Von Mördern und Massenmördern

von kerstin eschrich

Am Anfang steht eine Aktennotiz: »Geheime Reichssache«. Hinrichtung, und zwar schnell, lautet das Urteil im Jahr 1939 für den Parteigenossen und Massenmörder Josef Kalteis. An großem Aufsehen ist man nicht interessiert. Der Fall ist authentisch, die Namen wurden geändert. In ihrem neuen Kriminalroman »Kalteis« rollt Andrea Maria Schenkel die grausamen Morde an jungen Mädchen in den dreißiger Jahren in München und Umgebung auf.

Schenkel hat sich bereits in ihrem ersten, sehr erfolgreichen Kriminalroman Gerichtsakten vorgenommen. »Tannöd« spielt in der Nachkriegszeit auf einem Einödhof, auf dem eine ganze Familie grausam ermordet wird. Vergewaltigung, Inzest, Misshandlungen, das Schweigen darüber und die Verbrechen während des Nationalsozialismus sind zu einer finsteren Melange verdichtet.

Der Ansatz in »Kalteis« ist leicht verschoben, die Motive des Mörders bleiben im Dunkeln. Er selbst spricht wiederholt von einem »Trieb«, den er verspüre. Frauen begegnet Kalteis ausschließlich mit Gewalt und Verachtung. Zwei Morde gesteht er. Er mordet brutal und rasend. Im Mittelpunkt des Romans steht eines der Opfer, die hübsche, etwas unbedarfte Kathie, die sich in der großen Stadt ein schönes Leben einrichten will. Die Spannung entwickelt sich vor allem im zweiten Teil. Auf den letzten Seiten bekommt der Roman den gewissen Sog, der einen nicht aufhören lässt zu lesen und der jeden guten Krimi ausmacht.

Zumindest leicht verstörend ist, dass in »Kalteis« die NS-Zeit, die Verbrechen der Nationalsozialisten, der ganz normalen Deutschen, die Hatz auf Homosexuelle und alles »Undeutsche«, die Boykottmaßnahmen, Enteignungen, der Judenmord, der sich 1938 schon andeutete, keine Rolle spielen. Vielleicht ist das aber auch nur konsequent, hatte dies doch auch im Denken und Fühlen des Großteils der Bevölkerung keine besondere Bedeutung. Mitleiden und ‑fühlen lässt Schenkel in ihrem Buch dann auch nicht aufkommen. Sie beschreibt schnörkellos, fast gefühllos eine Zeit, in der ein vielfacher Mörder von den zukünftigen Massenmördern gerichtet wird.

Andrea Maria Schenkel: Kalteis. Edition Nautilus, Hamburg 2007, 152 S., 12,90 Euro