Heiße Ware aus dem Knast

Waren Sie schon im Gefängnis shoppen? Justizvollzugsanstalten bemühen sich verstärkt darum, die von Inhaftierten hergestellten Produkte unter die Leute zu bringen. Auf Basaren, in »JVA-Shops« und im Internet sollen die Käufer zuschlagen. von jana brenner

Neugier und die Hoffnung auf Nervenkitzel haben das Ehepaar aus Berlin-Reinickendorf in den »JVA-Shop« nach Tegel gelockt. Jetzt steht es in einem Ausstellungsraum mit Kinderspielzeug. »Na, ein mulmiges Gefühl hab’ ich ja schon«, sagt die Frau mit Goldschmuck und rosa Fleece-Jacke, »dann denke ich, oh, gleich haste einen im Nacken.« Ihr Mann untersucht eine Spielwerk­bank aus Holz. »Also, das ist alles super verarbeitet, das muss man sagen.« Seine Frau wirft immer wieder unsichere Blicke in die Richtung der Gefängnismauer. Kaufen wollen die beiden heute nichts. Aber bestimmt kommen sie wieder.

Ginge es nach den Justizvollzugsanstalten, sollten noch viel mehr Leute in den Gefängnissen einkaufen gehen. Sie werben um die Kunden mit Ba­saren, Läden an den Gefängnissen und Online-Shops. Lieferschwierigkeiten gibt es nicht. Die Gefängnisse sind voll, die Insassen laut Gesetz zur Arbeit verpflichtet. Jeder unter 65 muss die ihm angebotene Arbeit annehmen. Ausgenommen von dieser Regelung sind Frauen, die schwan­ger oder in der Stillzeit sind. Sonst heißt es wie draußen: keine Kohle bei Arbeitsverweigerung. Gefangene, die die mitunter stupiden Arbeiten nicht ausführen wollen, kriegen keinerlei finanzielle Unterstützung von der Anstalt. Dann müssen Freunde und Verwandte das Geld für die Wocheneinkäufe überweisen.

Das für manche anscheinend aufregende Shop­ping gestaltet sich eigentlich ziemlich nüchtern, zumindest in Tegel. In den Räumen einer ehemaligen Dienstwohnung und im Garten davor steht kreuz und quer herum, was es zu kaufen gibt – Tiffany-Lampen, Aktentaschen, Metallbänke. Aber es läuft: 100 000 Euro brachten der Shop und die Märkte im vorigen Jahr ein, 8 000 Euro waren es allein beim Frühlingsbasar im März.

Auch die »JVA-Online-Shops« der Länder Nieder­sachsen und Nordrhein-Westfalen sind unspektakulär gestaltet. Hundespielzeug, Holz­oster­hasen und Kerzenständer werden mit Text und Bild angepriesen, der Käufer klickt sich ohne viel Schnick­schnack bis zum Bezahlen durch. Acht der 37 Gefängnisse in Nordrhein-Westfalen bieten seit Anfang des Jahres 2005 Produkte online an, die niedersächsischen Gefängnisse gingen 2001 mit ihren Angeboten ins Netz. Zufrieden sind die Betreiber allemal. Der Jahresumsatz in Nordrhein-Westfalen liegt bei 100 000 Euro. Obwohl es in jeder Anstalt Betriebe gibt, produzieren nur einige direkt für den zahlenden Kunden. Ansonsten arbeiten die Gefangenen hauptsächlich für Unternehmen und die öffentliche Hand.

Der Gewinn kommt der Landeskasse zugute, bei Produkten aus »arbeitstherapeutischen Maßnah­men« geht das Geld vollständig an die Anstalten. Die Gefangenen in Nordrhein-Westfalen verdienen zwischen 5,96 Euro und 13,23 Euro am Tag. In den anderen Bundesländern sieht die Entlohnung ähnlich mau aus, in Niedersachsen sind es durch­schnittlich 10,58 Euro am Tag bei 39,75 Wochenstunden. Vollständig ausgezahlt wird das Geld nicht. Das meiste spart die Anstalt wie gesetzlich vorgeschrieben für den Tag der Entlassung. Der Betrag soll dem Häftling den Lebensunterhalt in den ersten vier Wochen in Freiheit sichern.

Hungerlohn, langweilige Tätigkeiten – viele Gefangene freuen sich trotzdem über einen Arbeitsplatz, ist er doch die einzige Alternative zum stundenlangen Einschluss. Michael W. aus Köln saß fünf Monate in Untersuchungshaft in der JVA Ossendorf. Er sei froh gewesen, dass er als »Hausarbeiter« seine Zelle für mehrere Stunden am Tag verlassen konnte. Briefe schreiben, aus dem doppelt vergitterten Fenster starren, lesen, Gymnastik und »schier endloses Spielen von Real-Solitär«, das hatte er gemacht, bevor er die Arbeit bekam. »Man stumpft alleine dadurch weniger ab, dass man irgendeine Beschäftigung hat. Außerdem hat man Kontakt zu anderen«, sagt der 23jährige.

