Ihr seid alle Guineer!

Wegen der besonders guten Zusammenarbeit mit Regierungsbeamten aus Guinea konnten die deutschen Behörden bis vor kurzem viele Menschen in das westafrikanische Land abschieben. von ron steinke

Die für den 11. September geplante Sammelabschiebung afrikanischer Flüchtlinge platzte kurzfristig. Für die deutschen Behörden war klar, wer für diesen Misserfolg verantwortlich sei: »Die Regierung des westafrikanischen Staates Guinea düpiert die Innenbehörden zahlreicher deutscher Bundesländer«, zitierte Spiegel online Ende September die »erbosten« Beamten. Der Grund für den vermeintlichen diplomatischen ­Eklat: Die Regierung in Guinea habe »beschlossen, vorerst keine abgelehnten Asylbewerber aus Deutschland zurückzunehmen«. Dabei hatte man doch eine Abmachung mit den Guineern!

Was zu dem bemerkenswerten Entschluss der guineischen Regierung führte, war dort nicht zu lesen. Gerade mit der Regierung Guineas, einer der ärmsten und, Transparency International zu­folge, auch einer der korruptesten der Welt, hatten die deutschen Ausländerbehörden in den ver­gangenen Jahren besonders intensiv und zum beiderseitigen Vorteil kooperiert. Noch im Juli war eine Delegation guineischer Regierungs­beamter auf Einladung der Bundesregierung nach Braunschweig gekommen. Den Deutschen ging es um ein praktisches Problem: Die wenigsten Menschen, die aus Afrika nach Deutschland fliehen, sind im Besitz amtlicher Dokumente, aus denen sich ihr Herkunftsland ablesen lässt. In vielen Ländern Afrikas sind staatliche Identitätspapiere eine Seltenheit, Pässe werden nur bei Bedarf ausgestellt. Aber Personen ohne Papiere können die deutschen Behörden nicht abschieben.

In den Räumen der Braunschweiger Ausländer­behörde wurden zwei Wochen lang Afrikanerinnen und Afrikaner aus zehn Bundesländern unter Androhung von Zwangsmaßnahmen vor die guineische Delegation geführt. Die wenigsten von ihnen hatten angegeben, aus Guinea zu stammen. Von denen, die erschienen, bekam dennoch fast die Hälfte eine Bescheinigung über die gui­neische Staatsangehörigkeit ausgestellt, die eine Abschiebung nach Guinea ermöglicht. Die Delegation erhielt für jedes ausgestellte Pass­ersatz­papier eine »Gebühr«.

Nach Angaben des Leiters der Zentralen Ausländerbehörde Dortmund, Friedhelm Weller, entschied die Delegation dabei vor allem »aufgrund der Aussprache und der Gesichtsform« über die vermeintliche Staatsangehörigkeit der vorgeführ­ten Personen, und dies oft in wenigen Minuten. Die Bundesregierung nahm die Delegation unter­dessen bis zuletzt gegen jede Kritik in Schutz. Auf die Nachfrage der Linksfraktion im Bundestag erklärte sie am 26. September, es bestünden »keine Zweifel an der Zuverlässigkeit des Verfahrens«.

Bei den guineischen Beamten in Braunschweig handelte es sich teilweise um alte Bekannte. Die Delegation war in den vergangenen Jahren auch mehrmals nach Hamburg eingeladen worden. Nachdem die Delegierten ursprünglich nur bei wenigen der eher wahllos vorgeführten afri­kanischen Flüchtlinge eine guineische Herkunft erkennen wollten, begann man dort ab dem Jahr 1999, sich intensiver um sie zu bemühen. So zahlte die Hamburger Ausländerbehörde nach eigenen Angaben pro Person und Tag »Missionsgebühren« von 100 Euro aufwärts, spendierte Hamburg-Rundfahrten und Besuche von Musicals. Im November 1999 etwa kostete das »Rahmenprogramm« für die eingeflogene Delegation mit über 2 000 Mark mehr als ihre An- und Abreise, wie eine parlamentarische Anfrage der Ham­burger GAL ergab. Und die Dienste der Beamten aus Guinea wurden in den folgenden Jahren weiterhin gerne in Anspruch genommen.

