Nihilismus, American Style

Vor 20 Jahren wurde Allan Bloom mit seiner Kulturkritik »The Closing of the American Mind« schlagartig berühmt. Das Buch ist eine Generalabrechnung mit einer liberalen Moderne, die für ihn automatisch in Heidegger kulminiert. Bloom behauptete, dass die intellektuelle Verfassung der USA durch die von ihm so genannte German Connection schwer geschädigt sei, womit er den »Import« der Ideen Webers, Nietzsches, Heideggers meint. Von Bernd Volkert

Vor 20 Jahren hat ein Buch die intellektuelle Landschaft der USA mit einer Heftigkeit erschüttert, die nicht nur bis heute nachwirkt, sondern immer wieder für Aufregung und Verwirrung sorgt. »The Closing of the American Mind« heißt der knapp 400 Seiten starke Band, dessen deutsche Ausgabe den an Oswald Spengler erinnernden Titel »Der Niedergang des amerikanischen Geistes« trägt. Autor des Buches ist der 1992 verstorbene Allan Bloom, damals Philosophieprofessor an der Universität von Chicago. Er hatte Übersetzungen von Platons »Republik« und Jean Jacques Rousseaus »Émile« veröffentlicht und tauchte bis 1987 im öffentlichen Bewusstsein praktisch nicht auf.

Dies änderte sich schlagartig mit dem Erscheinen von »The Closing of the American Mind«. In Zeitungen und Magazinen wurde über das Buch debattiert, sogar Frank Zappa lieferte einen Beitrag ab, monatelang führte das Buch die Bestsellerlisten an, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und Japan, die Auflage überwand in Rekordzeit die Millionengrenze. Das Buch wurde zum zentralen Text des in den USA seit den achtziger Jahren geführten Culture Warum die intellektuelle Ausrichtung der USA.

Was hat Bloom geschrieben, dass er eine solche Wirkung entfalten konnte? Folgt man der heftigen unmittelbaren Rezeption, hat er eine Generalabrechnung mit dem infolge der Protestbewegungen der sechziger Jahre geistigen Zustand der USA vorgelegt, eine hemmungslose Tirade gegen Feminismus, Antirassismus, Rockmusik, Linksliberalismus. In dieser Einschätzung waren sich linke und rechte Kritiker einig, unterschiedlich fielen jedoch die Bewertungen aus. Heute scheint auch dies nicht mehr so klar zu sein, plötzlich werfen Konservative und Progressive dem Autor vor, er sei einer der geistigen Stichwortgeber des verderblichen Neokonser­vatismus – immerhin sei Bloom Jude und Schüler des ominösen Leo Strauss gewesen, führen sie an. Andere wollen Bloom vor Neokonservativen wie dem Bloom-Studenten Paul Wolfowitz retten, die ihn nur für ihre umstürzlerischen Zwecke missbrauchten; manche Linke wiederum entdecken in »The Closing of the American Mind« nunmehr ein Manifest gegen Kapitalismus und Kommerzialisiserung; und auch die Gay Community versucht, den schwulen Bloom posthum einzugemeinden.

Das Buch eröffnet mit dem vielsagenden Satz: »Professor Bloom hat seine eigene Vorgehensweise.« So beginnt das Vorwort, verfasst wurde es von dem amerikanischen Schriftsteller und Freund Allan Blooms, Saul Bellow. Dieser wurde als prominenter Nobelpreisträger vom Verlag engagiert, um dem Buch mehr Aufmerksamkeit zu sichern.

