Lahme Enten fliegen flach

So unklar es ist, wer was wann in dem kleinen amerikanischen Städtchen Annapolis genau tun wird, so bekannt scheinen die politischen Umstände zu sein. Der israelisch-palästinensischen Friedensprozess befindet sich in einer Zeitschleife. von andré anchuelo

»Ich werde diesen Herbst ein internationales Treffen von Repräsentanten der Nationen zusammenrufen, die eine Zwei-Staaten-Lösung unterstützen, Gewalt ablehnen, Israels Existenzrecht anerkennen und allen früheren Abkommen zwischen den Parteien verpflichtet sind. Die Schlüsselteilnehmer dieses Treffens werden die Israelis, die Palästinenser und ihre Nachbarn in der Region sein.« Mit diesen Sätzen kündigte US-Präsident George W. Bush im Juli bei einer Rede in Washington etwas an, von dem man bis heute nicht so genau sagen kann, was es sein wird, wer daran teilnehmen wird und was dabei herauskommen soll. Halbwegs sicher lässt sich lediglich sagen, dass das Treffen – häufig als Nahost-Gipfel, zuweilen auch als Nahost-Konferenz bezeichnet – in dem kleinen Hafenstädtchen Annapolis stattfinden soll. In der Hauptstadt des US-Bundesstaates Maryland, etwa 50 Kilometer östlich von Washington, sollen die wichtigsten Beteiligten des israelisch-palästinensischen Konfliktes zusammentreffen.

Unklar war noch bis zum Dienstag, wann das Treffen genau stattfindet. Wochenlang hieß es aus diplomatischen Kreisen, es werde wohl »Ende November« sein. Zuletzt wurde der kommende Montag, der 26. November, als Datum genannt. Vermutlich wird sich das Treffen über drei Tage hinziehen. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass es doch noch spontan in den Dezember verschoben wird.

Wer außer Israels Ministerpräsident Ehud Olmert, dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas und US-Außenministerin Condoleezza Rice tatsächlich anreisen wird, bleibt wohl bis zum Schluss ungewiss. All das ist ziemlich bemerkenswert für ein Treffen, das möglicherweise bereits in wenigen Tagen stattfindet und über welches im Nahen Osten wie in westlichen Medien seit Wochen heftig diskutiert wird.

Dabei lassen einige Aspekte eher an ein Déjà-vu-Erlebnis denken als an große Weltpolitik. Da ist zum einen der Initiator des Treffens, US-Präsident Bush. Ein Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen, bei denen Bush nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf, nähert er sich dem Lame duck-Status. Mit diesem schönen Begriff umschreiben die Amerikaner die Tatsache, dass ein Präsident, je näher das Ende seiner Amtszeit rückt, immer mehr zur »lahmen Ente« wird, zu einem Politiker, dessen Takraft für langfristige Vorhaben nicht mehr ausreicht. Gern versucht der Betreffende dann, sich mit einer symbolisch besonders wirkungsvollen Tat noch einen Platz in den Geschichtsbüchern zu sichern.

Paradebeispiel hierfür ist Bushs Amtsvorgänger Bill Clinton, der hoffte, sich als erfolgreicher Moderator israelisch-palästinensischer final status-Verhandlungen im Sommer 2000 in Camp David den Friedensnobelpreis zu sichern. Der damalige israelische Premierminister Ehud Barak wiederum stand, nach dem Scheitern von Friedensverhandlungen mit Syrien und dem, von vielen als Niederlage betrachteten, einseitigen Abzug aus dem Libanon unter Erfolgsdruck und wandte sich deshalb den Verhandlungen mit den Palästinensern zu. Er war zwar politisch noch keine »lahme Ente«, doch seine Wiederwahl hing von einem Verhandlungserfolg ab.

Ähnlich ließe sich heute, darauf haben verschiedene Kommentatoren hingewiesen, die Situation der gegenwärtigen Amtsinhaber Bush und Olmert beschreiben. Dem US-Präsidenten wäre, nachdem der Irak-Krieg allgemein als Fiasko betrachtet wird und auch in Afghanistan die Dinge nicht so laufen, wie sie sollen, am Ende seiner Amtszeit an einem außenpolitischen Erfolg sehr gelegen. Olmert hingegen steht nach dem ihm angelasteten Fehlschlag des Libanon-Kriegs vom Sommer 2006 und angesichts wiederholter Korruptionsvorwürfe unter hohem innenpolitischen Druck, endlich Erfolge vorzuweisen.

Doch auch jenseits der handelnden Personen, beim Blick auf die diskutierten Themen, beschleicht einen ein Déjà-vu-Gefühl. Palästinensische Staatsgründung, Friedensvertrag, endgültige Grenzen, Gebietstausch, Teilung Jerusalems, Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge: Das alles wurde in Camp David schon einmal verhandelt – erfolglos.

