Drei Halbmonde im Klassenzimmer

Seit den Angriffen auf Kurden in den vergangen Wochen sind die nationalistischen und faschistischen Tendenzen unter türkischstämmigen Jugendlichen ins Blickfeld geraten. Doch Lehrer beklagen schon seit längerem den aggressiver werdenden Nationalismus unter ihren Schülern. von pascal beucker

Es hätte der Knaller des elften Spieltags werden sollen. Der Zweite zu Gast beim Dritten, beide noch ungeschlagen in dieser Saison. Ein Sieg hätte für beide die Übernahme der Tabellenführung bedeuten können. Wenn da nicht die kritische Situation im irakisch-türkischen Grenzgebiet dazwischengekommen wäre. Also wurde die Partie von Türkiyemspor Mönchengladbach gegen den SV Welate Roj Mönchengladbach kurzerhand abgesagt. Weil »die Sicherheit aufgrund der politischen Lage nicht garantiert werden konnte«, wenn der türkische gegen den kurdischen Verein gespielt hätte, wie der zuständige Kreisfußball-Ausschuss mitteilte. Die sich immer weiter zuspitzende militärische Auseinandersetzung des türkischen Staats mit der PKK in den kurdischen Bergen hat inzwischen also auch die Fußball-Kreisliga B Mönchengladbach-Viersen, Gruppe 1, erfasst.

Konkreter Hintergrund waren Aufrufe türkischer Nationalisten zur Teilnahme an Anti-PKK-Demonstrationen in der Region. Der Treffpunkt sollte ausgerechnet jene Bezirkssportanlage sein, wo die beiden Mannschaften gegeneinander hätten antreten sollen. So kurios und absurd es erscheint: Die Spielabsage vom Niederrhein in der vorvergangenen Woche ist kein Einzelfall. So wird es nun in der dritten Kölner Kreisklasse auch erst einmal nicht zu dem mit Spannung erwarteten Spiel des Tabellen-Zwölften SV Botan II gegen den Fünfzehnten, Türk Genc, kommen. Nachdem türkisch-nationalistische Demonstranten vor dem Vereinsheim des kurdischen SV Botan eine Schlägerei angezettelt hatten, bekamen die Mannschaften des Vereins bereits in der vergangenen Woche aus Sicherheitsgründen trainings-, und jetzt auch noch spielfrei. »Es ist immer übel, wenn die Politik in den Sport reinspielt«, klagt Hermann-Josef Schmitz, Spielansetzer beim Fußballkreis, sein Leid.

Straßenschlachtartige Szenen in den Berliner Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln, Tumulte in Köln-Mülheim, Überfälle jugendlicher Schlägergruppen auf kurdische Einrichtungen, aber auch in zahlreichen Städten friedliche – zumeist jedoch verbal höchst aggressive – Demonstrationen »gegen den Terror der PKK«:

Es ist offenkundig, dass die nationalistisch extrem aufgeladene Stimmung in der Türkei zunehmend ihren Widerhall in den türkischstämmigen Communities der Bundesrepublik findet. Nicht nur der PKK scheint es zu gelingen, in der gegenwärtigen Auseinandersetzung ihren Öcalan-Fanclub in der BRD zu reaktivieren. Scheinbar völlig überrascht schauen Politiker und die Sicherheits­behörden auf ein Phänomen, von dem sie bereits behaupteten, es existiere in seiner militanten, gewaltbereiten Form nur noch auf »kurdischer Seite«. Nun werden sie – in Berlin sogar im wahrsten Sinne des Wortes – schmerzhaft eines besseren belehrt. Und das könnte erst der Anfang gewesen sein. Denn die türkische Armee war zu dem Zeitpunkt noch nicht in den Nord­irak einmarschiert.

Unlängst hatte Berlins Innensenator Ehrhart Körting etwas zu vollmundig verkündet, er rechne noch nicht einmal für diesen Fall mit gewalttätigen Demonstrationen in der Bundeshauptstadt. Nach den Krawallen vom vorvergangenen Sonntag, bei denen immerhin auch 18 Beamte verletzt wurden, beeilte sich der Sozialdemokrat, den Attacken von Jugendlichen aus dem Umfeld der rechtsextremistisch-chauvinistischen Grauen Wölfe auf Menschen kurdischer Herkunft eine »neue Qualität« zuzuschreiben.

