Weg ist das Ohr

Platte Buch Von Sigrid Weber

Es passiert im »Sportlereck«. Schreien und Kreischen, nachdem Tschechien gegen Deutschland ein Tor geschossen hat, und auf dem ­Boden liegt plötzlich ein Ohr. Dieter Rotmund weiß sofort, dass es seins ist. Es ist einfach abgefallen. Später wird er noch einen kleinen Zeh verlieren und ein kleiner Junge einen Daumen. Doch das sind die einzigen Außergewöhnlichkeiten, die Wilhelm Genazino dem Protagonisten seines neuen Romans gestattet. Alsbald werden sie zu Gewöhnlichkeiten abgeschliffen und ins Alltägliche eingegliedert. »Mittelmäßiges Heimweh« ist eine Reflexion auf die Spezies des Angestellten, der allzeit darauf eingestellt ist, sich einzustellen.

Dieter Rotmund ist 43 und arbeitet als Con­troller bei einer Pharmafirma in Frankfurt. Dass er wegen der Heimatliebe seiner Frau auch eine Wohnung im Schwarzwald finanzieren muss, nimmt er ebenso hin wie ihre ständige sexuelle Zurückweisung. Und als die Ehe wegen ihres Liebhabers endgültig auf Scheidung zusteuert, entreißt ihm das nur ein paar Schluchzer.

Genazino lässt seinen Protagonisten aus der Ich-Perspektive erzählen und offenbart dessen in Fleisch und Blut übergegangenes Ablenkungsmanöver von Gefühlsarmut und notorischem Einverstandensein. Es ist kein Widerspruch, dass Genazino seinem Protagonisten mit viel Empathie begegnet und ihn gleichzeitig vorführt. Und doch stellt sich irgendwann Ungeduld ein. Es ist auch die Innenschau der Spezies Mann in den Mittvierzigern, die trotz aller Brechungen eine Innenschau bleibt. Und das geht mit der Zeit etwas auf die Nerven.

Wilhelm Genazino: Mittelmäßiges Heimweh. Hanser, München 2007, 189 Seiten, 17,90 Euro