Fear and Loathing in Gaza

Die Stimmung im Gaza-Streifen ist repressiv, es wird immer schwieriger, objektive Informationen zu erhalten. Bislang ungeklärt ist etwa das Schicksal einer offenbar verschleppten und angeblich zwangsweise zum Islam konvertierten christlichen Professorin. von ulrich w. sahm, jerusalem

Ein israelischer Fernsehsender brachte jüngst eine »Dokumentation« über die Situation der Frauen im Gaza-Streifen. Zu sehen waren ausschließlich schwarz verhüllte Frauen, bei denen nur noch knapp die Augen herauslugten. »Das ist definitiv ein falscher Eindruck«, sagt ein Journalist, der den Gaza-Streifen im Rahmen einer »organisierten« Rundfahrt der Hamas besuchte. Gezeigt wurde bei der Tour nur das, was die westlichen Journalisten sehen sollten. Die Propaganda war penetrant dick aufgetragen. Dennoch muss man nur Augen im Kopf haben, um zu sehen, dass fast alle Frauen lange Röcke und ein Kopftuch tragen. Doch Hamastan ist noch kein Afghanistan mit Burka und Totalverhüllung.

Am Sandstrand von Gaza hat sich die Lage einigermaßen »normalisiert«, seitdem die Hamas den winzigen Landstreifen von der Größe Gibraltars gewaltsam übernommen hat. Solange die Straßenkämpfe zwischen der Fatah und der Hamas tobten, wagte sich kaum jemand an den Strand, das einzige kostenlose Erholungsgebiet in dem trostlosen Landstreifen von nur zehn Kilometern Breite zwischen Israel und dem Mittelmeer. Wie früher steigen die Frauen mitsamt ihren knöchellangen Kleidern ins Wasser. Früher gab es einen abgetrennten Strand unter Fatah-Verwaltung, wo sich Frauen auch mal im einteiligen Badeanzug zeigen durften. Doch selbst dort war der Bikini verpönt. »Sittenwächter« der Hamas achten neuerdings darauf, dass die Männer ihre Brusthaare nicht zur Schau stellen. Sie werden aufgefordert, wenigstens ein T-Shirt überzuziehen.

Was sich wirklich im Gaza-Streifen abspielt, lässt sich jedoch immer schwieriger ermitteln. »Wir glauben unseren eigenen Korrespondenten nicht mehr. Und wenn sie was schreiben, filtern wir deren Berichte«, erzählt der Direktor einer palästinensischen Nachrichtenagentur im Westjordanland. Den palästinensischen Journalisten in Gaza wurde ein Maulkorb verpasst. Selbst die Ärzte sind nicht mehr frei, ihrer lebensrettenden Arbeit nachzugehen. Der Direktor des Schifa-Hospitals wurde am 9. August mitten in der Nacht festgenommen. Die Meldung war schnell wieder aus den Medien verschwunden. Stattdessen wurde ein Streik der Mitarbeiter des Hospitals gemeldet. Sie forderten den Abzug der bewaffneten Männer vom Hospitalgelände und eine Wiedereinsetzung jener Ärzte, die als Gefolgsleute der Fatah bekannt sind und entlassen wurden.

Wohl nur, weil ihn Journalisten der Agentur Ramattan aus dem Gaza-Streifen filmten, wurde ein Überfall von Hamas-Kämpfern auf eine Hochzeit bekannt. Es gab etwa 20 Verletzte, die ins Krankenhaus nach Israel gebracht werden mussten. 15 Feiernde wurden von der Hamas verhaftet. Angeblich seien Loblieder auf die Fatah gesungen worden.

Völlig unklar ist der Fall einer christlichen Professorin der Gaza-Universität und ihrer angeblichen Zwangskonversion zum Islam. Die Dekanin Sana al-Sayegh verschwand am 24. Juni. Ihren Angehörigen und Sprechern der Fatah zufolge wurde sie entführt, wie Hunderte andere Menschen auch. Ein Verwandter und Caritas-Arzt in Gaza, Bandali al-Sayegh, bestätigte, dass Sana al-Sayegh verschwunden sei. Von ihrer Konversion zum Islam will er jedoch nichts gehört haben. »Die Menschen in Gaza haben Angst und weigern sich, über ihre Probleme zu reden«, blockt er jede weitere Nachfrage ab.

Ähnlich verhält sich Pastor Manuel Musallem, ein beliebter Gesprächspartner der Christen in Gaza. Er gibt sich als »bester Freund von Ismail Hanija« aus, dem ehemaligen Ministerpräsidenten der Hamas-Regierung. Befragt nach dem Brandanschlag auf seine Kirche und auf ein katholisches Kloster Mitte Juni – aller Wahrscheinlichkeit nach von Kämpfern der Hamas verübt –, tut Musallem jedoch zunächst, als wisse er von nichts. Dann behauptet er, dass die Schäden von der Hamas behoben worden seien.

Die Geschichte von Sana al-Sayegh wird von den palästinensischen Medien nicht einmal erwähnt. Israelische Medien griffen sie unter Berufung auf Quellen in Ramallah auf. Von einem Telefonanruf der Professorin bei ihren Eltern fünf Tage nach ihrem Verschwinden ist die Rede, demzufolge sie gegen ihren Willen festgehalten werde. Ihre Verwandten sagen zu der Konversion: »Sie ist eine gute Christin und würde so etwas niemals tun.« Doch es wird auch Ala Aklouk zitiert, ein islamischer Geistlicher aus Gaza. Der erklärt, die Frau sei »freiwillig« konvertiert und werde nicht zu ihrer Familie zurückkehren, bevor nicht alle Angehörigen zum Islam übergetreten seien. Hanan Atar, Aktivistin einer palästinensischen Menschen­rechtsorganisation, will die junge Frau mit Kopftuch und langem Kleid getroffen haben. »Sie benimmt sich wie jede andere Frau in der muslimischen Welt.«

Offene Kämpfe wie noch vor einem Monat gibt es kaum mehr, aber in Gaza geht die Angst um. Die Verhaftungen gehen weiter. Berichte über Folter und gezielte Morde können meist nicht erhärtet werden. Doch wenn selbst die Entführung einer bekannten Professorin der Gaza-Universität und ihre angebliche Zwangskonversion zum Islam geflissentlich verschwiegen werden, steht es nicht gut um die Menschen, und schon gar nicht um die winzige christliche Minderheit von weniger als 3 000 Personen im Gaza-Streifen.