Reich sein genügt nicht

In der palästinensischen Bevölkerung wächst die Unzfriedenheit mit Hamas und Fatah. Doch andere Parteien haben es schwer, sich zu etablieren. von jörn schulz

Die Aktien der Palästinenser stehen gar nicht so schlecht. An der Börse von Nablus, der Palestine Securities Exchange, gab es im Jahr 2005 zwar einen Kurssturz, seit dem vergangenen Jahr ist der al-Quds-Index der Börse jedoch weitgehend stabil, trotz der Machtübernahme der Hamas im Gaza-Streifen.

Unweit von Nablus residiert Munib al-Masri, der reichste Palästinenser, dessen Firmen, vor allem die Holding Padico und das Telekommunikations­unternehmen Paltel, den größten Teil des an der Börse gehandelten Aktienkapitals stellen. Al-Masri ist ein Unternehmer mit politischen Ambitionen. »Ich habe in meinem Leben alles erreicht, was ich wollte«, sagte er im vergangenen Jahr, als Spekulationen kursierten, er solle Ministerpräsident der palästinensischen Regierung werden. »Das einzige, was zu tun bleibt, ist meinen Traum von einem unabhängigen palästinensischen Staat verwirklicht zu sehen«. Repräsentanten der Hamas und der Fatah verhandelten damals über eine Koalition der »nationalen Einheit«. Doch entweder entschieden sich die Funktionäre gegen ihn, oder er war klug genug, das Angebot abzulehnen.

Am Donnerstag voriger Woche kündigte der 73jähri­ge al-Masri die Gründung einer neuen Partei an, erste Versammlungen des Palestine Forum fanden in Ramallah und Gaza statt. Der in den USA ausgebildete Geschäftsmann hat gute Beziehungen zu westlichen Regierungen, er war ein enger Vertrauter Yassir Arafats. Für gemäßigte Palästinenser könnte die neue Partei eine Alternative sein, zumal sie von al-Masri noch am ehesten erwarten können, dass er ihre ökonomische Lage verbessert, und sei es durch politische Investitionen oder Geldgeschenke. Umfragen zufolge hat ein Drittel der Palästinenser weder Vertrauen in die Fatah noch in die Hamas.

Fraglich ist allerdings, ob in den palästinensischen Gebieten derzeit eine Partei ohne eigene Milizen überhaupt eine Chance hat. Spätestens mit der gewaltsamen Machtübernahme der Hamas im Gaza-Streifen wurde im Juni klar, dass die »nationale Einheit« ein Mythos und der entscheidende Faktor im Machtkampf die militärische Stärke der jeweiligen Parteien ist. Vor allem im Gaza-Streifen hat sich eine Kriegswirtschaft etabliert, von der zurzeit überwiegend die Milizenführer der Hamas profitieren, während die Fatah mittels der von ihr dominierten Autonomiebehörde über klientelistische Beziehungen Loyalität zu sichern versucht.

Das sind schlechte Voraussetzungen für eine politische Meinungsbildung, die es neuen Gruppierungen erlauben könnte, an Einfluss zu gewinnen. Nur wenige palästinensische Intellektuelle wagen es, durch kritische Äußerungen Islamisten und Nationalisten herauszufordern. So wird der Machtkampf weiterhin zwischen Hamas und Fatah ausgetragen, und das Ziel der Regierungen der USA und Israels beim Gipfel von Annapolis dürfte vor allem sein, die Fatah von Mahm­oud Abbas zu stärken und die Hamas zu isolieren.

Wenn alles gut für Abbas läuft, werden die teilnehmenden arabischen Regierungsvertreter die islamistische Machtübernahme im Gaza-Streifen kritisieren. Die Konfrontation mit der Hamas erleichtert es ihm einerseits zu verhandeln, da er keine Rücksicht mehr auf die kompromisslose Haltung der Islamisten nehmen muss. Ohne die Hamas zu verhandeln, bedeutet andererseits, die politische Spaltung zu akzeptieren, und es ist fraglich, ob die arabischen Regierungen dies gutheißen werden.

Der palästinensische Präsident kann wohl auch auf Zusagen für Hilfszahlungen rechnen, wird das Geld aber vornehmlich verwenden müssen, um die Loyalität seiner Beamten und der Angehörigen der zahlreichen bewaffneten Gruppen zu sichern, die der Fatah und der Autonomiebehörde unterstellt sind. Viele von ihnen haben seit Monaten kein Gehalt mehr ausgezahlt bekommen. Internationale Hilfsleistungen und die Versorgung durch die UNRWA, das UN-Flüchtlingshilfswerk für die palästinensischen Gebiete, sichern das Überleben und eine gewisse soziale Infrastruktur. Doch niemand hat bislang einen Modus gefunden, der gewährleistet, dass ausländische Finanzhilfen für Entwicklungsprojekte verwendet werden.

