Hitze von unten

In den neunziger Jahren als Geheimtipp gehandelt, ist die Geothermie in Deutschland eine von der Öffentlichkeit kaum beachtete Energietechnologie geblieben. von heiko balsmeyer

Sonne, Wind und Wasser. Wenn von erneuerbarer Energie die Rede ist, fehlt bei der Aufzählung meis­tens eine Technologie: die Energie, die aus der Erde kommt. Ziel der Anstrengungen im Bereich der Geothermie ist die Nutzung der Erd­wärme für unterschiedliche Zwecke. Eine Möglichkeit ist die als »Hot-Dry-Rock« bezeichnete Technologie. Bei Hot-Dry-Rock werden mehrere tiefe Bohrungen in die Erde vorgenommen, um die Erdwärme zu erschließen. In Tiefen von vier bis sechs Kilome­tern herrschen Temperaturen von beachtlichen 150 bis über 200 Grad Celsius. Im Anschluss an die tiefen Bohrungen wird mit Druck Wasser in die Erde gepresst. So sollen zwischen den Bohrun­gen Wege für das Wasser aufgebrochen oder vorhandene Wege erweitert werden. Auf diese Weise entsteht eine Art großer unterirdischer Wärmetauscher. Von der Oberfläche eingepresstes Wasser kann sich im Untergrund erhitzen. Nach dem Austritt an der Oberfläche dient es mithilfe einer Turbine zur Stromerzeugung oder kann in ein Wär­menetz zur Wärmeversorgung von Wohnhäusern, für industrielle oder landwirtschaftliche Prozesse genutzt werden. Das ausgekühlte Wasser wird anschließend wieder mit einer Pumpe in den Un­tergrund gepresst. So wird die Schicht, aus der es entnommen wurde, wieder aufgefüllt.

In einem solaren, das heißt zu 100 Prozent auf die Nutzung erneuerbarer Energien umgestellten Energiesystem wäre das Potenzial für Hot-Dry-Rock groß. In kleinen dezentralen Anlagen von 20 bis 50 Megawatt installierter Leistung kann nicht nur Strom, sondern vor allem auch Wärme gewonnen werden. Insbesondere diese wichtige Wärme haben erneuerbare Energien bisher kaum erschlossen. In Deutschland beispielsweise hat die Wärme einen Anteil von 60 Prozent an der Endenergie. Allein für den Bereich Raumwärme in privaten Haushalten wird ein Viertel der gesamten Endenergie verwendet. Während nun erneuerbare Energien – vor allem die Windenergie – im Strombereich bereits einen Anteil von 11,8 Prozent erreicht haben, sind es im gesamten Wärmebereich bisher lediglich etwa sechs Prozent. Hier könnte Geothermie nutzbringend verwendet wer­den, denn Erdwärme ist nicht nur zeitlich unabhängig und in der Praxis zuverlässig verfügbar. Für ihre Nutzung ist auch kein zusätzlicher Speicher notwendig, und sie kann weltweit erschlossen werden.

In Deutschland sind derzeit 30 größere Anlagen mit einer Leistung von etwa 100 Megawatt in Betrieb. Im November 2003 nahm im mecklenburgischen Neustadt-Glewe erstmals ein Kraftwerk zur Erzeugung geothermischen Stroms den Betrieb auf, welches 500 Haushalte versorgt. Bei der geothermischen Kraft-Wärme-Kopplungsanlage steht die Wärmeversorgung im Vordergrund, die Erzeugung von Strom ist nur ein lukratives Ne­ben­produkt in Zeiten geringer Wärmenach­frage. Wenn es in den Wintermonaten zu einer starken Wärmenachfrage kommt, wird die Strom­erzeugung kurzfristig auch ganz eingestellt. Für die zweite Jahreshälfte 2007 ist die Inbetriebnahme von drei weiteren Kraftwerken geplant. Insbesondere in Bayern wird die preiswerte Wärmeversorgung aus dem Erdreich geschätzt. So haben die Stadtwerke München für die Wärmeversorgung der Messestadt Riem ein geothermisches Kraftwerk errichten lassen. Seit Mitte 2004 wird auf diese Weise die Hälfte des Wärmebedarfs der 16 000 Bewohner gedeckt. In Unterhaching ging ein entsprechendes Kraftwerk im Mai in Betrieb, in Sauerlach soll die Wärmelieferung 2009 begin­nen.

Aber auch in der nahen Zukunft ist mit dem Bau weiterer geothermischer Kraftwerke zu rechnen. Etwa 100 Orte werden auf ihre Eignung geprüft. Besonders aussichtsreich sind die Gebiete des süddeutschen Molassebeckens, der Ober­rhein­graben und Teile der norddeutschen Tief­ebene. Hier lassen sich Tiefengewässer mit Temperaturen zwischen 40 und 100 Grad Celsius finden.

Gefördert werden geothermische Kraftwerke durch die Umlagen des Gesetzes für erneuerbare Energien (EEG). Nach dem EEG wird die Erzeugung von Strom aus Geothermie mit 7,16 bis 15 Cent pro erzeugter Kilowattstunde vergütet. Die Höhe der Förderung richtet sich nach der Größe der An­lage, wobei kleinere Anlagen eine höhere Förderung bekommen. Allerdings sind diese Zahlungen für den erzeugten Strom eher ein netter Nebeneffekt. Entscheidender ist – wie bereits beschrieben – die Nutzung der Wärme. Um die Wärme aus der Tiefe nutzen zu können, müssen Nah- oder Fernwärmenetze vorhanden sein. Dies ist aber lediglich in größeren Städten oder Neubausiedlungen der Fall. Um der Geothermie zum Erfolg zu verhelfen, müssten also auch die Wärmenetze an geeigneten Standorten erweitert werden.

