Der schwarze Ché

Vor 20 Jahren wurde Thomas Sankara, der linke Präsident Burkina Fasos, bei ­einem Putsch getötet. von julien mechaussie

Alles sollte sich ändern, auch der Name des Landes. Ein Jahr nach der Machtübernahme Thomas Sankaras wurde aus Obervolta, wie die Kolonialherren das Land genannt hatten, Burkina Faso (»Vaterland der integren Menschen«). Ein umfassendes Reformprogramm sollte für eine politische, wirtschaftliche und kulturelle Erneuerung sorgen. Sankara, der oft als der »afrikanische Ché Guevara« bezeichnet wird, blieb nur vier Jahre an der Macht. Am 15. Oktober 1987 wurde er erschossen, der Putsch beendete den Versuch der sozialen Umgestaltung.

Thomas Sankara wurde zum Mythos, nicht nur in Burkina Faso. »Sobald der Name von Sankara während einer Diskussion erwähnt wird, funkeln die Augen der Leute«, erzählt Yaya Boudani, Journalist in Ouagadougou, der Hauptstadt des Landes. Schon die Titel von Büchern über Sankara, »Eine neue afrikanische Macht« oder »Die ermordete Hoffnung«, sind vielsagend.

Geboren 1949 in einer katholischen Familie, gehörte Thomas Sankara den Silmi-mossi an, einer marginalisierten Bevölkerungsgruppe, die im Zentrum des Landes lebt. Er wurde in den sieb­ziger Jahren in Madagaskar militärisch ausgebildet. Dort erlebte er den Sturz der damaligen neokolonialistische Regierung. Der junge marxistische Hauptmann kehrte zurück und gründete mit seinem Freund Blaise Compaoré, dem derzeitigen Präsidenten Burkina Fasos, die Geheim­organisation »Zusammenschluss der kommunistischen Offiziere« (ROC).

Bevor Sankara Präsident wurde, war der ausgebildete Fallschirmjäger bereits zweimal Kabinettsmitglied. Nachdem er 1982 als Informations­minister zurückgetreten war, wurde er ein Jahr später zum Premierminister in der Regierung von Jean-Baptiste Ouédraogo ernannt. Doch die konservativen Schichten des Landes hörten seine radikalen Reden nicht gerne, Sankara wurde inhaftiert, aber unter öffentlichem Druck schnell wieder freigelassen.

Am 4. August 1983 zettelte der Hauptmann mit seinem Kampfgefährten Blaise Compaoré einen Putsch an, mit 33 Jahren wurde Thomas Sankara zum fünften Präsidenten von Obervolta.

Sankara war der Meinung, dass die Unterentwicklung und die Rohstoffabhängigkeit Burkina Fasos nicht ohne die Integration der marginalisierten Schichten, vor allem der Bauern sowie der Frauen, beendet werden könne. Erstmalig gab es in dem afrikanischen Land nicht nur Minister, sondern auch Ministerinnen. Die Regierung schränkte die Polygamie ein, 1985 wurde »die na­tionale Woche der Frau« eingeführt, die Beschnei­dung von Mädchen wurde verboten.

In einem Land, in dem die Lebenserwartung bei knapp 40 Jahren lag – noch heute liegt sie unter 50 Jahren –, förderte die Regierung Sankaras Impf­kampagnen und baute zahlreiche Krankenhäuser. Eine der bekanntesten Maßnahmen dieser Jahre war das kostenlose Wohnen, eingeführt im Jahr 1985. Die Kopfsteuer für Bauern wurde aufgehoben, das Land verstaatlicht und neu verteilt.

