Die Post wird postmodern

Zur Jahreswende ist die Privatisierung der Post abgeschlossen, und die Briefbranche bekommt den Mindestlohn. Von Winfried Rust

Die Privatisierung der Post läuft nach Plan. Zum Jahreswechsel endet das deutsche Briefmonopol, und der Postmarkt wird endgültig liberalisiert sein. Aber der Staat will noch nicht ganz von der Branche lassen. Weiterhin existiert für die Deutsche Post AG die so genannte Universaldienstpflicht. Das heißt, dass sie die Postinfrastruktur bis in entlegene Orte gewährleisten und mindestens 12 000 Filialen unterhalten muss. Dafür bleibt sie von der Mehrwertsteuer ausgenommen.

Und überdies kommt noch der Mindestlohn. Bei der Deutschen Post AG gibt es einen Tarifvertrag, und der Einstiegslohn beträgt 11,54 Eu­ro. Daneben ist der Postmarkt ein Feld für Neueinsteiger geworden, bei denen über 60 Prozent der Beschäftigten Minijobber sind, die zu Dumping­löhnen arbeiten. Der Einstiegslohn des Post­zustellers Pin AG in Neumünster etwa beträgt 5,47 Euro. Eine Studie der Input Consulting GmbH im Auftrag von Verdi kommt zu dem Ergebnis, dass der durchschnittliche Stundenlohn neuer Briefdienstleister in Westdeutschland bei 7,00 und in Ostdeutschland bei 5,90 Euro liegt. In der Debatte über den Mindestlohn wird deshalb auch immer wieder über die Dumpingpraktiken bei neuen Postwettbewerbern gesprochen. Skandalöse Einzelfälle, wie etwa Stundenlöhne unter einem Euro, brachten die öffentliche Meinung gegen die neuen Wettbewerber auf.

Verdi und der von der Deutschen Post AG dominierte Unternehmerverband Postdienste haben einen Mindestlohn zwischen acht und 9,80 Euro vereinbart. Das Arbeitsministerium konnte durch­setzen, dass diese Vereinbarung für die Briefzusteller vom Bundeskabinett ins Arbeitnehmergesetz aufgenommen wurde. Die Strategie der neuen Postdienstleister, sich von Verdi und dem Unternehmerverband Postdienste fernzuhalten, ist fehlgeschlagen. Eine nachträgliche Korrektur gegen den bestehenden Tarifvertrag stellt sich als schwierig dar.

Einerseits ist die Einführung des Mindestlohns eine Reaktion auf die Niedriglöhne der neuen Wettbewerber. Andererseits wird es den politisch Verantwortlichen angesichts der Folgen der Dere­gulierung für die Infrastruktur mulmig. Was tun, wenn die Post AG im Wettbewerb die Substanz verliert und die Universaldienstpflicht nicht mehr gewährleisten kann? Wieder eine Post­behörde gründen? Günter Thiel, der Vorstand der Pin Group AG, fragt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: »Warum sollte der Ex-Monopolist weiterhin Steuergeschenke bekommen, wenn auch andere den Universaldienst leisten?«

Die Pin AG, die zu über zwei Dritteln dem Springer Verlag gehört, ist neben TNT der größte Konkurrent der Post AG. Aber auf mehr als 500 Filialen kommt sie nicht. Als Filiale gilt zum Beispiel die Sparkassenzweigstelle, die nebenher Pin-Geschäfte betreibt. Vielleicht muss man den Universaldienst »neu definieren«? Der Job als Briefträger ist es schon. Früher schlugen die Leute innerlich fast die Hacken zusammen, wenn der Briefträger in Uniform vom gelben Fahrrad grüßte. Heute sieht man im Austräger den kompetenz­losen Niedriglöhner in seinem Hamsterrad. Also ist alles nicht so einfach mit der Privatisierung.

Der Fraktionsvorstand der SPD beschloss im Jahr 1994: »Die SPD wird sich ihrer Verantwortung für eine nur mit verfassungsändernder Zwei-Drittel-Mehrheit zu beschließenden Postreform nicht entziehen.« Nun ist sie abgeschlossen. Verantwortung für die Dumpinglöhne im Postgewer­be hat noch niemand aus der SPD übernommen. Viel klüger ist es, sich als Schutz vor Dumping­löhnen zu inszenieren. Beamtenlohn, Niedriglohn, Kombilohn: Die Beschäftigten der Branche haben so einiges erlebt, und der Staat war und ist immer dabei.

