In Annapolis ist kein Staat zu machen

Die USA machen Druck. Vor allem auf Israel. Beim Gipfel in Annapolis geht es weniger um eine Lösung des Nahost-Konlikts als um die Etablierung einer Front gegen den Iran. kommentar von ivo bozic
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Seit bald zwei Jahren liegt der ehemalige israelische Ministerpräsident Ariel Sharon im Koma. Für tot erklärt hat man ihn jedoch noch nicht. Oder nun doch? In der vergangenen Woche wurde die erste Einrichtung nach ihm benannt: eine Müllkippe am Stadtrand von Tel Aviv. Ariel-Sharon-Park heißt der inzwischen begrünte Müllberg nunmehr. Diese Namensgebung war wohl nicht als Kommentar zum historischen Erbe Ariel Sharons – dem Abzug aus Gaza – gemeint. Dennoch steht fest, dass nichts besser geworden ist seitdem. Nicht für die Israelis, die weiterhin täglich dem Beschuss von Qassam-Raketen aus dem Gaza-Streifen heraus ausgesetzt sind, und nicht für die Palästinenser, die in Gaza ein gewaltträchtiges, selbstzerstörerisches Hamastan zu erleiden haben.

Welche Hoffnung gibt es, dass es nach einem Abzug aus der Westbank anders laufen wird? Den Palästinensern droht unter den gegebenen Umständen in einem souveränen Staat die Despotie islamistischer Fundamentalisten und der endgültige wirtschaftliche Kollaps, den Israelis droht eine fast das ganze kleine Land umgebende, militärisch schwer zu verteidigende Grenze zu einem weiteren Feindesland. Auf beiden Seiten sind die Regierungen derzeit äußerst schwach, die Palästinenser sind politisch wie geo­graphisch gespalten, selten waren die Ausgangsbedingungen für Verhandlungen so schlecht wie heute. Was also könnte die beiden Seiten motivieren, in Annapolis über den Abzug israelischer Siedler und Soldaten aus der Westbank zu verhandeln? (Von den noch heißeren Eisen, der ideologisch hoch aufgeladenen Jerusalem- und der Flüchtlingsfrage mal ganz zu schweigen.) Eigentlich nur die Tatsache, dass es so wie es ist, nicht weitergehen kann.

Hinzu kommt der internationale Druck, der beide Seiten zwingen soll, auf einander zu zugehen. Er kommt von der Arabischen Liga und den Europäern, vor allem aber von den USA, und er lastet vor allem auf Israel. Die viel zitierte Israel-Lobby in den USA: Es mag sie geben, doch wohl noch nie war sie so einflusslos wie heute. Außenministerin Condoleezza Rice, die derzeit unentwegt an allen möglichen Fronten verhandelt, wird nicht müde, Forderungen an Israel zu formulieren: totaler Stopp des Siedlungsbaus, Freilassung von noch mehr palästinensischen Gefangenen, Abbau weiterer Straßensperren. Es sind exakt jene Forderungen, die dieser Tage aus den Reihen der Arabischen Liga zu vernehmen waren; erfüllbare zwar, aber einseitige Forderungen an Israel, weiteres Entgegenkommen zu signalisieren. Dabei betreibt Israel derzeit derart viele vertrauensbildende Maßnahmen, dass man sich fast Sorgen um die palästinensische Autonomie machen muss – von einem Abwasserprojekt in Gaza, über ein Praktikanten-Projekt für Palästinenser, der Ausstattung der palästinensischen Polizei, Freilassung Hunderter Gefangener, die Einrichtung bilateraler Komitees bis zur Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit bei Aufbauprojekten in der Westbank. Und was kommt von der palästinensischen Seite? Das seit Jahren folgenlos wiederholte Versprechen, die gewalttätigen Banden unter Kontrolle bringen zu wollen. Das ist alles.

Der Gipfel in Annapolis kann nur scheitern: Machen Ehud Olmert und Mahmoud Abbas keine oder nur wenige Zugeständnisse, wird die Enttäuschung groß sein. Eine palästinensische Ministerin befürchtete eine dritte Intifada für den Fall des Scheiterns, der EU-Außenbeauftrage Javier Solana warnte ebenfalls vor einer Eskalation – beides konnte auch als Drohung gegenüber Israel interpretiert werden. Machen Olmert und Abbas jedoch zu große Konzessionen, drohen sie weiter an politischem Einfluss zu verlieren, mögliche Vereinbarungen wären schnell hinfällig. Olmerts Koalition ist eine fragile Angelegenheit, und Abbas sieht sich selbst in der Westbank mit stärker werdenden jihadistischen Bewegungen konfrontiert – von seinem Mega-Problem Hamas in Gaza mal ganz abgesehen.

Die Arabische Liga und vor allem Saudi-Arabien versuchen zudem, ihr politisches Gewicht zu erhöhen, indem sie seit Wochen Spekulationen über eine Absage des Gipfels freien Lauf lassen. Die USA jedoch brauchen die Saudis und die Liga dringend, denn höchste Priorität hat für die Bush-Regierung eine westlich-arabische Koalition gegen den Iran.

Mehr als das Israel-Palästina-Problem gilt das Interesse der USA ihrer Gesamtstrategie für den Mittleren Osten. Tatsächlich könnte es sein, dass eine arabische Formierung gegen den Iran für die israelische Sicherheit dringlicher wäre als Vereinbarungen mit den Palästinensern. Doch dies bedeutet auch: Die Saudis haben, weil die Amerikaner sie brauchen, für ihre eigenen Interessen nun neben dem Öl ein weiteres Druckmittel gegenüber den USA in den Händen.

Inwieweit es in Annapolis tatsächlich um einen palästinensischen Staat geht, ist also fraglich. Langfristig führt wohl nichts an einem Palästinenser-Staat vorbei, aber ebenso klar ist: Westbank und Gaza können nur eine staatliche Einheit bilden, wenn die Hamas endgültig besiegt wird, danach sieht es jedoch ganz und gar nicht aus. Ohne Einheit der Gebiete wird es jedoch keinen Palästinenserstaat geben. Jedes Gerede darüber ist derzeit also umsonst. Da wäre eine Wiederangliederung der Westbank an Jordanien und des Gaza-Streifens an Ägypten noch realistischer – und im übrigen auch für alle Beteiligten die bessere Variante. Für alle, außer für Jordanien und Ägypten, die diese Gebiete – und mit ihnen die darin lebenden Palästinenser – gar nicht zurück haben wollen. Doch sie müssen sich nicht sorgen: Auf sie wird in dieser Hinsicht kein internationaler Druck ausgeübt, man überlässt auch künftig alle Probleme Israel.