Banges Warten

Mehr als ein Jahr nach der Entführung seines Sohnes durch die Hizbollah weiß Shlomo Goldwasser immer noch nicht, ob er ihn jemals wieder lebend sehen wird. von roman lederer, haifa

Shlomo Goldwasser wirkt erschöpft. »Wir wissen nur, was wir schon an dem Tag wussten, als Udi entführt wurde«, sagt der Vater von Ehud Goldwasser. »Und das ist nichts.« Nichts – das heißt, keine Details über den Verbleib seines am 12. Juli vergangenen Jahres von einer Hizbollah-Kommandoeinheit nahe des nordisraelischen Grenz­orts Zarit entführten Sohnes. Nichts – das heißt, keine Anhaltspunkte darüber, wie der gemeinsam mit Eldad Regev in den frühen Morgenstunden gekidnappte Soldat der Israel Defense Forces (IDF) von seinen Entführern behandelt wird. »Der einzige Beweis, dem wir Glauben schenken könnten, wäre ein vom Roten Kreuz übermittelter Brief«, sagt Goldwasser.

Doch die Hizbollah-Führung im Südbeiruter Stadviertel Haret Hreik hat weder dem Roten Kreuz noch anderen humanitären Organisationen Zugang zu den beiden Entführten erlaubt. Im November 2006, zehn Wochen nachdem die »Partei Gottes« mit ihrer Operation »Aufrichtiges Versprechen« den Libanon-Krieg ausgelöst hatte, räumte General­sekretär Hassan Nasrallah lediglich ein, dass über einen Mittelsmann die Bedingungen einer Freilassung verhandelt würden. »Das Thema liegt auf dem Tisch, wir bewegen uns vorwärts«, sagte Nasrallah bei seinem Auftritt im Fernsehsender der Hizbollah, al-Manar.

Für Shlomo Goldwasser sind das leere Versprechungen. »Wir glauben ihm kein Wort«, sagt der bis zur Entführung seines Sohns in Südafrika tätige Ingenieur gefasst. Gemeinsam mit seiner Frau Mickey wohnt er nun in Nahariya, nur zehn Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt. Die Einschläge von Katjuscha-Raketen während des 34tägigen Krieges gehörten zum Alltag. »Verglichen mit dem, was London während des Zweiten Weltkrieges durchmachen musste, waren das Peanuts«, sagt er ungerührt. Den Abzug israelischer Truppen aus dem Libanon im Mai 2000 nach über 20 Jahren Besatzung aber hält er im Nachhinein für einen Fehler: »So konnte das Krebsgeschwür Hizbollah sich ausbreiten und Operationen wie die vom 12. Juli ungestört vorbereiten.«

Für das Vorgehen der schiitisch-islamistischen Organisation in den vergangenen Monaten hat er nur Hohn übrig: »Wie kann man sich nur damit brüsten, einen Krieg gewonnen zu haben, wenn ein Jahr später noch immer alles zerstört ist?« Dass die mit mehr als einem Dutzend Abgeordneten im libanesischen Parlament vertretene Massenorganisation im Westen Gesprächspartner findet, hält er für verächtlich. Doch trotz der auch im Winograd-Report enthaltenen Kritik am israelischen Vorgehen gegen die Hizbollah hat er nicht an den Demonstrationen zum Sturz von Premierminister Ehud Olmert Anfang Mai teilgenommen. »Es war richtig, in den Krieg zu ziehen«, sagt er. »Aber die Gefangenen freizupressen, war der falsche Grund.« Verbitterung mischt sich in seine Stimme.

Goldwasser ist auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz, er ist in Eile. Rund eine Dreiviertelstunde ist man von Nahariya unterwegs zu seinem Büro am Südende von Haifa. Er trägt ein kariertes Hemd und Jeans, eine Tasche hat er nicht dabei. »Alles, was ich brauche, ist im Büro.« Ununterbrochen sind er, seine Frau oder die Frau Ehuds, Karnit, tätig, um für die Freilassung ihres Sohnes und Ehemanns zu werben. In Is­rael, in den USA und in Europa. »Wir haben den Papst getroffen, Uno-Generalsekretär Kofi Annan, seinen Nachfolger Ban Ki-Moon und Condoleezza Rice«, erzählt Goldwasser bei einem Cappuccino im Bahnhof Hof Ha Carmel.

Doch damit nicht genug: Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, habe Syriens Präsident Bashar al-Assad eine von den Goldwassers verfasste Botschaft mitgegeben, Angela Merkel ein Schreiben an Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas. Überall in Israel hängen Plakate mit Bildern von Goldwasser, Regev, dem schon 17 Tage vor deren Entführung im Gaza-Streifen gekidnappten Gilad Shalit und der Aufschrift »Bringt sie nach Hause«. In Souvenirläden gibt es Schals mit derselben Aufschrift.

Geholfen hat das bislang alles nichts, weshalb Goldwasser letztlich auch direkte Gespräche zwischen der israelischen Regierung und der Hizbollah für effektiver hält: »Als Tony Blair sich direkt an Irans Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad gewandt hat, um die im Persischen Golf gefangen genommenen britischen Soldaten freizubekommen, war die Angelegenheit innerhalb von einer Woche erledigt.«

Dass es im Falle seines Sohns so schnell nicht mehr gehen kann, lastet schwer auf Goldwasser. Immer wieder muss er an jenen 12. Juli denken, als Ehud und seine IDF-Kollegen von Hizbollah-Kämpfern attackiert wurden: Die Patrouille an Israels Grenzzaun war die letzte seines einmonatigen Einsatzes bei der Armee, am Nachmittag wollte er zurück zu seiner Frau fahren. Auch ein Treffen mit Vater und Mutter stand bevor, nachdem sie sich über ein Jahr nicht mehr gesehen hatten – das letzte Mal bei Ehuds Hochzeit mit Karnit im Sommer 2005. Erst nach der Entführung gab Shlomo seinen Arbeitsplatz in Südafrika auf, um sich gemeinsam mit seiner Frau ganz für die Freilassung seines Sohnes engagieren zu können.

Es ist ein langwieriger Kampf. Dem katarischen Fernsehsender al-Jazeera wollte Nasrallah am Montag der vergangenen Woche nicht einmal bestätigen, dass Goldwasser und Regev noch ­leben: »Für derartige Informationen können wir eine Gegenleistung erhalten, deshalb gibt es keinen Grund für uns, Informationen umsonst herauszugeben.« Am folgenden Tag erklärte er, dass Verhandlungen mit Israel unter UN-Vermittlung »weitergehen und derzeit stattfinden«. Solche Verhandlungen waren in der Vergangenheit erfolgreich. Im Januar 2004 kam es zu einem Gefangenenaustausch, der Israeli Elhanan Tannenbaum wurde freigelassen – mehr als drei Jahre nach seiner Entführung.