Mobiles Morden

Mike Davis erzählt in seinem Buch über die Geschichte der Autobombe Schauermärchen über Zionisten und Yankees und relativiert den islamistischen Jihad. Von Uli Krug
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Eine Geschichte der Autobombe« von Mike Davis frönt der Sorte Ge­schichts­schreibung, die stets aufs neue immer nur das eine unumstößliche Vorurteil variiert: An allem Bösen in der Welt ist der Westen schuld, besonders gern in Gestalt ameri­kanischer Geheimdienste und zionistischer Übeltäter, und wenn schon mal nicht unmit­telbar durch böse Taten, so doch zumindest durch das schlechte Vorbild. Der bisher auf apo­kalyptische Szenarien zum Thema Stadtentwicklung spezialisierte Autor von »City Of Quartz« oder »Planet der Slums« zieht getreu dieser Vorgabe diesmal alle nur denkbaren Register, um das islamistische Selbstmordattentat zu relativieren.

An dieser Absicht lässt der Autor an keiner Stelle auch nur die geringsten Zweifel aufkommen. Der Inhalt selbst lässt sich auf fünf ständig wiedergekäute Glaubenssätze reduzieren, die auf jegliche korrekte historische Kontex­tualisierung freimütig verzichten und diesen Mangel an jeder nur möglichen Stelle durch vulgärste Verschwörungstheorien zu kompensieren versuchen.

Erstens. Grundlegend sind gegen »alliierten Bombenterror« – offensichtlich auch den auf Nazi-Deutschland – Autobomben und Selbstmordattentate von vornherein ein Dreck: »Dieser kategorische Imperativ gilt noch mehr für den Massenterror, dem Zivilbevölkerungen routinemäßig durch die Luftwaffen und Heere so genannter Demokratien wie den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und Israel ausgesetzt werden.« Ebenso ist der irgendwie einem antiimperialistisch deutbaren Volkswillen zuzuordnende Bombenterror, zu dem Davis ausdrücklich den der nordirischen IRA und der libanesischen Hizbollah zählt, fast schon legitim, während der des klassisch rechts­radikalen algerisch-französischen OAS natürlich ganz und gar faschistisch ist. Dass der Sadismus und die Perfidie dieser Anschläge sich gleichen wie ein Haar dem anderen, wird konsequent weg­gedeutelt.

Zweitens. Natürlich waren es Juden, die den Bom­benterrorismus in die Welt gesetzt haben. Davis lässt seine Geschichte nicht umsonst so recht erst mit dem Verzweiflungskampf der Stern-Gang und der Irgun-Miliz gegen die bri­tische Besatzungsmacht beginnen. Dass die im Begriff stand, die jüdische Bevölkerung im Man­datsgebiet an die seit Jahrzehnten marodierenden Banden des Himmler-Vertrauten und Großmuftis von Jerusalem, al-Husseini, samt seiner Freunde in Kairo und Damaskus auszuliefern, unterschlägt Davis geflissentlich. Auch dass ein nicht kleiner Teil der arabischen Bevölkerung des Mandatsgebiets lange vor der Gründung Israels oder der Stern-Gang Pogrome unter Juden veranstaltete und mit Hitler und Mussolini pak­tierte, fällt weg. Dem Leser bleiben aus­schließ­lich blutrünstige Zionisten. Und wenn die Zionisten auch mal nicht die Täter seien, dann doch wenigstens die Auslöser für verzweifelte islamische Gegenwehr, wie beispielsweise 1994 in Buenos Aires. Die vom Iran gesteuerte Sprengung des dortigen jüdischen Gemeindezentrums mittels einer Autobombe (85 Tote, meh­rere hundert Verletzte) stelle doch nur die mittelbare Konsequenz israelischer »Aggressionen« im Libanon dar, womit den Killern ein annehmbares Motiv verschafft und ihr fanatischer Judenhass unter den Tisch fallen gelassen worden wäre: Da hier »die größte jüdische Gemeinde Lateinamerikas lebt, wurde Argen­tiniens Hauptstadt zum Ersatzschlachtfeld (!) der Aufstände gegen die israelische Besatzung der West­bank und des Südlibanon.« Und weiter: »Die israelische Invasion des Süd­libanon verursachte 1993 neues Leiden – wofür man sich mit einer Autobombe entschädigen (!) konnte.« Selbst schuld sind natürlich auch die im Buch häufig so genannten »Yankees«. Alle Bombenanschläge auf dem Territorium der Ver­einigten Staaten, von Timothy McVeighs Anschlag in Oklahoma 1996 bis zum Umfunktionieren eines Passagierflugzeugs zur Bombe aufs World Trade Center 2001, sieht Davis als »schmutzige Konsequenzen jahrzehntelanger amerikanischer Geheimoperationen und ›Geisterkriege‹«. Die NPD hatte das im September 2001 so formuliert: »Wer Wind sät, wird Sturm ernten.«