»Burkinisch verbrauchen!« war das Motto, mit dem Sankara die lokale Produktion fördern wollte. So gab es ein Importverbot für Obst, und die Beamten mussten den Faso dan fani tragen, den in Burkina Faso produzierten Stoff aus Baumwolle. Die Luxuslimousinen der Regierungsmitglieder wurden durch kleine Renault 5 ersetzt, und die höheren Beamten des Nationalen Revolutionsrats sollten Angaben über ihr Vermögen veröffent­lichen, so wie es auch Sankara selbst tat. »Volksgerichte« begannen, wegen der Veruntreuung von Geldern zu ermitteln. Zudem wurde die Regierung jedes Jahr aufgelöst, um sich dann neu zu konstituieren. »Eine pädagogische revolutionäre Methode, damit sich jeder daran erinnert, dass er nur hier ist, um seinem Land zu dienen, und damit sich die Leute ständig in Frage stellen«, sagte Sankara.

Nicht alle waren über die Reformen begeistert. Neben den hohen Beamten sahen vor allem die städtische Oligarchie und die traditionellen Macht­haber auf dem Land ihre Interessen gefährdet. Jedes Dorf hatte sein »Komitee zur Verteidigung der Revolution« (CDR), das die Dorfvorsteher verdrängen sollte.

Es gab jedoch auch Widerspruch gegen autoritäre und voluntaristische Entscheidungen. So hat die Entlassung von 2 600 Grundschullehrern, die durch ungebildete »revolutionäre« Lehrer ersetzt wurden, das gesamte Schulsystem in Gefahr gebracht. Nach vier Jahren Sankarismus war die Pressefreiheit eingeschränkt, es gab zahl­reiche Festnahmen aus politischen Gründen. Am 4. August 1987, dem Tag der revolutionären Gedenkfeier, versprach Sankara ein langsameres Reformtempo: »Es ist besser, einen Schritt mit dem Volk zu machen als hunderte Schritte ohne das Volk.« Elf Tage später wurde er vor dem Sitz des Nationalen Revolutionsrats von Maschinen­gewehrfeuer getötet. Die Hintergründe sind nicht eindeutig geklärt. Blaise Compaoré leugnet, für den Putsch verantwortlich zu sein. Zuvor Minister, wurde er nun Präsident und führt seitdem eine autoritäre Regierung.

In diesem Jahr sind zahlreiche Pressekonferenzen, Kolloquien und Konzerte im ganzen Land und in Ouagadougou geplant. »Die ganze Stadt bereitet sich auf den Todestag von Sankara mit großer Begeisterung vor«, berichtet Yaya Boudani. Der Putsch des Jahres 1987 wurde von der neuen Regierung als rectification (Berichtigung) gedeutet. Das sollte es ermöglichen, sich einerseits in die Tradition des weiterhin populären Sankara zu stellen, andererseits aber von dessen Politik zu distanzieren. Am 15. Oktober finden daher auch Gedenkfeiern zum 20. Jahrestag von Compaorés Machtübernahme statt.

Wer damit nicht einverstanden ist, muss mit Repressalien rechnen. Sam’S K le Jah, Musiker und Radiomoderator, veröffentlichte Ende 2006 das Album »Eine Kerze für Thomas Sankara«, in seinen Sendungen kritisiert er häufig Compaoré. Am 28. September wurde Sam’S K le Jahs Auto angezündet, zuvor hatte er bereits Todesdrohungen erhalten.

Im Human Development Index der Uno steht Burkina Faso auf Platz 174 von 177 Staaten, angesichts von Armut und allgegenwärtiger Korrup­tion ist Sankara für die Jugend zu einem Mythos geworden. Vor einigen Wochen wurde im Freiluftkino Wemtenga in Ouagadougou der Dokumentarfilm »Sankara, l’homme intègre« gezeigt. »30 Sekunden nach Beginn des Filmes hat es in Strömen geregnet«, erzählt Yaya Boudani. »Die Zuschauer, darunter viele junge Leute, haben angefangen, sich auf den Weg zu machen. Aber als die Stimme von Sankara zu hören war, sind sie alle zurückgekommen. Der Filmvorführer hatte so etwas noch nie gesehen.«