Bei dem, was die Inhaftierten teilweise machen müssen, fällt es schwer, sich vorzustellen, dass man dabei weniger abstumpft. In der JVA Tegel kratzen Häftlinge Stanniolpapierreste von großen Rollen. »Wir sind froh, dass wir so einfache Arbeiten anbieten können«, sagt Klaus-Dieter Blank, der Leiter des »voll­zuglichen Arbeitswesens«. 39 Prozent der in Tegel Inhaftierten hatten bei der jüngsten Erhebung keinen Schulabschluss. Für sie seien die einfachen Arbeiten gerade richtig. Eine weitere Auswahl »einfacher Arbeiten« aus deutschen Gefängnissen: Kordeln durch Einkaufstüten ziehen (für Douglas), Bügelbrettbezüge verpacken (für Tchibo), Grußkarten sortieren.

Das sächsische Justizministerium nennt seinen Internet-Shop »Gitterladen«. Die Seite gibt es seit März 2005. Im Angebot ist von Gefangenen produzierter Weihnachtsschmuck. Räucher­männ­chen, klar, wir sind ja in Sachsen. Sie sehen allerdings etwas anders aus als die herkömmlichen Holzkollegen, sie tragen gestreifte Gefängniskleidung. In der Rubrik »Volkskunst« wird ein Männchen so angeboten: »Beachtung finden Details wie die Zigarette im Mund und die Kugel am Bein.« Die Inhaftierten schnitzen ein Klischee­bild ihrer selbst.

Überlässt man Werbeagenturen die Vermarktung, kommen die Internetseiten ganz anders daher. So wirbt die Seite www.haeftling.de mit »Bekleidung und Gebrauchsgegenständen, die eben ein klein wenig härter im Nehmen sind als die von draußen«. Die Produkte seien »inspiriert vom rauen Knastalltag«. Das Gefängnis als coole Loca­tion. »Santa Fu – Heiße Ware aus dem Knast« kommt aus dem Hamburger Gefängnis Fuhlsbüttel und ist seit knapp einem Jahr online. Inhaftierte entwickeln die Produkte in »kreativen Zellen« mit. »Knast-Marketing« nennt die Jus­tizbehörde das und hofft, dass die Artikel »Kultstatus« erreichen. »Das Besondere ist die Authen­tizität«, sagt Sprecherin Kathrin Sachse. Es gibt zum Beispiel die »Original-Knast-CD« mit Geräuschen aus dem Gefängnis: »Das hallende Sprachgewirr auf den Fluren, die scheppernden Durchsagen durch den Lautsprecher, das ständig wieder­kehrende Klappern von Schlüsseln und Einrasten von Gittertüren und dazwischen das rhythmische Ächzen aus dem Kraftraum« – Lärm, der bei ehemaligen Häftlingen vermutlich starke Beklemmungen auslösen würde, als Party­gag.

Jeder Artikel aus Santa Fu wird mit einer Geschichte vorgestellt. Holger Güssefeld von der »Ideenschmiede« Somethink sind die »Anekdoten« eingefallen. So handelt die Erzählung zur Stoffkappe »Cap der guten Hoffnung« vom verständnisvollen Wärter Kalle, der väterlich den Arm um die Schulter des arbeitenden Gefangenen Tobi legt und ihn zum Gespräch auffordert. Kalle, der freundliche Schließer, bietet Tobi für die Zeit nach seiner Entlassung nicht nur einen Schlafplatz bei seinem Freund in Johannesburg an, son­dern legt ihm gleich noch dessen 21jährige Tochter ans Herz. »Eine richtige kaffeebraune Schönheit ist das.« In der Geschichte zum auch auf der Seite angebotenen Girlie-Shirt unterhalten sich »der schöne Flavio« und »Starkstrom-Die­ter« über die Körbchengröße und die Form des Hinterns der Frauen, die mal das T-Shirt kaufen werden. Sie flüstern »Du siehst spitze aus, Süße« in die Verpackungen und hoffen, dass die Käuferin was spürt, am besten natürlich, »wenn sie keinen BH trägt«. Negative Reaktionen habe er noch nicht erhalten, sagt Güssefeld auf Nachfrage. Warum auch, ist doch alles authentisch: »Ich versetze mich eben in die Gefangenen hinein.«

So viel »Kreativität« wird in Deutschland ausge­zeichnet. Die »Standortinitiative Land der Ideen« – dahinter stecken die Bundesregierung und der Bundesverband der Deutschen Industrie – hat Santa Fu in die Liste der 365 Orte aufgenommen, mit denen sie »für den innovativen Geist und Mut unseres Landes wirbt«. Das muss gefeiert werden – am 28. September steigt die Sause im Hochsicherheitstrakt. Wohl ohne die Gefangenen, die dann bestimmt schon wieder für Hungerlöhne in der Werkstatt T-Shirts bedrucken müssen.