Der Zar von Belgrad

Für die treue Unterstützung im Kosovo-Konflikt belohnt die serbische Regierung Russland. Für Putin besteht die Möglichkeit, den Einfluss der USA und der EU ­zurückzudrängen. von boris kanzleiter, belgrad

Monatelang wurde das prunkvolle Jugendstil­gebäude aufwändig renoviert. Seit einigen Tagen ist es wieder eröffnet, das Café Ruski Car (Russischer Zar) in Belgrad erstrahlt in neuem Glanz. Gewaltige Kronleuchter und Fürstenpor­traits in Goldrahmen beherrschen den groß­zügigen Salon, in dem ältere Damen in feinen Kostümen Kuchen essen. Durch die Eingangstüren eilen Kellner in Kosakenkostümen und servieren den Zeitungslesern auf der Straße ­ihren Frühstückskaffee. Von hier aus sieht man auf den Platz der Republik, das Zentrum der Stadt.

Russland steht in diesem Sommer in Serbien hoch im Kurs. Davon zeugt nicht nur die Neueröffnung des exponierten Ruski Car. Das zeigen auch die Kommentarspalten der Presse, in denen Russlands neu gewonnenes Selbstvertrauen gelobt wird. Während die Botschafter der west­li­chen Länder bei ihren öffentlichen Auftritten misslaunig erscheinen, tingelt Moskaus lächelnder Gesandter Alexander Alexejew als Haupt­attraktion über Empfänge und Hochzeiten von Prominenten. Auf die Spitze trieb die Sympathiekundgebungen kürzlich Tomislav Nikolic. Der populäre Vorsitzen­de der Serbischen Radikalen Partei (SRS) erklärte, Serbien solle lieber eine »russische Provinz« werden als eine »Kolonie der Europäischen Union«.

Die heftige Zuneigung für Russland ist kaum erstaunlich. Sie wird befeuert durch die seit 18 Monaten anhaltenden Verhandlungen um den zukünftigen völkerrechtlichen Status des Kosovo. Es ist dabei allein die Kompromisslosigkeit der russischen Regierung, die die von der albanischen Bevölkerungsmehrheit mit Unterstützung der westlichen Staaten geforderte Abspaltung der Provinz bisher verhindert hat. Dafür wird Russland gedankt. Denn mit dem Kosovo steht für große Teile der Bevölkerung die Nation auf dem Spiel. Die Provinz mit ihren mittelalter­li­chen Klöstern sei das »Herz und die Seele« Serbiens, behauptet Ministerpräsident Vojislav Kos­tunica immer wieder. Am Konflikt um das Kosovo – den Ausgangspunkt des kriegerischen Zerfalls Jugoslawiens seit 1991 – zeigt sich die über Jahre verfestigte Überzeugung, vom Westen ungerecht behandelt zu werden.

Der Kosovo-Konflikt ist freilich nur der Anlass, der die traditionelle serbisch-russische Freundschaft in diesen Monaten erneut bestärkt. Im Hin­tergrund stehen darüber hinausgehende Interessen. Für Vladimir Putin ist die Partnerschaft mit Serbien ein Geschenk des Himmels. Es schmei­chelt ihm nicht nur, dass Russland hierzulande nicht als Bedrohung – wie in den meisten anderen Ländern Osteuropas –, sondern als Beschützer wahrgenommen wird. Im Kosovo-Konflikt kann der russische Präsident außerdem exemplarisch fordern, was er im Februar in seiner viel beachteten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu den neuen Leitlinien seiner Außenpolitik erklärt hat: Der Westen solle von »unilateraler« Politik in internationalen Konflikten Abstand nehmen. Russland will mitbestimmen und dabei den Einfluss der USA zurückdrängen. Die internationalen Beziehungen sollen nicht durch einseitige Hegemonialpolitik, sondern durch das bestehende internationale Recht geregelt werden.

Es geht dabei allerdings um Machtinteressen, nicht nur um Prinzipien. Auf dem Gipfeltreffen der Schwarzmeerstaaten Ende Juni in Istanbul erklär­te Putin: »Der Balkan und die Schwarzmeer-Region waren immer eine Sphäre unseres besonderen Interesses.« Und er fügte programmatisch hinzu: »Es ist natürlich, dass ein wieder auferstehendes Russland dorthin zurückkehrt.« Mit der Übernah­me der Rolle der Schutzmacht für Serbien könnte es Putin tatsächlich gelingen, zumin­dest an einer Stelle den seit dem Fall der Ber­li­ner Mauer 1989 anhaltenden Expansionsdrang von Nato und EU nach Ost- und Südosteuropa ein­zudämmen.

Denn je mehr sich Serbien an Russland bindet, desto weiter entfernt es sich von der Nato und der EU. In der vergangenen Woche beschuldigten einige Minister der Demokratischen Partei Serbiens von Ministerpräsident Kostunica den Westen, im Kosovo ein »Nato-Militärregime« aufbauen zu wollen. So hören sich keine Regierungs­funk­tionäre an, die eine Westbindung befürworten. Der ehemalige Chef des serbischen Verhand­lungs­teams im Kosovo-Konflikt, Leon Kojen, forderte die Beendigung der Gespräche über eine Mitglied­schaft in der EU, falls in diesen eine Unabhängigkeitserklärung des Kosovo anerkannt werde. Dabei zählt Kojen als Berater von Staatspräsident Boris Tadic von der liberalen Demokratischen Partei zu den eher moderaten Leuten. Tomislav Nikolic von der SRS will in diesem Fall die diplomatischen Beziehungen zum Westen sogar ganz abbrechen.

Neben den politischen Interessen spielen in der neuen Allianz zumindest, was Russland angeht, wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. Russlands reiche Oligarchen suchen nach Investitions­möglichkeiten im Ausland. Als Dank für die Unterstützung im Kosovo-Kon­flikt ermöglicht Kos­tunica russischen Unternehmen, die dem Kreml nahe stehen, den Zugriff auf attraktive Betriebe. Im Juli empfing er beispielsweise einen Freund Putins und Aluminium-Magnaten, Oleg Deripaska, der sich an der Übernahme des ehemals größ­ten europäischen Kupferbergwerks bei Bor in Ostserbien interessiert zeigt. Kurze Zeit später traf sich Kostunica auch mit Valerij Okulov, dem Direktor der russischen Fluggesellschaft Aeroflot, die die staatliche serbische Fluglinie JAT kau­fen will. Aeroflot könnte so auch den Belgrader Flughafen übernehmen und sich damit den Zugang zum westeuropäischen Markt erleichtern.

Die wirtschaftlichen Daten zeigen aber auch die Grenzen der neuen russisch-serbischen Al­lianz. Zentrale ökonomische Sektoren wie die Finanzwirtschaft sind fest in der Hand westlicher Konzerne. Eine Isolationspolitik, wie von Nikolic vorgeschlagen, wäre daher abenteuerlich. Sie würde auch nicht den Wünschen der meisten Serben entsprechen. Denn nach aktuellen Meinungsumfragen ist die große Mehrheit zwar der Meinung, dass das Kosovo Bestandteil Serbiens bleiben müsse, gleichzeitig wollen aber auch 71 Prozent in die Europäische Union. Es meh­ren sich daher Stimmen, welche die Vorzüge der »jugoslawischen Schaukelpolitik« zwischen Ost und West unter Tito loben.