Dilettanten im Dilemma

Der TuS Makkabi Berlin hat per Gerichtsbeschluss seine Teilnahme an der höchsten Kreisliga erwirkt. Für den Berliner Fußballverband ist das ein »Tabubruch«. Dabei blieb dem Club keine andere Wahl. von alex feuerherdt

So endet ein Skandal, der bundesweite Schlagzeilen machte: Das Opfer wurde bestraft, die Schuldigen sind glimpflich davongekommen – Makkabi Berlin, Ende September Zielscheibe antisemitischer Angriffe, blieb nun nichts anderes übrig, als vor Gericht gegen den Berliner Fußballverband zu klagen. Denn der kündigte im vorigen Herbst zwar vollmundig Konsequenzen an, verhinderte mit einer Reihe von Verfahrensfehlern jedoch die lebenslange Sperre für den Schiedsrichter der damaligen Partie und zudem auch noch den Aufstieg der Westberliner.

Bei der Partie zwischen den Reserveteams der VSG Altglienicke und dem TuS Makkabi Berlin hatte eine Gruppe von Neonazis fortwährend antisemitische Parolen gegrölt (Jungle World 42/06). Der Schiedsrichter unternahm nichts, obwohl ihn die Makkabi-Spieler mehrmals auf die Hassgesänge aufmerksam machten, und auch der gastgebende Verein blieb untätig. Die Gäste verließen daraufhin nach 78 Minuten den Platz; das Spiel wurde vorzeitig beendet.

Der Schiedsrichter erhielt anschließend eine lebenslange Sperre, während Altglienicke vergleichsweise glimpflich davonkam: Der Verein musste lediglich zwei Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit austragen und fortan mit Armbinden gekennzeichnete Platzordner stellen, die gegen antisemitische und rassistische Parolen einschreiten sollen. Den Spielern, Trainern und Betreuern wurde zudem aufgetragen, an einem Seminar des Berliner Fußballverbandes (BFV) gegen Rassismus teilzunehmen. Das abgebrochene Spiel wurde neu angesetzt.

Doch damit war die Angelegenheit noch lange nicht beendet. Zunächst legten beide Vereine und der Unparteiische Berufung gegen das Urteil des Sportgerichts ein. Zugelassen wurde jedoch nur der Einspruch des Schiedsrichters, weil diesem keine Rechtsbelehrung erteilt worden war. Seine Sperre wurde aufgehoben; seitdem darf er wieder pfeifen, wenn auch nur in der Freizeitliga.

Das Wiederholungsspiel zwischen Altglienicke und Makkabi musste erneut abgebrochen werden, diesmal allerdings nicht wegen Ausschreitungen, sondern weil der Platz unbespielbar geworden war. Als die Partie Ende März zum dritten Mal anberaumt wurde, schickte die Altglienicker Zweitvertretung nicht weniger als sieben Spieler ihrer ersten Mannschaft aufs Feld und gewann mit 4:1. Makkabi legte Einspruch ein: Ein Einsatz dieser Aktiven sei der Spielordnung zufolge erst zehn Tage oder zwei Punktspiele nach einer Partie der »Ersten« erlaubt. Das Sportgericht des BFV gab der Beschwerde Ende April statt und sprach Makkabi die Punkte zu.

Die zweite Mannschaft des Clubs beendete die Spielzeit Anfang Juni als Tabellendritter und stieg in die Kreisliga A auf – so schien es zumindest. Doch vier Wochen nach Saisonschluss kassierte das Verbandsgericht des BFV den erst­instanzlichen Spruch und wertete das Wiederholungsspiel mit dem auf dem Platz erzielten Ergebnis, also einem 4:1 für Altglienicke. Zur Begründung hieß es, die in den Statuten vorgesehene Pause von zehn Tagen oder zwei Punktspielen, nach der Spieler der ersten Mannschaft eines Vereins in einem Reserve­team eingesetzt werden dürfen, beziehe sich auf die Partien der unter-, nicht der höherklassigen Mannschaft. Und da die VSG Altglienicke II zwischenzeitlich zwei Spiele absolviert habe, sei der Einsatz von Spielern der »Ersten« zulässig gewesen.

Erst durch diesen neuen Beschluss erfuhr Makkabi, dass Altglienicke kurz vor Ablauf der zweiwöchigen Berufungsfrist Anfang Mai Einspruch gegen das Urteil der ersten Instanz eingelegt hatte. Das Verbandsgericht hatte also volle zwei Monate gebraucht, um darüber zu befinden – vorgesehen sind jedoch maximal 18 Tage und zudem eine rechtzeitige Information der Betroffenen. Durch die Neuwertung verlor Makkabi seinen dritten Platz und befand sich deshalb nicht mehr unter den Aufsteigern.