Niedriglohn und Teilzeitarbeit waren die auffälligsten Innovationen, die die neuen Wettbewerber der Branche brachten. Der Staat erhält von dieser Lohnarbeit kaum Steuern und Beiträge für die sozialen Sicherungssysteme. Dafür sub­ventioniert er die Niedriglöhne mit Wohngeld und ergänzender Arbeitslosenhilfe. Gleichzeitig sinkt die Qualität der öffentlichen Infrastruktur. Die Post AG hat 40 000 Briefkästen abgehängt und 9 000 Filialen geschlossen. Der Staat und die Bürger gehören in dieser Hinsicht jedenfalls nicht zu den Privatisierungsgewinnern.

Die Angestellten der Post-AG auch nicht. Seit dem Jahr 2000 wurden die Zustellbezirke vergrößert und die Bemessungswerte verdichtet. Der »Beschäftigungspakt« mit der Post AG brachte längere Arbeitszeiten mit sich, weniger arbeitsfreie Tage, Versetzungen, Änderungskündigungen, weniger Gehalt für Neuzugänge und eine Verdichtung der Arbeit. Viele Briefträger klagen, dass sie ihre Post in der vorgesehenen Zeit nicht verteilen können. Trotzdem sind in Deutschland immer mehr Postdienstleister unterwegs, um Brie­fe zuzustellen. Heute dürften um die 50 000 Be­schäftigte der neuen Anbieter unter den 200 000 Briefzustellern sein. Das nennt sich Angebotsvielfalt. Und dennoch gelingt es oftmals nicht, die Post richtig und pünktlich zuzustellen.

Dafür können Anleger ihr Geld in die Post­unter­nehmen investieren. Die Deutsche Post World Net ist mit einem Jahresumsatz von 60 Milliarden Euro und 520 000 Angestellten ein Global Player. Gemessen an der Zahl der Mitarbeiter ist sie das größte Unternehmen in Europa. Die meisten Postangestellten arbeiten inzwischen im Ausland; in über 220 Ländern in den Bereichen Brief, Logistik, Express, Finanzdienstleistung. Das Briefgeschäft in Deutschland gehört noch zu den rentabelsten Teilen des Konzerns, aber 60 Prozent des Umsatzes werden bereits im internationalen Geschäft und 80 Prozent außerhalb des Briefbereichs gemacht.

In Deutschland verliert die Post Marktanteile an neue Wettbewerber, in den USA versucht sie (kostspielig und erfolglos), dem staatlichen Postkonzern USPS Konkurrenz zu machen. Die Post AG versucht, im internationalen Wettbewerb zu bestehen und ihren Aktionären Gewinne auszuweisen. Das macht kreativ. Der Vorstandsvorsitzende Klaus Zumwinkel erwog zuletzt, sich »von unrentablen Randbereichen« zu trennen, und fragte sich, ob es nicht besser sei, »in Einzelfällen auch sonntags Sendungen zustellen zu können«.

Der Mindestlohn ist für die Post AG eine Strategie, um die neue Konkurrenz in Deutschland auf Abstand zu halten. Immerhin kann er die Dumpingpraktiken abmildern – allerdings unter Vorbehalt. Für die Post AG selbst könnte der Mindestlohn eine Marge werden, die es nach unten zu erreichen gilt. Dass das wegen des Tarifvertrags nicht ginge, dachten die Service-Mitarbeiter der Telekom auch – und wurden aus ihrem Tarifvertrag ausgegliedert.

Schon heute hat die Post AG Arbeiten an billige Subunternehmer ausgelagert. Und die Baubranche zeigt, dass sich viele Unternehmer in der Praxis nicht an den Mindestlohn halten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der neuen Post­zusteller sind mit ihren prekären Teilzeitstellen zu vereinzelt, um sich klassisch gewerkschaftlich zu organisieren. Die Suche nach Organisierungsmöglichkeiten von unten ersetzt der Mindestlohn nicht.