Tatsächlich ist Bloom ein sehr eigenwilliger Autor. In den von ihm nur locker verbundenen drei Abschnitten »Students«, »Nihilism, American Style«, »The University« können Leser reichlich Material finden, das zu völlig widersprüchlichen Urteilen herangezogen werden kann. Exemplarisch sind die Ausführungen Blooms über die Unruhen an der Cornell University 1969, bei denen bewaffnete Black-Power-Anhänger das Uni-Gebäude besetzt und Professoren als Geiseln genommen hatten. Mit Erfolg: In einer Art Appeasement-Politik führte die Uni daraufhin Affirmative-Action-Programme ein, wodurch schwarze Bewerber gegenüber weißen bevorzugt wurden. Diese als »Guns at Cornell« berüchtigte Episode hatte Bloom hautnah miterlebt und sah in ihr eine nur folgerichtige Zuspitzung der damals aufkommenden Identitätspolitik. In der Bürgerrechtsbewegung »waren die Schwar­zen die wahren Amerikaner, indem sie die Gleichheit einforderten, die ihnen als Menschen zusteht«, die Proteste verfügten aber über keine universale Menschheitsidee mehr, es gäbe nur noch gegeneinander stehende verschiedene Identitäten, die zu schierer Machtpolitik tendierten, befand Bloom. In ihrem Kampf gegen eine nur noch als repressives Konstrukt wahrgenommene westliche Zivilisation begab sich eine Neue Linke dabei – so Bloom – auf reaktionäre Pfade, die sie am Ende in wenig emanzipatorische Gesellschaft führte. Der Verzicht des Strebens nach einem noch zu verwirklichenden Ideal menschlichen Lebens ist es auch, was Bloom anprangert.

Die Zeit an der Uni sei entscheidend: »Die Bedeutung dieser Jahre für einen Amerikaner kann nicht überschätzt werden. Sie sind die einzige Chance der Zivilisation, an ihn heranzukommen.« Aber Bildung sei kaum mehr von Propaganda zu unterscheiden und vermittle den Studenten keine »wirkliche Basis mehr für die Unzufriedenheit mit der Gegenwart und kein Bewusstsein, dass es auch Alternativen gibt. Sie begnügen sich immer mehr mit der Welt, wie sie ist, und versuchen zur selben Zeit verzweifelt, aus ihr endlich zu entkommen. Die Sehnsucht nach einem Jenseits ist verwässert worden.« Im eindimensionalen Leben ohne Utopien könne sich die Sehnsucht nach einem besseren Leben nur noch in unsublimierten, quasi-barbarischen Formen wie der Rockmusik äußern, mit der Bloom sich in einem besonders umstrittenen Kapitel separat auseinandersetzt.

Die Entwicklung seit den sechziger Jahren sieht er als verheerend an, dennoch ist sie für ihn nur die Fortsetzung einer in der Moderne angelegten Tendenz, mit der er sich in den ideengeschichtlichen Passagen des Buches beschäftigt, die ihm zu einer eigenwilligen Dialektik der Aufklärung geraten. Im Kapitel »Nihilism, American Style« erklärt er die Problemlage am amerikanischen Beispiel. Er nimmt Autoren wie Max Weber, Friedrich Nietzsche und Martin Heidegger als Repräsentan­ten einer an sich selbst irre gewordenen und urteilsunfähigen Vernunft, die bei Nietzsche vielleicht noch rettbar gewesen wäre, mit Heidegger allerdings schon bei der erklärten Selbstvernichtung angelangt war. Dieses Denken erreichte nach dem Aufstieg des Nationalsozialismus mit den Emi­gran­ten die USA. »The German Connection« nennt Bloom das, sie traf dort auf ein akademisches Milieu, das außer einem geistfernen Pragmatismus noch keine eigene philosophische Strömung hervorgebracht hatte und so dem Ansturm des im Kern nihilistischen deutschen Geistes nicht gewachsen war, sondern mit ihm eine fatale Verbindung einging, eben den »Nihilism, American Style«. Dieser wiederum erhielt durch die politisch motivierten Attacken auf die Universitäten seit den sechziger Jahren seinen Todesstoß. Seither fehlt der Kultur in den USA eine geistige Klarheit und Richtung, vor allem in den so genannten Humanities, aber auch in den anderen Fachrichtungen, zum Beispiel in den naturwissenschaftlichen, die völlig wertfrei und ohne jede philosophische Grundlage nur noch geistlose Spezialisten zur ökonomischen Verwertung produzierten, für deren Ausbildung es gar keine Universitäten bräuchte. Der Rest, so die in den Unis immer bedeutender werdenden Literatur- und Kulturwissenschaften, sei ein Tummelfeld von Kulturrelativisten aller Art, das noch dazu von der anderen, ebenfalls heideggerianisch geprägten Welle vom Kontinent, diesmal aus Frankreich mit Jacques Derrida u. a., in einen auch durch diese Wissenschaften selbst nicht mehr definierbaren Sumpf verwandelt worden sei.

