Nie wieder achte Liga

Mit Hilfe eines Sponsors will der FC Haddeby die Schleswig-Holstein-Liga stürmen – und anschließend vielleicht noch höher hinaus. von rené martens

Marcel Rath war einmal Weltpokalsiegerbesieger. Diesen höchst inoffiziellen Titel erwarb er sich Anfang 2002, als er in der Mannschaft des FC St. Pauli stand, die als Tabellenletzter der Bundesliga den FC Bayern mit 2:1 bezwang. Der bullige Angreifer, der einst auch für Hertha BSC spielte und in der vergangenen Saison mit Dighenis Morphou aus der ersten zypriotischen Liga abstieg, ist Anfang September 32 geworden, er ist also nicht im schlechtesten Fußballeralter. Trotzdem ist er zufrieden damit, dass er jetzt auf einem Platz aufläuft, der neben einer Wiese liegt, auf der Verhaltenstraining für Hunde stattfindet. Ein paar Schritte entfernt von den Umkleidekabinen des Lundbarg-Stadions – so heißt Raths neue Heimspielstätte – befindet sich ein Schieß­stand. Und wenn er auf dem Platz auf eines der Tore zustürmt, erblickt er, anders als früher, im Hintergrund keine Men­schenmassen, sondern ein Windrad.

Rath ist beim FC Haddeby 04 gelandet, einem vor drei Jahren aus einer Fusion mehrerer Dorfclubs hervorgegangenen Kreisligaverein am Rande Schleswigs, der derzeit noch gegen den FC Ellingstedt-Silberstedt und die SG Eiche-­Nübel-Schaalby antritt, aber Großes vorhat. Haddeby, ausgesprochen: Haddebü, ist der heutige deutsche Name für Haithabu, und da klingelt es zumindest bei den Archäologen unter den hiesigen Fußballfans. Haithabu war eine Wikingersiedlung, die einst zur nordeuropäischen Handelsmetropole avancierte; die Schlei, ein Seitenarm der Ostsee, der die Gegend heute so attraktiv macht für Touristen, war damals noch eine Was­serstraße von wirtschaftlicher Bedeutung. Das ist allerdings schon eine Weile her: ungefähr 800 bis 1 000 Jahre.

Zu neuem Ruhm will der Region nun Volker Koppelt verhelfen, ein vermögender Hotelier von der Insel Sylt. Dort hat er einige Jahre den SC Norddörfer gefördert: Koppelt warb Größen des schleswig-holsteinischen Amateurfußballs an und führte den Club so aus der Kreisklasse B in die 6. Liga. Vor einigen Monaten aber kam es zu internen Querelen, woraufhin der Geldgeber weiterzog und seine besten Spieler einfach mitnahm. Dass der nunmehr überqualifizierte FC Haddeby durchmarschieren wird in der Kreisliga Schleswig, ist absehbar. Bislang ist der Club noch ohne Punktverlust. Im Durchschnitt erzielte er sechs Tore pro Spiel.

Unter den Gefolgsleuten des Mäzens sind zahl­reiche Spieler, die Erfahrungen in der Ober- und Regionalliga gesammelt haben. Der be­kann­tes­te für Koppelt tätige Fußballer war bisher Maik Wilde, der in der 2. Liga für den VfB Lübeck im Tor stand, jetzt hat ihm Marcel Rath, der, wie er selbst sagt, mit der Profikickerei »abgeschlos­sen« hat, den Rang abgelaufen. Koppelt sagt, die Verpflichtung des Stürmers sei zustande gekommen, nachdem er in der Zeitung gelesen habe, dass ein Wechsel des Ex-St.-Pau­lianers zum Fünftligisten Heider SV nicht zustande gekommen sei. Daraufhin habe er, Koppelt, »auf der Landkarte« den »Drei-Einwohner-Ort in Dithmarschen«, wo Rath mittlerweile lebt, herausgesucht und »dann bin ich da hingenagelt«. Das Verhandlungsgespräch fasst der finanzkräftige Fußballverrückte so zusammen: »Ich habe ihn gefragt: ›Hast du schon einen Ver­ein?‹ Nein? Also gut, dann spielst du für uns.«

Manchmal kann es für einen Club aus der 8. Liga also sehr einfach sein, einen Spieler zu ­akquirieren, der 33 Zweit- und vier Erstligatreffer vorzuweisen hat. Insider raunen, Rath verdiene bei Haddeby jetzt 20 000 Euro jährlich – was wenig wäre für einen 32jährigen mit Bundesliga-Erfahrung, aber Rekord für die Kreisliga. Koppelt quittiert die Zahl mit lautem Lachen.

Rolf E. Sörensen, der Zweite Vorsitzende des Clubs, der eine Versicherungsagentur führt und nebenbei in einer Coverband spielt, findet ebenfalls, es werde zu viel über Zahlen spekuliert: »Von einem Spieler, von dem es heißt, er bekomme 1 200 Euro monatlich, weiß ich, dass es in Wahrheit 250 sind.« Der Vorstand sei aber grundsätzlich nicht darüber informiert, wie viel Geld an welchen Spieler fließe, das laufe alles über Koppelt, den »Team-Manager«.

Mit seinem neuen Verein will Koppelt nun in die Schleswig-Holstein-Liga, die ab der kom­men­den Saison die fünfthöchste Spielklasse sein wird. Der Aufstieg kann schnell gehen, dank einer Reform des Ligensystems. Setzt sich Haddeby im späten Frühjahr in einer Relegationsrunde durch, steigt man direkt von der achten in die sechste Liga auf.

