Das Rotlicht blendet

In Berlin-Schöneberg ist ein Großbordell geplant, mitten in einem Wohn- und Geschäftsviertel. Anwohner, Unternehmer und das Bezirksamt sind dagegen, denn das teuer bezahlte »soziale Gleichgewicht« im Viertel soll bewahrt werden. von jana brenner

»Hausfrauenstrich, Drogenstrich, Transenstrich, Parkplatzstrich«, zählt Regine Wosnitza auf, wäh­rend sie die Kurfürstenstraße im Berliner Stadtteil Schöneberg entlangläuft, »hier kann man ein­fach alles haben.« An der Ecke Kurfürstenstraße und Potsdamer Straße stehen vor dem Sex-Shop »Love Sex Dreams« (LSD) Prostituierte in kurzen Röcken und hohen Stiefeln. Drinnen gibt es Porno-DVDs, draußen Sex gegen Bares. Die Potsdamer Straße hat hier noch gar nichts vom so nahen Potsdamer Platz: keine zahlungskräftigen Tou­risten, keine moderne Architektur, keine schicken Bars. Stattdessen Ein-Euro-Läden, Imbissbuden, ein türkischer Supermarkt, in dem die jungen Frauen hin­ter den Kassen allesamt Kopftücher tragen. »Die Kaufkraft ist niedrig«, sagt Regine Wos­nitza, »außerdem gibt es viel Leerstand.« Leer stehen auch die Etagen über dem LSD. Aber nicht mehr lange, wenn es nach einem unbekannten Mieter ginge. Er will hier ein so genanntes Laufhaus eröffnen, ein Großbordell mit 40 Zimmern auf drei Etagen.

Prostitution gab es schon immer im Kiez. Die An­wohner haben sich damit arrangiert. »Ich ken­ne keinen, der sagt, die Prostitution muss hier ganz verschwinden«, sagt Wosnitza von der In­ter­es­sen­vertretung Potsdamer Straße, in der sich die dort ansässigen Geschäftsleute organisiert haben. Auch sie selbst habe keine Angst. »Ist ja schließlich noch nie was passiert.«

Doch vor ungefähr einem halben Jahr habe sich etwas dramatisch verändert, der Zustand sei schlicht unerträglich geworden. »Auf einmal sind Dutzende osteuropäische Frauen hier aufgetaucht.« Und die seien mit rabiaten Methoden auf Freiersuche gegangen. »Sie fassen Passanten einfach in den Schritt, fangen Streit an, wenn die Männer nicht mitgehen wollen.« Sie warteten halbnackt vor Kindergärten auf Kunden, sprä­chen Männer in Kneipen an. Auch ihre Zuhälter seien brutaler, schlügen den Prostituierten auf offener Straße ins Gesicht. Damit nicht genug mach­ten jene »osteuropäischen Frauen« den deut­schen Prostituierten die Preise kaputt. So »beklagte eine alteingesessene Hure« in der taz, dass sie »ohne Kondom zu Dumpinglöhnen« arbeiteten. Teilweise solle Oralverkehr ohne Gummi gerade einmal fünf Euro kosten.

Sollte das so sein, könnte es den Freiern vermutlich nur Recht sein. Nachfrage gibt es genug in Deutschland: 1,2 Millionen Männer kaufen sich täglich Sex. Geschätzte 400 000 Frauen verdienen ihr Geld als Sexarbeiterinnen, mehr als die Hälfte davon sind Migrantinnen. Statistisch gesehen haben 80 Prozent der deutschen Männer mindestens ein Mal in ihrem Leben Kontakt mit einer Hure, jeder vierte holt sich regelmäßig Befriedigung gegen Bezahlung.

Kein Wunder, dass dort, wo das Geschäft mit dem käuflichen Sex bereits gut läuft, noch wei­ter­gehende Pläne geschmiedet werden. Doch seit der Bauantrag für das Großbordell beim Be­zirks­amt Tempelhof-Schöneberg liegt, ist die Auf­regung groß. Noch mehr Huren bedeuten noch mehr Freier, befürchten Anwohner und Ge­schäfts­leute. Dass die »aggressiven Straßenprostituierten« dann im Bordell arbeiten würden, glauben sie nicht. Die Hurenorganisation Hydra habe das auf einer Anwohnerversammlung bestätigt. Straße und Haus seien zwei getrennte Arbeits­bereiche. Jedenfalls würde eine Zunahme der Pros­titution die Situation im Kiez weiter verschlimmern. Man befürchtet, dass alle wegziehen, die es sich leisten können, und die Ge­schäfts­leute ihre Läden dicht machen werden. Der Kiez würde »kippen«, heißt es.

