Wer glaubt, wird selig

Forscher können sichtbar machen, welche Teile des Gehirns besonders aktiv sind. So werden auch spirituelle Erfahrungen unter­sucht. Doch was beweisen die Ergebnisse? von ferdinand muggenthaler

Was kann uns die Hirnforschung über Religion sagen? Nicht viel. Trotzdem ist seit einigen Jahren eine Debatte im Gang, ob nun neue neuro­biologische Erkenntnisse Gott endgültig zum Hirngespinst stempeln, oder ob umgekehrt gerade die Empfänglichkeit unserer Hirnrinde für spirituelle Erfahrung die Existenz eines intelligenten Designers beweist. »Neurotheologie« nennt sich der Forschungszweig.

Die empirischen Daten, um die sich diese Debatte rankt, sind recht bescheiden. Es handelt sich dabei meist um Ergebnisse bildgebender Verfahren, denen die Hirnforschung insgesamt ihre neue Popularität verdankt. Mit funktioneller Magnetresonanztomographie oder verwandten Verfahren wird dabei versucht, dem Gehirn beim Denken zuzusehen.

Man kennt die Röhren, mit deren Hilfe sich Bilder des Körperinneren produzieren lassen, inzwischen aus den Krankenhäusern. Mit einer Weiterentwicklung dieser Methode lassen sich besonders aktive Bereiche im Gehirn sichtbar machen. Es lässt sich so feststellen, dass bei bestimmten Denkanstrengungen besonders viel Blut in bestimmte Hirnregionen fließt. Die Forscher schließen daraus, dass die jeweilige Region besonders aktiv ist.

Mit der Methode lassen sich vor allem Hypothesen über die Arbeitsteilung im menschlichen Steuerungszentrum erhärten. Manche solcher Messungen scheinen die These von einem »Gottesmodul« zu bestätigen. Eine Region im Schläfenlappen hinter dem linken Ohr zeigt bei spirituellen Visionen eine besonders starke Aktivität. In der gleichen Region kommt es bei einer Form der Epilepsie zur gewitterartigen, unkontrollierten Erregung der Nervenzellen. Viele, die an dieser »Temporallappenepilepsie« leiden, berichten von spirituellen Visionen während der Anfälle.

Der kanadische Neurologe Michael Persinger glaubt sogar, den umgekehrten Weg gehen zu können. Mit einem von ihm entwickelten »Gott-Helm« versucht er, durch magnetische Anregung bestimmter Hirnregionen übersinnliche Empfindungen zu erzeugen. 80 Prozent seiner Probanden berichteten anschließend, sie hätten die Anwesenheit eines höheren Wesens gespürt oder das Gefühl gehabt, ihren Körper zu verlassen. Forscher der Universität von Uppsala entlarvten allerdings in einem Doppelblindversuch das Mag­netfeld als überflüssig.

Sie hatten einigen ihren Testpersonen Helme mit und Helme ohne Hirnstimulation aufgesetzt. Die Mehrheit berichtete anschließend von der Anwesenheit eines höheren Wesens oder ähnlichen Visionen – auch die Mehrheit derjenigen, die nur eine Attrappe aufgesetzt bekommen hatten. Vermarktet wird der Helm trotzdem. Unter dem Namen »Shakti« lässt er sich für 220 kanadische Dollar im Internet bestellen.

Andere Neurotheologen beschäftigen sich mit den Wirkungen religiöser Meditation. So bat Andrew Newberg, Radiologe am Universitätsklinikum in Pennsylvania, tibetanische Mönche in sein Labor und untersuchte ihre Hirnaktivitäten bei der Meditation. Auch Nonnen des Franziskanerordens untersuchte er beim Beten. Der wenig überraschende Unterschied: Bei den Nonnen, die Gebete rezitierten, war das Sprachzentrum aktiver als bei den Mönchen, die sich eher auf innere Bilder konzentrierten. Gemeinsam war beiden, dass zum Zeitpunkt der größten Versenkung das Gehirnareal, das vermutlich für die Orientierung in Raum und Zeit zuständig ist, kaum mehr aktiv war. Newbergs Hypothese: Das Abschalten dieses Areals erzeugt das von vielen Meditierenden beschriebene Gefühl des Verschwindens von Raum und Zeit, das Gefühl, in der Unendlichkeit und der Ewigkeit aufzugehen.

Eine andere Studie am Massachusetts General Hospital scheint zu bestätigen, dass regelmäßiges Meditieren die Gehirnbereiche, die für Konzentration und sensorische Prozesse zuständig sind, vergrößert. Das Ergebnis ist ebenso aussagekräftig wie die Studie, die herausfand, dass die Hirne Londoner Taxifahrer ungewöhnlich große Hippocampusse besitzen. Man nimmt an, dass im Hippocampus innere Landkarten gebildet werden.

Was also kann uns die Hirnforschung zur Religion sagen? Nicht viel. All diese Studien bestätigen bestenfalls, dass für bestimmte Leistungen einzelne Hirnregionen besonders beansprucht werden und auch das Gehirn von Erwachsenen noch formbar ist. Wer bestimmte Fähigkeiten trainiert, verändert seine Hirnstruktur. Dass sich auch der Glaube an ein höheres Wesen im Hirn niederschlägt, ist keine aufregende Erkenntnis. Zumindest wenn man selbst nicht an ein höheres Wesen glaubt.

Manch ein frommer Mensch wird es blasphemisch finden, dass Forscher Gott in den Hirnwindungen suchen, aber längst nicht jeder Gläubige. Könnte es nicht gerade ein Beweis für Gottes Existenz sein, dass er uns mit einem Gottesmodul ausgestattet hat? Es gibt sogar eine christlich inspirierte Stiftung, die genau solche Forschungen fördert: die Templeton Foundation.

Die Stiftung mit Sitz in Philadelphia vergibt jedes Jahr 40 Millionen Dollar an wissenschaftliche Projekte, die sich den »größten Fragen des Lebens« widmen. Dazu gehören nach der Stiftungsphilosophie sowohl die Fragen nach den »Gesetzen der Natur und des Universums als auch nach der Natur von Liebe, Dankbarkeit, Vergebung und Kreativität«.

Besonders am Herzen liegt der Stiftung der Dialog zwischen Theologen und Naturwissenschaftlern. Sie fördert Studien über die heilende Kraft von Gebeten und vergibt Stipendien und Preise an Journalisten, die sich um Glaubensfragen verdient machen sollen. Sie finanziert Fachtagungen wie die an der Universität in Frankfurt im Jahr 2005 mit dem Titel »Ich denke, also bin ich Ich? – Das Selbst zwischen Neurobiologie, Philosophie und Religion« und fördert großzügig Organisationen wie das Metanexus Institute on Religion & Science. Ein Motto von Metanexus lautet: »Gott ist im Detail«. Im Vorstand des Instituts sitzt unter anderem der Meditationserforscher Andrew New­berg.

Die Stiftung und ihre Vorfeldorganisationen verfolgen keine christlich-fundamentalistischen Ziele. Es werden sogar Atheisten gesponsort. Vorerst ist nur wichtig, dass Spiritualität, Liebe und Vergebung ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Vermutlich würde die Templeton Foundation auch diesen Artikel als erfolgreiches Agendasetting verbuchen. Ob nun Hirngespinst oder nicht, Hauptsache Gott ist wieder im Gespräch. Also: Lassen Sie sich über dieses Thema keine vergrößerten Schläfenlappen wachsen und beschäftigen Sie sich wieder mit anderen Dingen.