Was nach einer kulturpessimistischen Totalverdammung der USA klingen mag, ist zumindest nicht so intendiert. Eher im Gegenteil setzt Bloom seine Hoffnung gerade auf die Vereinigten Staaten, nachdem andere Weltgegenden wie Europa ihre besten Zeiten wenig ruhmreich hinter sich gebracht hätten. »Dies ist der amerikanische Moment in der Weltgeschichte, nach dem wir für immer beurteilt werden. So wie in der Politik die Verantwortung für die Freiheit in der Welt auf unser Regime übergegangen ist, so ist auch das Schicksal der Philosophie in der Welt auf unsere Universitäten übergegangen. Und diese zwei Bereiche hängen heute so eng zusammen wie noch nie«, schreibt Bloom mit sonst kaum vorhandenem Pathos im letzten Absatz seines Buches. Den Umfang dieser von Amerika zu bewältigenden Aufgabe macht er im Kapitel »From Socrates’ Apology to Heidegger’s Rektoratsrede« deutlich. Wie Heidegger selbst will Bloom die Geistesgeschichte noch einmal neu aufrollen und bis in die Antike zurückgehen. Während aber Heidegger zusammen mit der Erledigung Sokrates’ und Platons die Vernunft selbst erledigen wollte, ist Blooms Ziel die Rettung der Vernunft vor den relativistischen Abwegen, die in ihr selbst angelegt sind und die bei dem kurzerhand als Nazi bezeichneten Heidegger und einer neuen Machtübernahme dieser »Leute mit dem Fleischerhaken« enden können.

Dass er mit solchen Überlegungen ins Zentrum des amerikanischen Culture War geraten ist, überrascht kaum. Doch es ging ihm in »The Closing of the American Mind« nicht um eine scharfe Polarisierung auf politischer Ebene. Vielmehr ist das Buch eher Diagnose ohne Therapievorschlag, und Bloom selbst hatte wohl die Vorstellung, dass alle Kontrahenten erst einmal zur Besinnung kommen sollten. 1988, inmitten des ersten großen Streits um sein Buch, erklärte er: »Ich bin kein Konservativer – weder Neo- noch Paläo-. Ich sage dies nicht, um mich in einer Situation lieb Kind zu machen, in welcher der Konservatismus in Ungnade gefallen ist. Der Konservatismus ist eine respektable Anschauung, und seine Anhänger zeigen für gewöhnlich eine gewisse Charakterstärke, indem sie an unpopulären Elementen der Universitäten festhalten. Aber ich bin nun mal kein solches Wesen. Schon eine oberflächliche Lektüre meines Buchs zeigt, dass ich mich sowohl theoretisch als auch praktisch von konservativen Positionen unterscheide. Meine Lehrer – Sokrates, Machiavelli, Rousseau und Nietzsche – kann man kaum als Konservative bezeichnen.« Tatsächlich war Bloom erklärter Atheist, der Nietzsches »Gott ist tot« als Beschreibung eines unabänderlichen Faktums begriff und der auch den Verfall der bürgerlichen Familie nur deswegen als herben Verlust wahrnahm, weil sich bislang kein adäquater Ersatz für diese finden hat lassen. Ein Zurück zu ihr sieht er als nicht möglich und deswegen als auch nicht wünschenswert an.

