Satanische Verse in God’s own Country

Die Thesen der Neuen Atheisten wie Richard Dawkins und Christopher Hitchens haben in den USA eine lebhafte ­Debatte über das Verhältnis von Staat und Religion ausgelöst. Sie sind auch eine ­Reaktion auf das Erstarken evange­likaler Fundamentalisten. von richard gebhardt

Über 17 000 Trauergäste erschienen im vergange­nen Mai im Football-Stadion der Liberty Universi­ty in Lynchburg (Virginia), um dem verstorbenen Gründer der evangelikalen Moral Majority Coalition, Jerry Falwell, die letzte Ehre zu erweisen. Falwell, ein berüchtigter Hassprediger der christlichen Rechten in den USA, war jahrzehntelang bekannt für fundamentalistische Krawallauftritte. So etwa nach dem 11. Septem­ber 2001, als er im Gespräch mit dem Fernsehprediger Pat Robertson erklärte, wer seiner Meinung nach für die Terroranschläge mitverantwortlich sei: Abtreibungsbefürworter, Homosexuelle, Feministinnen, Bürgerrechtler. »Ich zeige mit dem bloßen Finger auf all diejenigen, die versucht haben, Amerika zu säkularisieren: Ihr habt mitgeholfen, dass das passiert ist«, sagte Falwell damals.

Symbolisch für die enge Kooperation zwischen der Republikanischen Partei und den ultrarechten Christen war die kämpferische Rede, die der ehemalige republikanische Sprecher im US-Repräsentantenhaus, Newt Gingrich, auf der Trauerfeier hielt. »Die wachsende Kultur eines radikalen Säkularismus sorgt dafür, dass die Nation sich nicht zu den Wahrheiten bekennen kann, auf die sie gegründet ist«, klagte Gingrich, der derzeit über eine Bewerbung für die Präsident­schaftskandidatur 2008 nachdenkt.

Die christliche Rechte hat mit Tausenden Ra­dio­­stationen, Fernsehsendern, Verlagen, Zeitungen, Zeitschriften, Blogs und Buchclubs ein gewaltiges Medienimperium aufgebaut. Vor allem im Mittleren Westen der USA konnten konservative Aktivisten in die Grand Old Party der Republikaner ­hineinwirken und auch außerhalb der Kirchen und Gemeinden eine über Privatschulen, christliche Universitäten, Heiratsbörsen und andere Einrichtungen vermittelte kulturelle Hegemonie erlangen. Diese zeigt sich besonders in den verschärften Bemühungen, den Kreationismus, eine gegen die Darwinsche Evolutionstheorie gerichtete scheinwissenschaftliche Modernisierung der alttestamentarischen Schöpfungslehre, im Biologieunterricht der öffentlichen Schulen zu etablieren.

Gegenwärtig steht die Allianz von Repu­bli­ka­nern, Theocons und Fernsehevangelisten vor einer neuen Herausforderung. Nach der Nieder­lage der kon­servativen Rechten bei den Kongress­wahlen 2006 zeigt sich nun ein wortmächtiger Gegner – die Neuen Atheisten, US-amerikanische und britische Naturwissenschaftler und Best­seller­autoren, die ein großes Publikum erreichen. Das Credo im Kampf gegen die »Rückkehr der Religionen« gibt das enfant terrible der US-Liberalen, der Kolumnist Christopher Hitchens, vor: »God is not Great«. Ein meinungsfreudiges Buch mit dem programmatischen Untertitel »How Reli­gion Poisons Everything«. Hitchens, der Jerry Falwell in Fernsehauftritten kurz nach dessen Tod einen Betrüger nannte, zählt zu den wichtigsten Verfassern von religionskritischen Bestsellern, die einem verbreiteten Unbehagen an der massiven religiösen Propaganda in den USA Ausdruck verleihen.