Doch so neu ist diese Entwicklung nicht, auch wenn sie von der deutschen Mehrheitsgesellschaft nicht wahrgenommen wurde. Zur Illustration eine kurze Rückblende: Im Frühjahr 2006 berichtet ein kurdischstämmiger Türkischlehrer, was ihm widerfahren ist. Seit 28 Jahren lebe er nun in der Bundesrepublik, seit 1979 unterrichte er an einer Kölner Gesamtschule. Doch so etwas habe er bisher noch nicht erlebt. Immer wieder, so erzählt der 57jährige Mann, sehe er sich in seinem Unterricht in einer neunten Klasse verbalen Attacken von einer Gruppe türkisch-nationalistisch eingestellter Jungen ausgesetzt, die in ihm »offenbar den personifizierten Erzfeind« sähen. Die betreffenden Schüler versuchten offensichtlich, den türkischen Sprachunterricht zur Propagierung einer nationalistischen und rassistischen Weltsicht zu missbrauchen. Der Lehrer erzählt, die Schüler wollten ihn in »Diskussionen« verwickeln mit Fragen wie: »Wenn ein Krieg ausbricht, kehren Sie in die Türkei zurück, kämpfen Sie an der Front für Ihre Heimat?« Oder auch: »Haben die Juden die Weltherrschaft, und wie denken Sie über deren Weltverschwörung?« Dazu kämen auf Tische und Bänke geschmierte Parolen und Symbole der Grauen Wölfe.

Ähnliche Fälle werden auch von anderen Kölner Schulen bekannt. So wird ein Lehrer als Kommunist und PKK-Mitglied beschimpft, weil er sich geweigert hatte, mit den Schülern einen Eid auf die Türkei zu sprechen oder zu Beginn des Unterrichts die türkische Nationalhymne zu singen. An einer Realschule schickt der Rektor einen Schüler nach Hause, nachdem der sich die drei Halbmonde, das Zeichen der Partei der nationalistischen Bewegung (MHP), auf den Kopf hatte frisieren lassen. Gerne als Halsschmuck oder Gürtelschnalle wird auch der Bozkurt getragen, der heulende Wolf der MHP-Jugendorganisation. Beliebt sei auch der dazugehörige Graue-Wolf-Gruß, das Spreizen des kleinen Fingers und des Zeigefingers für die Ohren und das Aufeinanderlegen des Mittel- und Ringfingers auf den Dau­men für die Schnauze. Die Lehrergewerkschaft GEW in Köln berichtet in ihrer Mitgliederzeitung von »Provokationen unterschiedlicher Art«. Es seien vor allem männliche Jugendliche, die sich offen zur verqueren Ideologie der MHP aus islamischem Türkentum, Antisemitismus, Rassismus und Antikommunismus bekennen. Sie würden »offensichtlich von den Verantwortlichen bestimmter Moscheen und von politischen Vereinigungen geschult«. Türkischstämmige Schüler, aber auch Lehrer würden »zum Teil massiv bedroht, wenn sie nicht mitmachen«. Es scheine sich »um gezielte Aktionen« zu handeln mit dem Ziel der »Verfestigung einer türkisch-islamischen Parallelgesellschaft«.

Dass es sich nicht nur um ein lokales Problem handelt, zeigen ähnliche Berichte aus dem Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und verschiedenen Städten des Ruhrgebiets. So machte schon im Februar 2006 die GEW Gelsenkirchen auf Fälle an einer Gesamtschule aufmerksam. Zwei Lehrkräfte seien wegen ihres »nicht genehmen« Unterrichts attackiert worden. So soll ein Erzieher als »Jude« beschimpft und mit Stink­bomben eingedeckt worden sein, weil er im Unterricht die Evolutionstheorie behandelt habe. Er habe inzwischen seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand beantragt. Einer anderen Lehrerin soll wegen ihres Sexualkundeunterrichts auf dem Schulparkplatz von Schulfremden aufgelauert worden sein, die sie bedroht, bespuckt und tätlich angegriffen hätten.

All diese Geschehnisse waren Vorboten für das, was sich jetzt auf bundesdeutschen Straßen abspielt. Aber die Politik und auch die Sicherheitsbehörden haben sich von der Monstrosität der islamistischen Gefahr den Blick auf die, schon seit längerem zu beobachtende Rückkehr der Grauen Wölfe versperren lassen, die sich nicht zuletzt wegen ihrer martialischen und aggressiven Rhetorik eines erstaunlichen Zuspruchs bei männlichen Jugendlichen türkischer Herkunft erfreuen.

Während in den Verfassungsschutzberichten jedoch die Darstellung islamistischer Bestrebungen verständlicherweise mehr Raum einnahm und die Kurdische Arbeiterpartei PKK samt ihrer Vorfeldorganisationen ihren Stammplatz verteidigen konnte, verringerten sich indes die Beschreibungen der Aktivitäten türkischer Faschisten und Ultranationalisten. So werden in den Jahresberichten des Berliner Verfassungsschutzes »extreme Nationalisten (türkisch)« seit Jahren nur noch in einer Zahlenstatistik genannt. Im aktuellen NRW-Verfassungsschutzbericht tauchen sie gar nicht mehr auf. Nun werden sie wohl wieder ins Blickfeld geraten.