Das Bezirksamt pflichtet den Anwohnern bei und kündigte großspurig an, den Bauantrag von vornherein abzulehnen. Das könnte allerdings schwierig werden. Denn rein baurechtlich spricht nichts gegen ein Bordell über dem LSD. Das heruntergekommene Gebäude mit der verwaschenen blauen Front befindet sich im so genannten Kern­gebiet. Verboten sind Bordelle aber lediglich in Wohngebieten. Und als »sittenwidrig« gilt Prostitution seit 2002 ohnehin nicht mehr. Die Kommunalpolitiker müssten sich also etwas einfallen lassen. Das wollen sie auch, versprechen sie immer wieder. Bezirksbürgermeister Ekkehard Band von der SPD will mit dem Verbot eine »so­ziale Entmischung« verhindern und den Kiez »vor dem kompletten Absturz retten«.

Denn das »soziale Gleichgewicht« im Kiez, so zer­brechlich wie karamelisierter Milchschaum, kommt nicht von ungefähr, sondern ist städte­pla­nerisch hart erarbeitet und teuer bezahlt. »Quar­tiersmanagement« heißt das Zauberwort. Ein Quar­tiersmanagement bekommen nur Viertel mit schlechter sozialer Diagnose: viele Arbeitslose, viele Sozialhilfeempfänger, viele Migranten, viel Abwanderung in andere Stadt­teile. Quartiersmanager arbeiten in 33 Gebieten in Berlin. Mit verschiedenen Projekten sollen sie das »So­zialgefüge stabilisieren, Anonymität auflösen, soziale Kontrolle aufbauen und eine Basis für das Engagement von interessierten Bewohnern schaffen«. 15,4 Millionen Euro erhalten die Quartiersmanagements der Hauptstadt im Jahr 2008 aus dem Projekt »Soziale Stadt« vom Bund, den Ländern und der EU. Der Kiez um die Potsdamer Straße gehört zum Quartiersmanagement Magde­burger Platz, das es seit 1999 gibt. 190 000 Euro bekommt es in diesem Jahr.

Gerade in der letzten Zeit konnten sich die Städte­­planer einiger Erfolge rühmen. Besserverdienende zogen ins Quartier, vor allem Medienleute. Die Kinder- und Jugendarbeit wurde verbessert, erste Cafés eröffneten. Das alles will man sich nicht kaputtmachen lassen.

Was sich das offenbar ungewöhnlich einfallsreiche Quartiersmanagement gegen das »störende Rotlicht« überlegt hat, mutet nicht sozial an. »Wachmänner in Uniform und Verkaufsstände, die den Platz einnehmen, auf dem jetzt die Frauen stehen«, das sei doch eine angemessene Lösung des Problems, heißt es auf seiner Homepage. »Pros­titution kann nur innerhalb einer gesunden Mischung urbanen Lebens von Anwohnern und Geschäftsleuten ertragen werden und nicht in massiver Konzentration.« Dazu geben sie den Ratschlag der Polizei weiter, »auch kleinste Rechts­widrigkeiten anzuzeigen«.

Anwohner und Bezirksvertreter sind mittlerweile nicht mehr die einzigen, denen die Nerven flattern. Auch dem Betreiber des LSD wurde es zu heiß. Er wehrte sich per Anwalt gegen die Berichterstattung der taz, in der es hieß, er selbst habe den Bauantrag für das Bordell gestellt. Und um das LSD ist es in den vergangenen Wochen verdächtig ruhig geworden. Die aggressiven Huren aus »Osteuropa« seien auf einmal alle weg. »Wir wissen auch nicht, wo die sind«, sagt Wosnitza. Das Viertel scheint seiner Vorstellung einer »gesunden Mischung urbanen Lebens« vorerst näher gekommen zu sein.