Bücher wie das von Hitchens haben in den USA, aber auch in Europa, für einige Furore gesorgt. Ob Sam Harris’ »Letter to a Christian Na­tion«, Daniel C. Dennetts »Breaking the Spell: Religion as a Natural Phenomenon« oder Victor J. Stengers »God: The Failed Hypothesis. How ­Science Shows that God Does Not Exist«, alle diese Bücher er­reichen eine ungewöhnlich hohe Auflage. Reli­gionskritik ist ein boomendes Geschäft auf dem Buchmarkt in den USA.

Allein von der Hardcover-Ausgabe der 2006 erschienenen Bibel des Neuen Atheismus, »The God Delusion«, wurden über 500 000 Exemplare verkauft. Verfasser ist der in Oxford lehrende Evolutionsbiologe und Sachbuchautor Richard Daw­kins, der auf ausgiebigen Lesereisen durch die USA vor großem Publikum gegen die Reli­gion streitet. Nicht allein spekulative Meditationen über die Existenz Gottes stehen dabei im Zentrum der Debatte, die im Spätsommer 2007, wenn die deutschen Übersetzungen der Bücher von Hitchens und Dawkins erscheinen, auch die hiesigen Feuilletons bestimmen wird. Der gegenwärtige Streit über Evolution und Schöpfungslehre ist auch weitaus mehr als eine strategische Diskussion über die Rolle von value voters bei den nächsten Wahlen. Die Kontroversen um Religion und Gewalt, Darwinismus und Kreationismus rühren maßgeblich am US-amerikanischen Selbst­verständnis, an der von Samuel Huntington gestellten Frage: »Who are we?«

Hitchens und Dawkins propagieren die säkulare Tradition der Vereinigten Staaten und beziehen sich auf das Amerika von Thomas Paine und Thomas Jefferson, auf die Trennung von Kirche und Staat. Für Fundamentalisten, die am konservativen Selbstbild der USA als christian nation festhalten, ist jedoch der Kampf gegen den Säkularismus die Hauptfront im Kulturkampf gegen die Geißeln der Menschheit, gegen »Sittenverfall«, Dekadenz, Kommunismus, Homosexualität, Gott­losigkeit und das Ehepaar Clinton.

Es sind unversöhnliche Worte, die der führende Repräsentant der Neuen Atheisten, Richard Daw­kins, in seinem Bestseller für – oder besser: ­gegen – Gott, Religion, Priester, Gläubige und zaudernde Agnostiker findet. Worte in kämpfe­rischen Kaskaden wie dieser: »Der Gott des Alten Testaments ist wohl der unangenehmste Charakter aller erfundenen Geschichten: eifersüchtig und stolz darauf; ein engstirniger, ungerechter, nachtragender Kontrollfreak; ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer Säuberer; ein frauenverachtender, homophober, rassistischer, kindertötender, völkermordender, pesterfüllter, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, unberechenbarer, böswilliger Tyrann.«

Mit John Lennons Song »Imagine« fordert Dawkins das Publikum auf, sich eine Welt ohne Religion vorzustellen – für ihn eine Welt ohne Kreuzzüge und Selbstmordattentäter. Er fordert die Befreiung von der geistigen Sklaverei der Religion. Der Glaube an Gott selbst steht für ihn zur Disposition. Und auch für Christopher Hitchens ist die Religion unter anderem »gewaltsam, irrational, intolerant«, eine Mischung aus »Tribalismus und Bigotterie« sowie feindselig gegen die Freiheit der Wissenschaft.

Hitchens und Dawkins beklagen die Repres­sionen gegen Atheisten im öffentlichen Leben in den USA. Nach einer Umfrage vom Februar 2006 würden lediglich 45 Prozent für einen Athe­isten stimmen, der niedrigste Wert weit hinter Mormonen, Politikern, die zum dritten Mal verheiratet sind, oder Homosexuellen. »Der Status der Atheisten in Amerika heutzutage ist vergleich­bar mit dem der Homosexuellen vor 50 Jahren«, meint Dawkins. Auf seinen Tourneen durch die Staaten findet er begeisterten Applaus, wenn er ein überfälliges »Coming Out« der Atheisten fordert. Dawkins vermutet diese vor allem unter den Bildungsbürgern und Eliten des Landes. Zumindest unter Kongressabgeordneten aber blieb der Ruf bislang unerhört.