Welche Potenziale Geothermie hat, kann der Blick ins Ausland zeigen. Die Erdwärme wird in über 60 Ländern genutzt. Einen bemerkenswerten Anteil an der Stromerzeugung hat sie auf den Philippinen, in El Salvador, Nicaragua, Island, Cos­ta Rica, Kenia und Neuseeland. Der Anteil beträgt zwischen fünf und 20 Prozent der dortigen Strom­erzeugung. Die US-amerikanische Metropole San Francisco wird fast ausschließlich mit Strom aus Erdwärme versorgt.

Besonders intensiv wird die Geothermie in Island genutzt. Die aktiven Vulkane erleichtern die Ener­gieversorgung der Insel im Nordatlantik. Etwa die Hälfte der Primärenergie stammt aus Erdwärme. Fünf geothermale Kraftwerke erzeugen fast ein Fünftel der benötigten Elektrizität. Etwa 90 Prozent aller isländischen Haushalte beziehen von ihnen die Wärme für Heizung und Warmwasser. Da auch das Stromsystem zusammen mit der Was­serkraft zu 99,9 Prozent auf erneuerbaren Energien beruht, kann das isländische Energiesystem als solares bezeichnet werden. Allerdings scheint der Reichtum an Energie auch sehr verführerisch zu sein. So werden etwa Gehsteige in Reykjavìk und Akureyri im Winter beheizt, um sie eis- und schneefrei zu halten. Die mehr als 40 Kilometer lange Straße von Rejkjavík zum Flughafen wird nachts durchgehend mit Straßenlaternen beleuch­tet.

Auch in Deutschland lässt sich in letzter Zeit eine interessante Beobachtung machen. Es tut sich etwas im Erdreich unter neuen Häusern, ins­besondere unter privaten Einfamilienhäusern. So konstatiert der Bundesverband Wärmepumpe allein für das Jahr 2006 den Verkauf von rund 43 900 Wärmepumpen. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich der Absatz also mehr als verdoppelt, denn 2005 wurden nur 18 500 dieser Geräte installiert.

Die fortwährenden öffentlichen Diskussionen um steigende Energiepreise und Klimawandel stoßen offensichtlich in der solventen Mittelschicht auf Resonanz. Schließlich versprechen Wärmepumpen eine Einsparung von 50 Prozent der Energiekosten. Schon nach sieben bis zehn Jahren hat sich der ökonomische Mehraufwand für die Wärmepumpe amortisiert. Die Geothermie­branche konnte aufgrund steigender Energieprei­se ihren Umsatz auf immerhin 590 Millionen Euro erhöhen, und dies, obwohl Wärmepumpen seit 2001 nicht mehr im »Marktanreizprogramm« zur Förderung von Maßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien berücksichtigt werden.

Das Funktionsprinzip einer Wärmepumpe kann durch den Vergleich mit einem Kühlschrank veranschaulicht werden. Der Unterschied liegt im gewünschten Ergebnis des Heizens oder Kühlens. Während man den Lebensmitteln im Kühlschrank über den Verdampfer Wärme entzieht, um diese zu kühlen, wird über den Verflüssiger an der Rück­seite des Kühlschranks Wärme abgegeben. Bei der Wärmepumpe wird hingegen über den Verdampfer die Wärme der Umwelt (Wasser, Erdreich, Außenluft oder Abluft) entzogen und über den Verflüssiger dem Heizsystem zugeführt. Die Attraktivität der Wärmepumpe besteht darin, dass sie mit ungefähr 25 Prozent Antriebsenergie die rest­lichen 75 Prozent nutzbarer Energie kostenlos aus der Umgebung zieht. Aus einem Kilowatt elektrischer Energie gewinnt die Wärmepumpe vier Kilowatt thermische Energie. Allerdings benötigt sie dafür elektrischen Strom. Wenn dieser aus dem Netz entnommen wird, werden auch nicht erneuerbare Energien Teil des Systems. Denn der Strom im Netz ist vor allem fossiler und atomar erzeugter Strom. Mit einem höheren Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung verbessert sich also auch die Umweltbilanz von Wärmepumpen. Das Umweltbundesamt empfiehlt daher: »Grundsätzlich gilt: Vorrangig sollten Gebäudeeigentümer zunächst den Energiebedarf ihres Gebäudes durch bauliche Maßnahmen reduzieren, um günstige Bedingungen für den Einsatz von Wärmepumpen zu schaffen (z.B. Niedertemperaturheizung). Danach kann man den verbleibenden Bedarf umso umweltfreundlicher decken, auch mit elektrischen Wärmepumpen.«

Nach der Forschungsphase werden geothermische Kraftwerke bereits betrieben. Allerdings wird politische Unterstützung für den Ausbau der Wär­menetze notwendig sein, wenn der Anteil geothermisch erzeugter Wärme steigen soll.