Nun suchte der Verein das Gespräch mit dem Präsidium des BFV. Dort empfahl man ihm, beim Verbandsvorstand ein »Gnadengesuch« einzureichen. Makkabi lehnte ab und schlug als Kompromiss vor, die Kreisliga A von 16 auf 17 Mannschaften aufzustocken. Das Verfahren wurde schließlich vom Verbandsgericht wieder aufgenommen; Anfang August fällte es sein abschließendes Urteil: Zwar habe die »vorerkennende Kammer« schwer wiegende Verfahrensfehler begangen, doch ihr Spruch bleibe bestehen, auch wenn das »bedauerlich für den TuS Makkabi« sei und einen »bitteren Beigeschmack« hinterlasse.

Daraufhin zog Makkabi vor das Landgericht Berlin und erwirkte dort per einstweiliger Verfügung die Teilnahme seiner zweiten Mannschaft an der Kreisliga A – für BFV-Präsident Bernd Schultz ein schwerer Eingriff in die Autonomie des Fußballverbands: »Dass ein Verein mit juristischen Mitteln gegen eine Entscheidung des Sportgerichts vorgeht, ist ein Tabubruch«, sagte er der Jungle World. Zwar seien die vorangegangenen Formfehler und Versäumnisse bedauerlich, doch letztlich sei ein Urteil auf der Grundlage der Spielordnung getroffen worden, das Makkabi zu akzeptieren habe. Den Kompromissvorschlag des Clubs findet Schultz abwegig: »Mit einer Aufstockung der Kreisliga ist keinem geholfen, weil dann andere benachteiligt werden.« Außerdem wolle man keinen Präzedenzfall schaffen.

Makkabi-Präsident Tuvia Schlesinger hat dafür kein Verständnis. »In den vergangenen Jahren wurde schon öfter eine Liga vergrößert. Außerdem wird niemand übervorteilt, denn alle haben jetzt eine Saison Zeit, sich auf 17 Mannschaften einzustellen«, sagte er der Jungle World. Auch den Vorwurf, mit der Einschaltung des Gerichts eine Grenze überschritten zu haben, mochte er nicht gelten lassen: »Angesichts dieser drastischen Verfehlungen blieb uns nur die Justiz.« In dem Streit gehe es zudem weniger um Formalitäten als um moralische Aspekte: »Der Verband verschanzt sich hinter seiner angeblichen Rechtsprechung und seinen Sonntagsreden. Er ist nicht bereit, seiner hochtrabenden Ankündigung eines Kampfes gegen Antisemitismus und Rassismus auch Taten folgen zu lassen.« Der TuS Makkabi habe sich kompromissbereit gezeigt, »aber der BFV ist borniert, unbelehrbar und scheinheilig«. Schlesinger vermutet hinter dem letztinstanzlichen Urteil des Verbandsgerichts »eine Retourkutsche, weil wir in Altglienicke den Platz verlassen haben«, und fragt sich: »Werden wir etwa so behandelt, weil wir ein Verein mit jüdischen Wurzeln sind?«

In der Tat drängt sich dieser Eindruck auf. Denn anders ist die Hartnäckigkeit kaum zu erklären, mit der die Sportgerichtsbarkeit wie auch der BFV sich trotz einer ganzen Reihe haarsträubender Fehler dem praktikablen Vorschlag des TuS Makkabi verweigern und sich stattdessen plötzlich an Paragrafen und Prinzipien klammern, die sie selbst mal unterschiedlich auslegen, mal gänzlich missachten. Der Spielabbruch im vergangenen September und der Streit um die Wertung des Wiederholungsspiels mögen formal nichts miteinander zu tun haben. Doch es wäre geradezu grotesk, wenn Makkabi aus der ganzen Angelegenheit ohne jedes eigene Verschulden als Geschädigter hervorgehen würde.

Weil das Gericht erst über den Einspruch des BFV entscheiden muss, wurde der Saisonbeginn in der Kreisliga A derweil auf Mitte September verschoben. Tuvia Schlesinger nennt diesen Beschluss »die erste vernünftige Entscheidung, die der Verband getroffen hat«. Mit einem länger dauernden juristischen Prozess rechnet er nicht: »Dass wir eine einstweilige Verfügung erreicht haben, zeigt, dass unsere Rechtsauffassung nicht so falsch sein kann.«