Lediglich Pete Stark, ein demokratischer Ab­geordneter aus Kalifornien, bekannte im März 2006 öffentlich, nicht an ein höheres Wesen zu glauben. Stark, der für Dawkins deshalb zur Avant­garde in den USA zählt, kündigte die Unterstützung der Secular Coalition for America an. Da Stark aber zugleich den Unitariern, einer pan­theis­ti­schen Minderheit, angehört, ist auch in diesem Fall ein Verhältnis zur Religion nachweisbar. Ein Verhältnis, das für die Neuen Atheisten auch über die Trennung von Staat und Kirche hinaus aufgelöst werden sollte. Mögen Generationen seit Urzeiten an ein höheres Wesen geglaubt haben, für den radikalen Rationalisten Dawkins bleibt dies immer ein Anachronismus, egal ob es sich um Zeus, Wotan, Buddha, Jesus, Allah, die Zahnfee oder das fliegende Spaghettimonster handelt. Glaube ist für Dawkins infantil, Re­ligion ein Massenbetrug und die Wurzel des Bösen. Gerade religiöse Toleranz ist für ihn Kollaboration mit fanatischen Selbstmordattentätern und eine Kapitulation vor der organisierten Unvernunft. Für Dawkins wäre vermutlich selbst Nathan der Weise ein ausgemachter Schwachkopf.

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Die Proteste gegen die Neuen Atheisten kamen ebenso schnell wie berechenbar. In den einschlägigen Internet-Blogs toben Kreationisten und christliche Fundamentalisten gegen die satanischen Verse von Dawkins, Hitchens und anderen. Manche vermuten dabei eine abgesprochene Verschwörung. Die rechte Kolumnistin Anne Coulter, Verfasserin von »Godless. The Church of Liberalism«, delektiert sich gar an dem Gedanken, Dawkins in der Hölle schmoren zu sehen.

Doch neben der zwanghaften Liberalenbeschimpfung durch die Traditionsrechte gab es auch Kritik aus den Reihen der klassischen US-Liberalen, und auch das linke Traditionsblatt The Nation wandte ein: »Der Atheismus ist eine rein negative Ideologie, das ist sein Problem. Wenn jemand nicht an Gott glaubt, was soll an seine Stelle treten? Dawkins meint, er habe eine Antwort – Wissenschaft –, aber sein Verständnis davon ist peinlich grob und empiristisch.« Die Behauptung, Atheismus sei eine negative Ideologie, ist aber angesichts der Klassiker ein Verdikt gegen jede historische Evidenz; auch der Position von Dawkins wird der Kritiker nicht gerecht. Das Reich des »alten« Atheismus war ein radikaler Humanismus, in dem der Mensch selbst und eben kein nach dem Ebenbild des Menschen geschaffener Wunschgott das höchste Gut des Menschen ist. Ludwig Feuerbach setzte an die Stelle von Gott die Liebe und die Solidarität, der junge Marx den »kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«.

Allerdings, und hier trifft die Kritik zu, entbehrt der Vorwurf des groben Empirismus nicht jeglicher Grundlage. Nach der Lektüre des Buches bleibt der Eindruck, Dawkins wolle einen rohen Rationalismus propagieren und religiöse Gewalt wie die Kreuzzüge lediglich anhand von Papstreden erklären. Sein Blick ist der des säkularen Schriftgelehrten, fixiert auf einschlägige Bibelstellen und Traktate. Eine dezidiert politische Analyse findet nicht statt, die religiöse Überformung der Gewalt gilt als ihr Wesen. Befriedigende Antworten auf die nahe liegende Frage, warum es den evangelikalen Predigern gelungen ist, gerade große Teile der Lohnabhängigen und prekären Mittelschichten für sich zu gewinnen, ihnen erfolgreich religiöse Varianten einer nicht klassenorientierten Solidarität anzubieten, finden sich hier nicht.

