Hail Science!

Wer Religion durch Wissenschaft ersetzt, hat noch lange nicht begriffen, was Reli­gion ist und wie die Verhältnisse umzustürzen sind, die sie hervorbringen. kommentar von doris akrap

In der US-amerikanischen »South-Park«-Folge »Go God Go« vernichtet im Jahre 2646 die United Atheist Alliance die Unified Atheist League, um danach gegen die Allied Atheist Allegiance zu kämpfen. Die letztgenannte besteht aus super­intelligenten Ottern, die, auf Pfauen reitend, mit den Schlachtrufen »Hail Science« und »Gelobt sei die Wissenschaft« in den Krieg um die Weltherrschaft ziehen.

Doch plötzlich ist der Krieg vorbei. Die konkurrierenden atheistischen Kombattanten schließen Frieden, denn sie haben erkannt: Nicht ein Ismus sorgt für die Erlösung der Menschheit, sondern die Erkenntnis, dass »eine einzige Antwort niemals reicht, um die Frage zu beantworten«.

Die Cartoonisten Trey Parker und Matt Stone erregten mit ihrem Zweiteiler, in dem auch der Chef­ideologe der Neuen Atheisten, Richard Daw­kins, eine Hauptrolle spielt, große Aufmerksamkeit. Denn das Thema Atheismus garantiert derzeit in den USA hohe Einschaltquoten und Verkaufszahlen. Für verhinderte Künstler ist es eine günstige Gelegenheit, sich ins Gespräch zu bringen, indem man als atheistischer Rapper (Greydon Square), atheistische Schauspielerin (Julia Sweeney) oder gar als atheistische »Kirche« (Land­over Baptist Church) auftritt.

Die Kritik von »South Park«, der derzeitige Boom des Atheismus führe nur in eine neue Form von Religion, ist vielleicht platt, aber nicht falsch. So wie die Religion ist auch die ­Naturwissenschaft ein Heilsunternehmen mit Heilsversprechen. Und zwar aus dem Grund, den Nietzsche genannt hat: »Gott ist tot. Und wir haben ihn getötet … Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen?«

Religion besteht eben nicht einfach in dem Glauben an den unfehlbaren Schöpfer und Weltenlenker. Religion ist eben nichts Substanzielles, nichts, das sich in einem Teil des Gehirns finden lässt, das man nur wegoperieren muss, und auch keine Meinung, die man einfach wegdiskutieren kann. Religion ist ein Kampfplatz, auf dem individuelle Bedürfnisse mit gesellschaftlichen Ansprüchen im Clinch liegen. Religionskritik ist nicht einfach damit erledigt, dass man eine wissenschaftliche Weltanschauung oder den Tod Gottes proklamiert. Diese Illusion ist schon längst überholt. Wer nicht verstehen will, warum Religion bis heute ein gesellschaftliches Phänomen ist, das nicht verschwindet, der wird religiöses Denken auch niemals überwinden können.

»Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik«, heißt das berühmte Postulat von Karl Marx. Und das sollte man ernst nehmen. Das Ziel der Wissenschaft ist nicht die Kritik der Verhältnisse, sondern im besten Fall die Übermittlung von Datenmaterial. Aber nur weil wir wissen, dass die Erde rund und nicht eine Scheibe ist, haben wir noch lange keinen Weg gefunden, um die Verhältnisse zu überwinden, die uns zu einem Knecht der modernen Dreifaltigkeit, Herrschaft, Kapital und Ideologie, machen.

Natürlich ist es nicht falsch, den Verteidigern der Schöpfungslehre im Biologieunterricht, den Abtreibungsgegnern der katholischen Kirche und den Heiligen Kriegern aller Couleur mit naturwissenschaftlichen Fakten zu begegnen. Doch das ist keine Religionskritik, sondern einfach nur die notwendige Modernisierung überholter und immer wieder auftauchender reaktionärer Selbstvergewisserungen.

Religionskritik bedeutet mehr. Sie ist die hohe Kunst der Analyse, die die Funktionsweisen von Herrschaftsformen erklärt und auf die radikale Abrechnung mit den Verhältnissen zielt.

Der amerikanische Schriftsteller Saul Bellow hat einmal gesagt: »Sex ohne Eros ist nichts anderes als Turnen ohne Geräte.« Religionskritik ohne die Kritik der Verhältnisse ebenso.