Blooms Verhältnis zur bürgerlichen Familie führt abermals zu Saul Bellow. Im Jahr 2000, acht Jahre nach dem Tod Allan Blooms, veröffentlichte Bellow »Ravelstein«. Abe Ravelstein, die Hauptfigur dieses Romans, steht für Allan Bloom. Und Chick, der Ich-Erzähler und Freund Ravelsteins, für Saul Bellow. Das literarische Abbild Blooms ist offenbar gut getroffen, denn es wurde zwar empört gefragt, wie Bellow sich erdreisten könne, dieses Buch überhaupt zu schreiben, aber niemand wollte irgendwelche Details in Frage stellen – auch nicht das skandalträchtigste Detail, das erst mit Bellows Buch in der Öffentlichkeit angekommen ist. Bloom selbst hatte daraus zwar kein Thema, aber auch kein Geheimnis gemacht: Er war wie sein literarisches Abbild Ravelstein homosexuell, lebte mit einem 30 Jahre jüngeren Freund zusammen und starb an den Folgen von Aids. Schwer zu akzeptieren war das vor allem für diejenigen Lobredner, aber auch Gegner Blooms, die sein Buch als einzige Schimpftirade gegen alle Erscheinungen der so genannten Gegenkultur gelesen haben und denen dabei nicht aufgefallen ist, dass er sich zwar mit schwarzer und feministischer Identitätspolitik auseinandergesetzt, aber eine Kritik der Schwulenbewegung ausgespart hatte.

Nicht nur das: Er hat sogar über das Buch zahllose Hinweise verstreut, meist mit Bezug auf sein sokratisch-platonisches Ausgangsideal, die Eros und Freundschaft ins Zentrum des mensch­lichen Lebens stellen. So ist sein favorisierter antiker Mythos der über die Trennung der ursprünglichen Kugelmenschen mit jeweils zwei Geschlechtspartien in zwei Halbwesen, die fortan beständig auf der Suche nach ihrem verlorenen Gegenstück sind, wobei diese Suche auch – oder gerade – nach der platonischen Überlieferung Mann-Mann-, Frau-Frau- oder Frau-Mann-Paare ergeben kann. »Jeder, der sein Vertrauen in die moderne Psychologie beiseite legen will, kann in Platon eine reichere Erklärung erotischer Ausdrucksweisen finden«, empfiehlt Bloom. Und dass »weder die bürgerliche Gesellschaft noch die Naturwissenschaften den nicht reproduktiven Aspekten von Sex einen Platz bieten« ist für Bloom schon ein guter Grund, diesen gegenüber skeptisch zu sein.

Diese Skepsis führt er in »The Closing of the American Mind« theoretisch vor, und er lebte sie auch praktisch aus: nicht nur im Konkubinat mit seinem Freund Michael Z. Wu, dem er sein letztes Buch »Love and Friendship« gewidmet hat, sondern auch in anderen Aspekten, wie Bellow in »Ravelstein« plastisch darstellt. Bloom warf das Geld nur so aus dem Fenster – ob für Luxusnippes, illegal importierte kubanische Zigarren, Spontanreisen nach Paris, opulente Gastmahle oder Strichjungen. Und wenn er keins mehr hatte, so lieh er sich neues bei seinen zahlreichen Freunden – bis er kurz vor Erscheinen seines Bestsellers 100 000 Dollar Schulden hatte. Der Erfolg kam finanziell also gerade recht. Aber auch der neue Reichtum wurde von Bloom genüsslich verprasst. Und seinen plötzlichen Ruhm nahm der Kulturkritiker süffisant: Er sei nun wohl »die akademische Entsprechung eines Rockstars« geworden.

Allan David Bloom wurde am 14. September 1930 in Indianapolis geboren und starb am 7. Oktober 1992 in Chicago. Als Hochbegabter schrieb er sich mit 15 Jahren an der University of Chicago ein, die ein Programm für die frühe Zulassung besonders talentierter Schüler hatte – der Beginn einer lebenslangen Leidenschaft für die Idee der Universität, die er in seinem Buch »The Closing of the American Mind« zu verteidigen suchte.