It never rains in Southern California

Im Sommer die verheerenden Waldbrände in Griechenland, nun ganz ähnliche Bilder aus Kalifornien. Doch Wald ist nicht gleich Wald, und Brand nicht gleich Brand. von cord riechelmann

Wälder gelten immer noch als das Außen der Kultur. Im Unterschied zu Städten, begradigten Flüssen und eingezäunten Viehweiden leben sie vom Ruf der ungezähmten Wildnis, während das Feuer, seit Prometheus den Menschen gezeigt hat, wie man mit zwei Steinen einen Funken schlägt, zu jenem Element geworden ist, ohne das wir nicht mehr leben können. Im Feuer lässt sich, wie die Bilder der vor den großen Waldbränden in Griechenland und Kalifornien fliehenden Menschen zeigen, allerdings überhaupt nicht leben.

Von dieser Dialektik des Feuers wussten die Pflanzen schon vor den Menschen und trafen ihre Vorbereitungen. In der nordamerikanischen Taiga etwa, einem riesigen Gebiet, das sich wie ein Band südlich der polaren Waldgrenze durch den Norden Eurasiens und Nordamerikas zieht, gibt es immer wieder Waldstücke, die eine feuchte Moosschicht aufweisen. Das feuchte, erdnahe Moos verbrennt in der Regel nicht mit, wenn die Bäume im Wald darüber durch einen vom Blitzschlag entfachten Feuer in Flammen aufgehen. Im Moos können dadurch die Samen der Bäume überdauern und nach dem Brand die Regeneration des Waldes einleiten.

Das Feuer vernichtet in den Waldtypen der nord­amerikanischen Taiga also nicht nur, es trägt auch zur Verjüngung der Wälder an bestimmten Stellen bei. So führt das Feuer durch drastische Veränderungen in Teilbereichen zu extremen Schwankungen der Arten- und Individuenzahl und hält die Pflanzen in einer steten Dynamik von altem und jungem Wald, von baumfreien Strauchschichten und saftig-moosigen Wiesen. Die mosaikartige Verteilung verschiedener Taigawaldtypen verhindert die Ausbreitung des Feuers über die ganze Taiga. Der Brand bleibt lokal, aber dennoch notwendig, unter anderem auch, weil es bestimmte Pflanzen gibt, die ihre Samen und Sprösslinge so gut verpacken oder schützen, das sie überhaupt erst nach der Einwirkung extrem hoher Temperaturen aus ihrer hartholzigen Hülle ausbrechen können, um zu wachsen.

Damit hat man zwar nicht alle Funktionen und Ursachen (Blitz- oder Steinschlag) des ökologischen Faktors Feuer zusammen, aber doch hinreichend geklärt, dass es nicht darum gehen kann, Buschfeuer oder Waldbrände generell zu verhindern. Es wird sie immer geben, und das hat auch einen Sinn. Entsetzlich an den gegenwärtigen Flammen ist ja vor allem die flächendeckende ungehinderte Ausbreitung des Feuers. Und für die lassen sich Gründe angeben, die um einiges konkreter sind, als Arnold Schwarzeneggers Verweis auf die ungünstige Windlage in Kalifornien und seinen Versuch, die Bush-Administration durch einen höchstrichterlichen Spruch zu zwingen, das Faktum der Klimaerwärmung anzuerkennen, um neue Gesetze für die Zulassung von klimafreundlichen Autos durchzusetzen.

Um hier jedem Missverständnis vorzubeugen, sei kurz klar gestellt: Ja, es gibt eine Klimaerwärmung und es gibt auch einen Zusammenhang mit Naturkatastrophen wie dem Katrina-Hurrikan und den Bränden in Kalifornien. Doch die Klimaerwärmung, und die heißen, trockenen Santa-Ana-Winde, die aus dem Hochplateau von Nevada, Utah und Idaho nach Kalifornien hineinwehen und dem Feuer Futter geben, in dem sie den Pflanzen Wasser entziehen, können das derzeitige Ausmaß der Brände nicht hinreichend erklären. Beide sind weder für die Zersiedlung Kaliforniens noch für die extreme Veränderung und Verarmung der Vegetation durch die Siedlungspolitik in Amerika verantwortlich.

Santa-Ana-Föhnwinde hat es und wird es wie den Blitzschlag immer geben, ohne dass deshalb gleich San Diego, von Flammen umschlossen, zu kollabieren droht. Die Winde müssen schon auf Bedingungen treffen, die es ihnen gestatten, ein Feuer größer werden zu lassen. Das heißt, die Vegetation muss schon früher trocken und einförmig geworden sein. Föhnwinde, die ja nicht ewig wehen, wie hierzulande jeder Münchner weiß, können zum Beispiel feuchtes Moos austrocknen und für Flammen empfänglich machen. Die Erd­erwärmung, die in den bereits erwähnten Taigawäldern des Nordens bisher außer einer jahreszeitlichen Verlängerung bestimmter Vegetationsperioden – und damit einer größeren Artenvielfalt – keine negativen Folgen hervorgebracht hat, zerstört die Vegetation weniger als die industriell betriebene Bewirtschaftung von Wald und Boden.

