Unschuld vom Lande

Die Bürgermeister in Ostdeutschland sind die letzten, die von der Gesinnung ihrer Be­völkerung Notiz nehmen. kommentar von thomas blum

Man hat sich daran gewöhnt, dass drei Viertel der Fläche Ostdeutschlands eine unbeschilderte »No-Go-Area« ist und dass jedes »Volksfest« dort innerhalb einer halben Stunde zu einer Art Ku-Klux-Klan-Versammlung mutiert. Jeder ostdeutsche Bürgermeister, der in regelmäßigen Abständen zur Kenntnis nehmen muss, dass seine Dorf­bevölkerung wieder einmal in fröhlich ausgelassener Stimmung ihrer bevorzugten Freizeitbeschäftigung nachgegangen ist und ein paar dunkelhäutige Menschen malträtiert oder niedergestochen hat, beeilt sich hinterher zu betonen, dass es in seiner Gemeinde keine Rechtsextremisten gebe. Dem kann man zweierlei entnehmen: Entweder die Bürgermeister ostdeutscher Provinzkäffer verlassen nie ihre Wohnung oder aber sie beziehen all ihre Informationen aus der »Sesamstraße« und würden einen Rechtsextremisten nicht einmal dann erkennen, wenn er die Hacken zusammenschlagend und den Hitlergruß entbietend vor ihrer Tür stünde.

Lautes Gebrüll wie »Ausländer raus« oder »Hier regiert der nationale Widerstand« wird in der Regel von den Politikern, der Polizei und den Medien unverzüglich nach dem Geschehen mit der Bemerkung kommentiert, dass Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus keinerlei Rolle gespielt hätten. Das ist ungefähr so, als antworte ein kleiner Junge, dessen Finger bis zum Handgelenk im Marmeladenglas stecken und dessen Mund sichtbare Spuren des Glasinhalts aufweist, er habe die Stoßfestigkeit des Glases prüfen wollen. Sein Tun würde nach aller bisherigen Erfahrung von den staatlichen Stellen wohl mit dem Kommentar versehen, dass insbesondere bei Kindern eine Vorliebe für Süßigkeiten auszuschließen sei.

Auch die als Rechtfertigung gemeinte Feststellung, es habe sich bei den Tätern wohl um bedauernswert verwirrte Menschen gehandelt, die zu tief ins Glas geschaut hätten, lässt die Frage offen, warum der Genuss von drei, vier Gläsern Bier bei Menschen in anderen Gegenden der Welt sonderbarerweise nicht den Wunsch entstehen lässt, andere Menschen totzuschlagen. Auch nach langjährigem regelmäßigen Konsum alkoholhaltiger Getränke konnte ich bei mir selbst weder Mordlust noch Hass auf dunkelhäutige Menschen feststellen.

Weil man bis heute nicht eingestehen will, dass es sich bei vielen Heranwachsenden in Ostdeutschland um gehörige Dummbeutel mit einem »gefestigten rechtsextremen Weltbild« handelt und bei einem nicht geringen Teil der ansässigen Bevölkerung um nicht minder fanatisierte Kleinbürger, die ihren stumpfsinnigen Nachwuchs bestenfalls gewähren lassen und Maulaffen feilhalten, wenn sie ihm nicht grölend bei seinem Tun applaudieren, muss man sich seit Jahr und Tag denselben enervierenden Sermon anhören. »Arbeitslosigkeit«, »Zukunftsangst« und »Perspektivlosigkeit« seien die Gründe dafür, dass man in Ostdeutschland eine Vorliebe für das Jagen und Totschlagen von Menschen hat, meinen das Bundesfamilienministerium und die Schar der allgegenwärtigen Medienschwätzer. Die Frage, warum sich die vermeintlich vor der Zukunft ängstigenden, kleinmütigen Gemütskranken sich dann nicht vor lauter Perspektivlosigkeit selbst gegenseitig die Keulen über ihre Rüben ziehen, hat jedoch noch keiner beantwortet.