Auffällig sind auch die Leerstellen in der Argumentation von Christopher Hitchens, der ein scharfzüngiger Dauergast in den Fernsehshows ist. In seine elegante pointierte Rede, bestehend aus Gags, böser Polemik und ironischer Präzision, hat er jedoch weniger Wirkungsvolles eingeschmuggelt. Der aus Großbritannien stammende Hitchens lebt seit Jahren in Wa­shing­ton und konnte im Mai 2007 stolz verkünden, dass er nun feierlich die Staatsbürgerschaft der USA erlangt habe. Nach dem 11. September 2001 wurde der langjährige Kolumnist von The Nation endgültig zum Verteidiger der Bush-Doktrin, nahm die Menschenrechts- und Freiheitsrhetorik der Neocons für bare Münze und verteidigt auch heute noch stur den Irak-Krieg. Der Solitär der Aufklärung kann aber, wenn er gegen Anne Coulter oder die American Taliban in der Nachfolge von Pat Robertson, Billy Graham und Jerry Falwell polemisiert, jedem religiösen Agitator den Schaum vor den Mund treiben.

Am Beispiel von Hitchens zeigt sich auch, dass der Neue Atheismus keine monolithische Allianz ist. Der wissenschaftsgläubige Charakter, mit dem Dawkins, Daniel Dennett und andere Anhänger der 2003 gegründeten Atheistenvereinigung Brights ein naturalistisches Weltbild propagieren, ist nicht nach seinem Geschmack. Für Hitchens bedeutet die religiöse Entzauberung der Welt die Öffnung der Sinne für den Zauber der Kunst, der Literatur und Musik. Ernste ethische Dilemmata seien bei Shakespeare, Tolstoi, Schiller und Dostojewski besser dargestellt als in der Mystik der heiligen Schriften. Kritiker zeigen sich dabei mit Recht verwundert, wie leichtfertig Hitchens Klassiker zitiert, deren Schaffen sich aus christlichen und mystischen Quellen speiste und deren Religiosität den Urtext für das eigene Werk bildete.

Ein Rätsel bleibt auch seine Einschätzung der Bush-Administration, über die Hitchens in entscheidenden Fragen auffällig schweigt. Außerdem: Wenn Religion doch alles »vergiftet«, wie erklärt Hitchens dann seine leidenschaftliche Wahlverwandtschaft mit den USA, jenem offiziell säkularen Staat im Kampf gegen die islamisch-fundamentalistische Gegenaufklärung? Denn offenbar haben die Vereinigten Staaten die permanente Kontaminierung durch Protestanten, Katholiken, Juden, Griechisch-Orthodoxe, Mormonen, Amische, Unitarier, islamische Glaubensgemeinschaften, Patchwork-Religionen wie Scientologen, Anhängern der Kabbala, Hippie-Esoterikern und Heerscharen von anderen Obskurantisten im Namen des Herrn doch glänzend überlebt. Faktisch sind die USA ohne das dynamische Spannungsverhältnis zwischen Säkularismus und Religion gar nicht vorstellbar.

Der Neue Atheismus ist keine einheitliche Bewegung, aber auch kein reines Medienphänomen. Er ist Ausdruck einer Gegenwehr der säkularen Strömung in der von Widersprüchen und Partikularismen durchzogenen US-Gesellschaft, in der alle pluralen Parteien, ob links oder rechts, im Namen ihres Amerika auftreten. Die Frontlinien zwischen dem säkularen und dem religiösen Amerika sind im beginnenden Vorwahlkampf bereits sichtbar. Barak Obama, demokratischer Bewerber um die Präsidentschaft, schreibt in seiner Autobiografie, er »glaube [sic!] an die Existenz der Evolution, an den Nutzen wissenschaftlicher Forschung« und sei »misstrauisch, wenn der Staat irgendwelche religiösen Überzeugungen (auch meine eigenen) Nichtgläubigen aufzwingen will«. Es ist sicher, dass auch Politiker mit moderaten Überzeugungen wie ­Obama ins Visier der christlichen Konservativen geraten werden. Ob sich aber aus den Reihen der Neuen Atheisten politische und nicht bloß weltanschauliche Gegenwehr gegen den evangelikalen Fundamentalismus formiert, muss sich erst zeigen.