kaffee und »Du darfst«-Margarine das neue, ultimative Gebrauchswertversprechen auf, den exzesslosen Exzess, und entschlüsselt so den furchtbaren Imperativ des spätkapitalistischen Über-Ichs: nicht mehr »Gehorche!«, sondern »Genieße!« Um aus Žižeks Lehrstunde in aufgeklär­ter Kindererziehung zu zitieren: »Ich nehme meinen Sohn mit zu McDonald’s, damit er glücklich ist. Er tut dann so, als ob er glücklich wäre, um mich nicht zu enttäuschen. Was soll’s? Es funktioniert.«

Das Problem dieses Denkens aber liegt nicht in der Verletzung akademischer Reinheitsvorschriften. So zitierbar es ist, so disponibel ist es eben auch. Während der Dreharbeiten zu dem Film arbeitete Žižek an seinem, wie er es anpries, wichtigsten Werk, »Parallaxe«. Die Lektüre nun fördert zwar die üb­lichen Žižek­schen Geistesblitze zutage. Aber diese stehen zunehmend unver­bunden nebeneinander. Es ist, als würde der stream of un­conscious­ness des Philo­sophen, dieser dem Drängen der Ware im Unbewussten nachgebildete Monolog, langsam in Erschöpfung übergehen.

Dagegen hilft, wie im wirklichen Waren­leben, nur der stärkere Reiz, nicht zuletzt die Extremsportart Tabubrechen. »Opfer­gang«, Veit Harlans Nazi-Melodram, sei einer der drei bedeutendsten Filme aller Zeiten, gibt Žižek seinem Filmpublikum mit auf den Weg. Außerdem solle die Linke gegen den permissiven Liberalismus ruhig Begriffe wie Disziplin und Opferbereitschaft stark machen. »Tarrying with fascism« könnte man das nennen, in Anlehnung an einen alten Žižekschen Buchtitel. Kein Grund, in Antifa-Alarmismus zu verfallen. Kein Grund aber auch zu verschweigen, was in der deutschen Über­setzung des amerikanischen Originals von »Parallaxe« wegfällt: einige ziemlich häss­liche Invektiven gegen die Juden und ihren Staat nämlich. Von der Zusammenarbeit zwischen Zionisten und Eichmann ist da die Rede, und auch von einem »secret link«, einer geheimen Verbindung zwischen der Kritik des Antisemitismus und der des Zionismus.

Mehrere Filmeinstellungen zeigen Žižek bei der Arbeit an just diesen Passagen. Und wer statt auf seine Rede auf den Bildschirm seines Laptops achtet, kann erkennen, dass das einzige Wort, das er währenddessen löscht, »Israel« lautet. Es war niemand anderes als Ži­žek, der gelehrt hat, solche kleinen, bedeutungslosen Gesten ernster zu nehmen als alles andere.

»Žižek!« (USA 2005) Regie: Astra Taylor. OmU. Kinostart: 28. Juni

Slavoj Žižek: Parallaxe. Suhrkamp, Frankfurt 2006, 445 S., 26,80 Euro