Lula will mehr Energie

Investitionen in Höhe von 200 Milliarden Dollar sollen das Wirtschaftswachstum Brasiliens steigern. Die Pläne der Regierung überlassen den Unternehmen die Kontrolle über die Ressourcen und gefährden den Regenwald im Amazonas-Becken. von astrid schäfers, são paulo

Der Energieminister Nelson Hubner hält die Wasserkraftwerke für ein »hydrolektrisches Modellprojekt«. Etwa zehn Prozent des brasilianischen Energiebedarfs sollen durch Dammbauten am Fluss Madeira im Bundesstaat Rondônia gedeckt werden. Am Montag der vergangenen Woche genehmigte die Umweltbehörde Ibama das umstrittene Projekt, erließ allerdings 33 Auflagen zum Schutz des Regenwalds.

Den Bewohnern der Region dürfte das nicht genügen, zumal die Genehmigung wohl eher eine Formsache war. »Wir, die Bewohner Porto Velhos und des Bundesstaates Rondônia, verurteilen die irreguläre Lizenzvergabe der brasilianischen Regierung an transnationale Elektrizitätskonzerne für den Bau zweier Megawasserkraftwerke am größten Zweigfluss des Amazonas, dem Rio Madeira«, schrieben die Gegner der Projekts, Bewohner der betroffenen Gemeinden Jirau und Santo Antônio, regionale Fischervereine, die Landlosenbewegung Via Campesina und die Bewegung »Betroffene gegen Staudämme« im Juni in einem offenen Brief.

Bereits im April begann die Ausbildung von 3 000 Arbeitern für den Kraftwerksbau, und die Regierung warb mit dubiosen Methoden für das Projekt. Der Gouverneur Ivo Cassol und Roberto Sobrinho, der Bürgermeister von Porto Velho, der Hauptstadt Rondônias, nötigten Beamte dazu, den Bau der Wasserkraftwerke zu unterstützen. Im Rahmen der Aktion werden Lehrer dazu angehalten, in den Schulen Unterschriften für das Projekt zu sammeln. Die Schüler, die die meisten Unterschriften ergattern, können einen Fernseher mit Flachbildschirm und einen Computer gewinnen. Auf diese Weise hat Cassol 200 000 Unterschriften gesammelt.

Die Regierung legt großen Wert auf die Staudämme, die das größte Einzelprojekt des »Plans für die Beschleunigung des Wachstums« (PAC) sind. Der im Januar verkündete Plan sieht Investitionen in Höhe von 500 Milliarden Reais (knapp 200 Milliarden Euro) in drei Bereichen vor: Energie, Verkehr und »soziale Infrastruktur«, die Bereitstellung öffentlicher Dienste für die Bevölkerung. Doch Wohnungsbau, bessere Wasserversorgung, Abwassersysteme und öffentliche Verkehrsmittel haben keine Priorität, das »Ziel ist es, die Wettbewerbsfähigkeit Brasiliens regional und international zu erhöhen«, heißt es im PAC-Entwurf.

Bis zum Jahr 2010 sollen 45 000 Kilometer Straßen und 2 500 Kilometer Eisenbahnschienen gebaut sowie zwölf Häfen und 20 Flughäfen erweitert werden. Mehr als die Hälfte der finanziellen Mittel soll in den Energiesektor fließen. Geplant sind 46 neue Fabriken für Biodiesel und 77 für Ethanol, 4 500 Kilometer Pipelines und Kraftwerke zur Erzeugung von 12 400 Megawatt elektrischer Energie, vor allem durch neue Wasserkraftwerke.

Umweltschützer befürchten, dass der Eingriff in die Flussströmung das ökologische Gleichgewicht der gesamten Region beeinträchtigen und die Zerstörung des tropischen Regenwaldes vorantreiben könnte. »Der PAC ist ein Beispiel dafür, dass der Blick auf Amazonien immer noch ein typisch kolonialer ist. Eine Sichtweise, die auf die Nutzung der Ressourcen gerichtet ist, die immer erneuert und verstärkt wird. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass Amazonien die Lösung für die wirtschaftlichen Probleme des Landes bietet«, sagte Roberto Smeraldi, Direktor der NGO »Friends of The Earth« in einem Radiointerview der Agência Brasil.