Mit der Landwirtschaft und der ihr vorausgehenden Besiedlung Amerikas westlich des Missouri hat man die Gründe für die aktuelle Katastrophe Kaliforniens genauer benannt als mit Winden und Klimaschwankungen. Das Land zwischen dem Missouri und den Rocky Mountains war nämlich wegen seiner Trockenheit und seiner Armut an Holz und Stein für den Ackerbau ursprünglich nicht zu gebrauchen. Das ist einer der Gründe, weshalb sich das Vordringen der amerikanischen Kolonisatoren in den Westen Mitte des 19. Jahrhunderts verzögerte. Und es sind zwei hochtechnische Errungenschaften, die es erst ermöglichten, den Westen und damit auch Kalifornien fruchtbar zu machen und das Land nach den Regeln des amerikanischen Wirtschaftssystems auszubeuten: zum einen die erste, 1869 in Betrieb genommene transkontinentale Eisenbahn und zum anderen die 1874 durch Joseph Farwell Glidden, ein Farmer aus Illinois, erfolgte Patentierung des Stacheldrahts.

Mit der Eisenbahn wurde es möglich, das unmittelbar an die Strecke grenzende Gebiet in fruchtbares Farmland zu verwandeln und die Erschließung des Westens auf ein kontinuierliches Versorgungsfundament zu stellen, während es der Stacheldraht ermöglichte, die riesigen Landstriche grünen nährstoffarmen Präriegrases zu parzellieren und als Eigentum eines bestimmten Farmers auszuweisen. Das auch diese Landnahme nicht ohne soziale und andere Konflikte abging, kann man in fast jedem Western nachvollziehen. Wichtig im Zusammenhang mit den kalifornischen Bränden ist jedoch etwas anderes: Mit der Erschließung des Westens wurde in den USA erstmals ein riesiges Gebiet systematisch kultiviert und buchstäblich umgebaut. Das, was noch 1860 der Landschaftsmaler Sanford Robinson Gifford »The American Wilderness« nannte, wurde zur Kulturlandschaft.

Mit welchem technischen Aufwand und welchen politischen Rankünen das verbunden war und bis heute ist, hat Roman Polanski 1974 in »Chinatown« am Beispiel der Bewässerung der weiteren Umgebung von Los Angeles filmisch dargestellt. Auf ursprünglich trockenen Böden entstehen riesige Obst- und Gemüseplantagen, und aus öden, dornstrauchreichen Hügelhängen werden prachtvolle Villengrundstücke, auf denen, künstlich bewässert, die exotischsten Blüten blühen. Ohne einen Blick auf die Bebauungs- und Siedlungspolitik Kaliforniens kann man die Entstehung solcher Brände wie in den vergangenen Wochen also nur unzureichend verstehen. Der ungebrochene Villenbauboom in den Hügellandschaften Kalifornien erfolgt weitgehend unreguliert und ohne jede ökologische Planung und Vorsicht. Es kann fast überall gebaut werden, und jeder kann es tun, der es bezahlen kann.

Und gerade im Gebiet um San Diego wird immer häufiger in die so genannten Macchia-Hügel hineingebaut. Macchie oder Macchia ist ein Fachbegriff für bis zu fünf Meter hohe dornstrauchreiche, oft undurchdringliche Gebüschgewächse, die in Gegenden mit ungleich übers Jahr verteilten Niederschlägen gedeihen, in denen sich regenreiche, kühle Winter mit trockenen, heißen Sommern abwechseln. Sie sind für Kalifornien ebenso typisch wie für den Mittelmeerraum. Unregelmäßige Brände gehören zu ihrer Ökologie, wie sie zur Ökologie der Taigawälder gehören. Nur sind die Macchia-Gebiete ungleich anfälliger für Klimaschwankungen und verlängerte Trockenperioden, weil sie keine Moosschicht haben und somit schneller austrocknen. Ökologisch werden sie deshalb als unstabile, sensible Regionen charakterisiert.

Dass die Brandgefahr in Macchia-Gebieten durch die menschliche Besiedlung unkontrollierbar ansteigt, ist seit den dreißiger Jahren bekannt. Umweltschützer fordern deshalb seit langem, sie unbebaut zu belassen. Das würde die Brandgefahr erheblicher vermindern als alles Gerede vom Klimawandel und den heißen Winden in Kalifornien und anderswo. Es wäre allerdings nur um den Preis einer strengen Regulierung des so genannten Baumarktes zu haben. Und für eine Marktregulierung tritt in Kalifornien seit Ronald Reagan niemand der verantwortlichen Politiker mehr ein – und Gouverneur Arnold Schwarzenegger natürlich auch nicht. Genauso wenig ist Schwarzenegger bisher als Regulierer der US-amerikanischen Holzindustrie in Erscheinung getreten, die gerade mit dem hemmungslosen Abholzen der nordamerikanischen Taigawälder beschäftigt ist und damit Moosflächen, die im Schutz sterbender und nachwachsender Bäume feucht bleiben, in trockene Macchia-Gebiete verwandelt, die dann ebenso leicht lichterloh brennen wie die Hügel um San Diego.

Schwarzenegger gehört mit seiner Klimapolitik in die Reihe jener Modernisierer, die das nahe Liegende nicht sehen und schon gar nicht machen wollen. Es gibt nämlich gleich vor seiner Haustür ein Beispiel, wie man mit abgebrannten Wäldern umgehen kann. Als vor Jahrzehnten der Yellowstone Nationalpark fast völlig abbrannte, hielt man das für die größte Umweltkatastrophe, die Amerika bis dahin erlebt hatte. Dass er heute schöner und vielfältiger gedeiht als vorher, überraschte alle bis auf ein paar Ökologen. Die hielten das Feuer für normal und wussten auch, dass sich die Wälder im Park von alleine wieder erholen würden. Man muss sie nur wachsen lassen, der Holzindustrie den Zutritt verbieten und die Nutzung bei denen belassen, die davon unmittelbar leben wie Berufsjäger, Indianer, Touristenführer usw. Nicht der freie Markt, sondern die strenge Regulierung hat den Wald im Nationalpark gerettet. Der Wald ist nämlich auch in Amerika kein Außen der Kultur mehr.