Einige Konkurrenten nennen den Club schon FC Koppelt-Haddeby, was nahe liegt, denn die noch etwas bekannteren Verwandten aus London und Hoffenheim werden, in Anspielung auf ihre Geldgeber, ja manchmal auch FC Abramowitsch und FC Hoppenheim genannt. Koppelt ist ein aufbrausender Typ, er polarisiert ständig, auch wenn Vize Sörensen sagt: »Der macht hier nicht auf dicke Hose.« Im Gespräch bezeichnet der Geldgeber den Spielertrainer Guido Gehrke als »Konditionstrainer«, der eigentliche Coach sei er, Koppelt. »Das interessiert mich nicht«, sagt Gehrke, als er sich in der Kabine fürs Training umzieht, aber die Art, wie er dabei Zeitungsknäuel aus seinen Fußballschuhen herausreißt und sie in einen Papierkorb pfeffert, spricht eine andere Sprache.

Gehrke weiß, dass es ohne den Geldfluss aus Sylt nicht möglich wäre, in Haddeby »mit alten Kumpels zusammenzuspielen«. Das Kumpelteam wirkt eher wie eine schleswig-holsteinische Ausgabe der Galaktischen: Aus allen Regio­nen des Bundeslandes, aus dem Raum Lübeck und aus Kiel beispielsweise, reisen die Spieler an. Die Globalisierung macht eben auch vor dem Hobbyfußball nicht Halt. »So etwas gibt es bei keinem anderen Kreisligisten in Deutschland«, sagt Gehrke, der früher bei Holstein Kiel spielte. Er selbst wohnt nur 800 Meter vom Lundbarg-Stadion entfernt. Am meisten reist wohl der Finanzier Koppelt. »Sechs bis acht Stunden hin und zurück« sei er von Sylt nach Haddeby unterwegs.

Manchen Kreisligisten und ihren Anhängern missfällt, dass es jetzt auch in ihrer Spielklasse einen FC Chelsea gibt. Besonders beim Spiel gegen Olympia Rheide kochte die Stimmung. »Die hatten das ganze Dorf mitgebracht«, sagt Gehrke. »›Fußballnutten‹ war da noch die harmloseste Beschimpfung.« Wenn man sich aber »in Ruhe« mit den Verantwortlichen anderer Vereine unterhalte, gebe jeder zu, »dass sie es auch so gemacht hätten wie wir«, sagt Funktionär Sörensen. Sein Verein habe »keine andere Wahl« gehabt, als auf Koppelts Angebot einzugehen. Der alte Trainer habe den Verein kurzfristig verlassen und eine Hand voll Spieler abgeworben. Ohne die Unterstützung des Wohltäters von der Insel wäre man in die Kreisklasse abgestiegen, und angesichts solcher Perspektiven hätten die zahlreichen Talente aus der Jugendabteilung zwangsläufig das Weite gesucht.

Die teilweise feindselige Einstellung bei der Konkurrenz führt man in Haddeby darauf zurück, dass die Tageszeitungen des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags (Flensburger Tage­blatt, Schleswiger Nachrichten), die im Norden und Westen des Bundeslandes den Markt beherrschen, bisher mit eher zurückhaltender Freund­lichkeit über den aufgepäppelten Club berichtet haben. Gehrke sagt sogar, einige Ar­tikel hätten »unter die Gürtellinie« gezielt, Koppelt schimpft über »Verdrehungen« in pekuniären Dingen. Jürgen Muhl, der Sportchef der Verlagsgruppe, sagt dagegen, man habe in der Berichterstattung über die finanziellen Verhältnisse beim FC Haddeby »weit untertrieben«. Muhl und Koppelt werden keine Freunde mehr – was auch daran liegen könnte, dass der Journalist eine führende Rolle im Förderkreis des Verbandsligis­ten TSV Kropp spielt. Der Club, der zu Saisonbeginn gleich drei Spieler an Haddeby verlor, war seit langem die Nummer eins in der Region Schleswig, in der Koppelt jetzt die Verhältnisse durcheinandergebracht hat.

Mittlerweile hält man es beim FC Haddeby ohnehin mit der alten Showbusiness-Weisheit »Any publicity is good publicity«, denn nachdem in der vorigen Saison »nicht einmal 30 Zuschauer« (Vize Sörensen) die Heimspiele sehen wollten, kommen jetzt 200 Fans – trotz der kritischen Berichterstattung der Regionalpresse. Die höherklassigen Clubs im Raum Schleswig wären froh über solche Resonanz. Auch bei Aus­wärtsspielen sorgt Haddeby für volle Kassen – was die Star-Ensembles des Spitzenfußballs können, können die Besserverdiener von unten schon lange.

Das Lundbarg-Stadion ist auf weitere Anstürme vorbereitet. Es gibt hier immerhin 144 un­überdachte, wenn auch schon leicht verwitterte Sitzplätze. Und ein kleiner Holzverschlag an der Mittellinie könnte als Tribüne durchgehen. Sogar ein Hauch von Multifunktionsarena umweht das Gelände. Direkt neben der Vereinskneipe, wo die Currywurst mit Toast 2,50 Euro kostet, liegt das Jugendzentrum des Ortes. An der Tür des »Juz« wird gewarnt, es gelte »für ALLE unter 18 Jahren absolutes Rauchverbot«. Bei Zuwiderhandlung drohe möglicherweise die Schließung der Einrichtung.

Vom Jugendzentrum im ersten Stock hat man die beste Sicht aufs Spielfeld, und warm und trocken ist es auch. Möglicherweise gibt es, wenn es hoch genug hinaus geht mit dem FC Haddeby, irgendwann einmal Streit darüber, ob man die Räume nicht als VIP-Loge nutzen kann.