Totschweigen

Der britische Journalist David Litchfield sorgt mit seiner Darstellung des Judenmassakers im österreichischen Rechnitz weiterhin für Aufregung. Von Karl Pfeifer

Die FAZ publizierte am 18. Oktober den Artikel »Massaker von Rechnitz« des britischen Journalisten David R.L. Litchfield, der ein Buch über die Familie Thyssen veröffentlichte und darin berichtet, was in Österreich spätestens seit der ORF-Dokumentation »Totschweigen« (1994) von Eduard Erne bekannt ist: dass Graf und Gräfin Margit Batthyány (geb. Thyssen) zu Ehren der Naziprominenz, der SS und des lokalen Gestapo­chefs Podezin am 24. März 1945 auf ihrem Schloss in Rechnitz ein Fest gaben, währenddessen 180 ungarische Juden, die als Zwangs­arbeiter beim Bau des Ostwalls eingesetzt waren, ermordet wurden.

Dieser Sachverhalt ist 1948 eindeutig durch Zeugenaussagen bei einem Prozess in Wien belegt worden. Doch zwei Zeugen der Anklage waren zuvor ermordet worden und die Bevölke­rung von Rechnitz schwieg Jahrzehnte beharrlich. Bis heute hat man trotz intensiver Suche nicht alle Leichen gefunden.

Der burgenländische Schriftsteller Peter Wagner, der sich mit dieser Geschichte eingehend beschäftigte, schrieb: »Um 20 Uhr werden in der Nähe des Kreuzstadels Gräben ausgehoben. Um 21 Uhr beginnt das Fest im Schloß. Anwesend sind die örtliche Parteiprominenz, Gestapo mit ihrem Chef Podezin, Graf und Gräfin Batthyány, der Gutsverwalter Oldenburg, Kellner, HJ-Jungen. Später seien noch die Mädchen aus der Küche zum Tanzen gekommen, berichtet eine Zeugin. Gegen 24 Uhr werden die Juden vom Bahnhof zum Kreuzstadel transportiert.

Fast zur selben Zeit – auf dem Fest – ruft der Gestapo-Chef Podezin einige Leute in einen Nebenraum. Er eröffnet ihnen, dass sie jetzt Juden erschießen gehen. Es werden Gewehre an sie verteilt. Sie verlassen das Fest und fahren zum Kreuzstadel.

Franz Cserer (Kellner): Das Fest hat abends ge­gen 19 Uhr begonnen, doch weiß ich das Ende nicht, weil ich gegen 2.30 Uhr morgens heimgegangen bin. Bei diesem Fest waren ca. 50 Gäs­te anwesend. Die Teilnehmer des Festes waren Tausendschafts- und Hundertschaftsführer und Rechnitzer. Das gräfliche Paar Batthyány, Podezin, die Stadler, der Groll und andere Personen, die ich nicht gekannt habe. Ich erinnere, dass im Ablauf des Festes einige Personen längere Zeit fort blieben, und zwar Podezin, die Stadler, Muralter, Groll, Oldenburg. Diese Leute sind mit Mantel bekleidet in kleinen Gruppen fortgegangen. Ich schätze, dass ihr Abgang so gegen 23 Uhr erfolgt sein dürfte. Als ich selbst gegen 1/2 2 das Fest verließ, waren sie noch nicht zurück.«

Noch am Tag der FAZ-Publikation sprach der Sender Deutschlandradio mit dem Berliner Historiker Wolfgang Benz. Auf die Frage, ob ein Fall, wie ihn David Litchfield geschildert hat, in den historischen Forschungen bekannt ist, sagt Benz: »Dieser Fall ist nicht bekannt, und es gibt auch keine oder kaum vergleichbare Fälle, dass jetzt eine Partybelustigung von Prominenten dazu gedient hat, Judenmord zu begehen. Weiter stimmt mich skeptisch der sehr, sehr späte Zeitpunkt. Am 24. März 1945 hatten auch die ganz unentwegten Fanatiker eigentlich anderes im Sinn, nämlich ihre Haut zu retten … aber gegen diese Form des Massakers spricht schon sehr die Vermutung, dass es zu spät war.«

Erstaunliche Aussagen eines Historikers, der wichtige Arbeiten zum Nationalsozialismus geliefert hat. Eine Rolle dürfte dabei die Kränkung darüber gespielt haben, dass die FAZ einen Text eines in Deutschland unbekannten Jour­nalisten publiziert hat. Die FAZ hat mit ei­nigen Beiträgen, die Ende Oktober erschienen, die wesentlichen Behauptungen Litchfields gestützt. So etwa der Dokumentarfilmer Erne, der für seinen Beitrag »Totschweigen« umfangreiche Recherchen im Auftrag der Israeli­tischen Kultusgemeinde und der Universität Wien angestellt hat. Befragt, welche Rolle die Familie Batthyány spielte, antwortete er: »Eine entschei­dende. Das Schloss der Batthyánys beherbergte die Logistik der Bauarbeiten am Südostwall. Hier befanden sich die Büros der Bauabschnitts­leitung, in den Stallungen waren die Zwangsarbeiter elend untergebracht. Und die Batthyánys waren am Abend des Massakers Gastgeber jenes Festes, von dem die Täter losgezogen sind.«

In Österreich – wo diese Täter, wenn überhaupt, milde bestraft wurden – ist das Schweigen gebrochen, und seit Jahren wird auch in Rechnitz über dieses Verbrechen gesprochen und jährlich wird seiner gedacht. Der Film »Totschweigen« wird mittlerweile als Unterrichtsmaterial in Schulen gezeigt.