Doch genau diese Tatsache macht die derzeitige Situation zu einer völlig anderen als die damalige. Der Konflikt hat sich verändert, und die Welt ist nicht mehr dieselbe. Denn gescheitert waren die Verhandlungen von Camp David und ihre Fortsetzung in Taba vor allem an der Weigerung des damaligen Palästinenserpräsidenten Yassir Ara­fat, ernsthaft zu verhandeln. Stattdessen meinte er, durch die Anwendung kriegerischer Mittel mehr bekommen zu können als mit Gesprächen, und ließ propagandistische und militärische Vorbereitungen für einen Terrorkrieg gegen Israel treffen. Mit dem Besuch des damaligen israelischen Oppositionsführers Ariel Sharon auf dem Tempelberg hatte man auch bald einen Anlass gefunden, diesen Krieg zu beginnen und mit dem Namen »al-Aqsa-Intifada« religiös aufzuladen.

Dass Arafat im Gegensatz zur ersten Intifada – die weitestgehend von örtlichen Aktivisten unbewaffnet geführt wurde, während die PLO-Führung im tunesischen Exil festsaß – jetzt überhaupt die Möglichkeit hatte, unter Rückgriff auf organisierte paramilitärische Verbände mit Waffengewalt israelische Soldaten und Zivilisten anzugreifen, war ein Ergebnis der Osloer Abkommen. In ihnen hatte Israel sich ab 1993 zu einem allmählichen Rückzug aus den Palästinensergebieten verpflichtet und der Bewaffnung palästinensischer Sicherheits­dienste in einem festgesetzten, von den Palästinensern schnell gesprengten Rahmen zugestimmt. Dafür erkannte die PLO das Existenzrecht Israels an und verpflichtete sich, auf Gewalt zu verzichten. So begann eine als »Friedensprozess« bezeichnete Phase, die nach einer fünfjährigen Übergangszeit in einem Abkommen zur Klärung aller noch strittigen Fragen münden sollte.

Doch das von der palästinensischen Führung erhoffte »Modell Kosovo« fand im Nahen Osten nicht statt. Zwar hat sich, wegen der offensichtlichen Unfähigkeit der USA, den Konflikt im Alleingang zu befrieden, die Konfliktbetreuung stärker internationalisiert. Dem im April 2002 eingesetzten sogenannten Nahost-Quartett gehören neben den Amerikanern auch Russland, die Europäische Union und der Generalsekretär der Vereinten Nationen an. Doch statt der von den Palästinensern erhofften Militärintervention gegen Israel beschloss das Quartett einen »Roadmap« genannten Friedensplan, der nur im Ansatz verwirklicht wurde und bis heute seiner Realisierung harrt. Die israelische Armee marschierte, um den anti-israelischen Terror zu beenden, wieder in die Palästinensergebiete ein – das Ende für die Osloer Abkommen, die bereits vorher durch die Rückkehr der Palästinenser zur Gewalt faktisch aufgekündigt worden waren. Ihre Hinterlassenschaft besteht heute in einer korrupten Palästinensischen Autonomiebehörde, deren Einfluss seit der Machtübernahme der islamistischen Hamas im Gaza-Streifen auf das Westjordanland beschränkt ist.

Alle weiteren Konfliktlösungsversuche relativieren sich inzwischen infolgedessen. Da die Hamas kein Interesse an einer Anerkennung Israels, geschweige denn an Friedensverhandlungen mit dem jüdischen Staat hat, könnte Abbas, wenn überhaupt, ein Abkommen nur in der Westbank realisieren. Umgekehrt wäre Israel weiterhin dem Raketenbeschuss durch die Hamas aus dem Gaza-Streifen ausgesetzt. Das sind nicht gerade günstige Voraussetzungen für neue Verhandlungen. Genauso wenig wie die Tatsache, dass sich mit Syrien ein wichtiger Nachbar Israels wenig geneigt zeigt, die von Bush vorgegebenen Bedingungen für eine Teilnahme zu erfüllen, und stattdessen lieber einen Gegengipfel veranstalten möchte .

Lediglich die Haltung Saudi-Arabiens hat sich seit Camp David positiv entwickelt. Bereits 2002 initiierte es die Beiruter Erklärung der Arabischen Liga, in der Israel für den Fall einer israelisch-palästinensischen Einigung eine Normalisierung der Beziehungen zu anderen arabischen Staaten in Aussicht gestellt wird. Möglicherweise werden die Saudis auch an dem Treffen in Annapolis teilnehmen. Doch bestenfalls kann eine Erneuerung des »Friedensprozesses« erst jetzt beginnen. Wahrscheinlicher ist es, dass die obskure Vorbereitung des Gipfels lediglich Ausdruck so unterschiedlicher Interessen ist, dass in Annapolis nur einige belanglose Erklärungen und ein paar schöne Fotos herausspringen.