Manche Experten halten den Bau neuer Staudämme für überflüssig. Zurzeit gibt es eine Reserve an hydroelektrischer Energie, errechnete Professor Célio Bergmann vom Institut für Elektrotechnik und Energie der Universität von São Paulo. Sie könnte durch eine Modernisierung der bereits existierenden 70 Wasserkraftwerke genutzt werden, die 8 000 Megawatt generieren könnte.

Doch der PAC dient vor allem der Steigerung des Wirtschaftswachstums; den Staats- und Privatunternehmen, die für mehr als 90 Prozent der Investitionen aufkommen sollen, wird die Erschließung der bislang schwach entwickelten Landesteile wie des Amazonas-Beckens und des Nordostens nahe gelegt.

Ein weiteres Großprojekt ist der Bau zweier Kanäle, die Wasser des Flusses São Francisco in die nordöstlichen Bundesstaaten leiten und den 12,5 Millionen Einwohnern eine »nachhaltige Entwicklung« bescheren sollen. Außer den beiden Kanälen erfordert das Projekt die Konstruktion zahlreicher Staudämme und somit die Umsiedlung von Teilen der Bevölkerung, die in Gemeinden leben, die an den São Francisco grenzen. Die Bevölkerung ist aber bislang nicht nach ihrer Meinung gefragt worden.

»Es ist nicht schwer zu merken, dass dies nicht das wahre Ziel des Projekts ist. Die Kosten dieses Wassers sind sehr hoch, und deshalb ist das Projekt nicht mit dem Argument der Versorgung ärmerer Bevölkerungsteile mit Wasser zu rechtfertigen. Menschen, die ganz nahe am Fluss São Francisco wohnen, werden kein Wasser haben, weil sie es sich nicht leisten können. Schätzungen des Sekretariats für Wasserressourcen von Pernambuco gehen davon aus, dass die Wasserpreise sich verdoppeln werden, da die Unternehmen, die das Wasser behandeln, eine Gewinnspanne einkalkulieren, die sich auf die Preise niederschlagen wird«, erklärt der staatliche Berater für Wasserressourcen von Pernambuco, João Domingos, der Jungle World. Ihm zufolge beeinträchtigt die geplante Abschöpfung von 1,4 Prozent des Wassers nicht nur das ökologische Gleichgewicht des São Francisco, sondern auch der angrenzenden Flüsse.

Besonders propagiert wird der Bau der Kanäle vom Gouverneur des Bundesstaats Ceará, Cig Gomes. Die lokalen Oligarchien von Ceará, darunter Krabbenproduzenten und Bewässerungsunternehmer, die Posten in der Regierung des Bundesstaats innehaben, könnten ihre Gewinne enorm steigern. In Pernambuco hingegen ist die Regierung gespalten: Eine Fraktion wehrt sich dagegen, das Wasser des São Francisco mit anderen Bundesstaaten zu teilen, da Pernambuco der Bundesstaat ist, der über die geringsten Wasserressourcen verfügt. Domingos berichtet von einer anderen politischen Fraktion, die den Handel mit Wasser innerhalb des Bundesstaats vorantreiben will. Sie erhofft sich ein profitables Geschäft mit der Versorgung der Dürreregionen Pernambucos.

Der Erfolg des PAC ist abhängig von der Beteiligung interessierter Unternehmen. Sie werden die Infrastruktur nur dort verbessern, wo es profitabel ist, und die Kontrolle auch über lebensnotwendige Ressourcen wie Wasser erlangen. Um die wirtschaftliche und politische Macht Brasiliens zu vergrößern, nimmt Präsident Inácio Lula da Silva zahlreiche Projekte wieder auf, die bereits die Militärregierungen der siebziger Jahre betrieben hatten, von der Erschließung des Amazonas-Beckens bis zu einem neuen Atomprogramm, für das jenseits des PAC 540 Millionen Dollar vorgesehen sind. »Lula macht es schlechter als das Militär«, urteilt Mario Mantovani von der SOS Atlantic Forest Foundation. »Denn diesmal kann niemand mehr behaupten, die Folgen für die Umwelt seien nicht bekannt.«