Drittens. Jüdische Methoden sind faschistische Methoden. Davis’ Meinung zufolge hat sich nämlich die OAS, also die Geheimorganisation der Algerien-Franzosen, die eine Militärdiktatur in Frankreich herbeibomben wollte, am zionistischen Vorbild orientiert. Und wo der Zionismus ist, kann die CIA nicht fern sein – zumindest in einer ganz bestimmten Vorstellungswelt. Deshalb wird dem Leser gleich noch eine völlig unbewiesene Geschichte über die Autobombenanschläge im noch-französischen Vietnam vorgesetzt. Das war, na klar: die CIA! Und erst deren verderbliches Beispiel habe den zumindest anfangs und durch das hehre Ziel le­gitimierten Auto- bzw. Fahrradbomben des Viet­cong, der Eta, der Korsen einen so gemeinen Bei­geschmack gegeben. Beim »schiitischen Drachen Hizbollah« kommt dann natürlich wieder ein Jude ins Spiel: »Der schiitische Selbstmord­attentäter war jedoch im wesentlichen eine Frankensteinsche Schöpfung Ariel Sharons.«

Viertens. Jeder Bombenanschlag, bei dem aus noch so dubiosen Quellen ein minimales Quänt­chen Zweifel an der Urheberschaft zu schöpfen ist, wird einer westlichen oder wenigstens halb­wegs säkularen Regierung in die Schuhe gescho­ben: in Irland der britischen, in Korsika der fran­zösischen und mit manischem Eifer der israelischen im Libanon der achtziger Jahre. Hier erreicht Davis fast schon das Level der Protokolle der Weisen von Zion: Sogar die Muslimbrüderschaft in Syrien soll von Israel in Zusammen­arbeit mit dem Irak (!) in ihrer Bombenkampagne gegen schiitische und christliche Mitbürger insgeheim gelenkt worden sein. Verschwörungstheorien über die CIA sind ohnehin Legion. Davis erdreistet sich gar, für seine Unterstellungen von der Hizbollah vorgelegte Geständnisse gefolterter und später hingerichteter libanesischer Regierungsmitarbeiter zu benutzen. Beweismittel also, die in etwa denselben Aussagewert besitzen wie Selbstbezichtigungen in einem mittelalterlichen Hexenprozess.

Fünftens. Den Quantensprung, den es bedeutete, dass nun Terroristen als Kamikaze-Bomber den Sprengstoff unter Preisgabe ihres eigenen Lebens zur Detonation bringen, also die Verbindung der islamistischen Kultur des Todes mit dem absoluten Terror des Bombenanschlags, muss man möglichst beiläufig übergehen. Dass im Fall des Islamismus aber zwischen gepredigtem und praktiziertem Wahnsinn absolute Kongruenz herrscht, bringt am Ende sogar Davis’ Geschichtskonstruktion in ernste Schwierigkeiten. Die Schlusskapitel über den ­Jihad und die Lage im Irak fallen wirr und unzusammenhängend aus, wohl weil dem Autor zum »irakischen Widerstand« einfach keine Rechtfertigungen mehr einfallen und auch der CIA (oder dem Mossad) keinerlei bomben­legerische Schauermär mehr angedichtet werden kann. Insgesamt ein Buch von monomaner Verrücktheit.

Mike Davis: Eine Geschichte der Autobombe, Assoziation A, Berlin 2007, 232 S., 20 Euro