Im März vorigen Jahres war die Delegation in Dortmund zu Gast. Dort kam es zu einem kleineren Zwischenfall, der die guten Beziehungen aber zunächst nicht weiter trübte. Der Leiter der Delegation, N’Faly Keïta, der während seiner Arbeit in der Dortmunder Ausländerbehörde stets eine dunkle Sonnenbrille trug, war von manchen der vorgeführten Flüchtlinge erkannt worden. Sie sagten aus, er sei in Guinea als »Schleuser« bekannt, der für Personen, die das Land verlassen müssten, gefälschte Papiere beschaffe und ihnen diese im Zielland wieder abnehme.

Keïta verließ daraufhin zwar eilig die Bundesrepublik. Der Innenminister von Nordrhein-West­falen, Ingo Wolf (FDP), stellte sich aber weiter schützend vor die Delegation, die im deutschen Auftrag handelte. Wolf, der bis dahin kaum als Fürsprecher von tatverdächtigen Ausländern auf­gefallen war, wies den Landtag darauf hin, dass das bei der Staatsanwaltschaft anhängige Verfah­ren gegen Keïta wegen Menschenhandels und Urkundenfälschung »noch nicht abgeschlossen« sei. Daher könne man die Delegation ruhig weiter Pässe ausstellen lassen. Das geschah, und die hergestellten Passpapiere wurden für Abschiebungen nach Guinea verwendet.

Einen ähnlich kooperativen Geist wie Wolf zeigte in diesem Jahr sein niedersächsischer Amtskollege Uwe Schünemann (CDU). Von den zunehmenden Protesten – neben Amnesty international beschwerte sich zuletzt auch die guineische Oppositionspartei RPG beim Bundesaußenmi­nis­terium – ließen sich die Behörden in Braunschweig nicht irritieren. Über die Tatsache, dass N’Faly Keïtas offizieller Nachfolger gar nicht erst in Deutschland erschien, die Delegation also ohne Vorsitzenden arbeitete, sah man großzügig hinweg. Schließlich verlängerte das niedersäch­sische Innenministerium die Einladung an die Guineer sogar um einige Tage, um das Ausstellen weiterer Papiere für die geplante Sammelabschiebung am 11. September zu ermöglichen.

Allein, vor lauter guten Beziehungen zu den deutschen Behörden scheint sich die guineische Delegation inzwischen etwas verselbständigt zu haben. Das wurde letztlich für die deutschen Behörden zum Problem. Durch Zufall befand sich der Vorsitzende der größten Oppositionspar­tei Guineas, der UPR, Ende Juli für ein Treffen von Exilanten in Deutschland, als er auf die Delegation in Braunschweig aufmerksam gemacht wurde. Über deren Vorgehensweise war er ebenso verblüfft wie der Präsident der guineischen Nationalversammlung, den er daraufhin kontaktierte. Nachdem die unabhängige Zeitung Guinéenews über die dubiosen Vorgänge in Deutschland berichtet hatte, erklärte Guineas Außenminister Kabélé Camara, er habe von der in Braunschweig tätigen Delegation keinerlei Kenntnis, niemand sei zu einer solchen Tätigkeit autorisiert.

So kam die langjährige Zusammenarbeit der deut­schen Ausländerbehörden mit jener Delegation zu einem plötzlichen Ende. Immerhin 49 guineische Pässe kamen in Braunschweig noch zustande, bis eine offizielle Verbalnote Guineas an das Bundesaußenministerium das Ausstellen weiterer guineischer Papiere untersagte. Auch würden die bisher in Deutschland ausgestellten Papiere nicht anerkannt. Die Ausländerbehörden der Bun­desländer, die den Einsatz der Delegation in Braunschweig finanzierten, haben damit nach eigenen Angaben insgesamt 100 000 Euro in den Sand gesetzt. Kein Wunder, dass die »erbosten« Beamten sich »düpiert« fühlen.

Mittlerweile haben die Behörden von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen Abschiebungen nach Guinea bis auf weiteres ausgesetzt und die echten und vermeintlichen Guineerinnen und Guineer aus der Abschiebehaft entlassen.