Schwieriger noch ist die von Israel geforderte »Zerschlagung der terroristischen Infrastruktur«, die Auflösung der Milizen von Hamas und Islamischem Jihad, aber auch nationalreligiöser, nominell der Fatah angehörender Gruppen, zu bewerkstelligen. Sie wird in der Road Map als ein Schritt aufgeführt, der Verhandlungen über die Grenzen eines palästinensischen Staates vorausgehen muss. Selbst wenn der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert in Annapolis zusagen sollte, mit diesen final status-Verhandlungen zu beginnen, obwohl terroristische Organisationen weiterhin existieren, würde das Abbas wenig nutzen. Dies wäre nur ein weiterer Zeitplan für den Friedensprozess, eine Roadmap zur Roadmap, was die Palästinenser nicht beeindrucken dürfte.

Im Gegensatz zu Yassir Arafat gilt Abbas den meisten israelischen Politikern als vertrauenswürdiger Verhandlungspartner. Doch die israelische Regierung wird die Blamage der Fatah, deren nominell 60 000 Mann zählende Streitkräfte im Juni sehr schnell von den Milizen der Hamas besiegt wurden, nicht vergessen. Abbas würde eine final status-Vereinbarung wohl nicht durchsetzen können.

In der Westbank gibt es Zerfallserscheinungen bei der Fatah, hohe Funktionäre lassen sich lieber in Jordanien oder Ägypten nieder. Mohammed Dahlan, ehemals Minister und wichtigster Milizenführer im Gaza-Streifen, verkündete Mitte November zwar »den Anfang vom Ende der Hamas«, hält sich aber meist in Kairo auf. Eine Ermutigung für die Kader und Milizionäre, die im Ernstfall der Hamas bewaffnet gegenübertreten müssten, ist das gewiss nicht. »Wir müssen diesen Haufen vertreiben, der Gaza mit bewaffneter Gewalt erobert hat«, forderte Abbas am Donnerstag der vergangenen Woche. In ihrem gegenwärtigen Zustand dürfte die Fatah jedoch nicht in der Lage sein, die wachsenden Probleme der Hamas zu ihrem Vorteil zu nutzen. Vielmehr scheinen islamistische Gruppen wie die Hizb al-Tahrir von der Krise der großen Organisationen zu profitieren.

Mehr als 200 000 Menschen beteiligten sich im Gaza-Streifen an der Gedenkkundgebung zum dritten Todestag Arafats am vorletzten Montag. Die Fatah hatte zu der Kundgebung aufgerufen, viele Demonstranten nutzten jedoch nur die Gelegenheit, um gegen die Herrschaft der Hamas zu protestieren. Dass deren Milizionäre in die Menge feuerten und sieben Menschen töteten, wurde auch in islamistischen Kreisen kritisiert.

So wird auf der Webseite der ägyptischen Muslimbruderschaft recht offen darüber diskutiert, ob die Machtübernahme im Gaza-Streifen ein Fehler war und die Hamas möglicherweise zu weit gegangen sei. Unwillen erregte vor allem die gewaltsame Machtübernahme in den Moscheen. Die Hamas vertrieb die Prediger der Fatah, ihre Milizionäre knüppelten Gruppen von Betenden, die dagegen protestierten, auseinander.

Nur etwa 10 000 Palästinenser folgten am Freitag im Gaza-Streifen dem Aufruf der Hamas und demonstrierten gegen die bevorstehenden Verhand­lungen in Annapolis. Umfragen sind unter dem islamistischen Regime, das auch die Medien kontrolliert, nicht möglich. Zweifellos ist die Unzufriedenheit in der Bevölkerung gewachsen. Die ohnehin miserable wirtschaftliche Lage hat sich weiter verschlechtert, seit der Gaza-Streifen von Israel als »feindliches Gebiet« klassifiziert und blockiert wird.

Nach Erkenntnissen von Experten aus dem israelischen Militär haben die wachsenden Probleme zu einer Spaltung in der Führung der Hamas geführt. Die fortdauernde Gewaltherrschaft über den Gaza-Streifen könnte der islamistischen Organisation, die der Bevölkerung kaum mehr zu bieten hat als Kampfparolen, langfristig schaden. Dennoch hat offenbar gerade im entscheidenden militärischen Bereich eine Fraktion die Übermacht, die jeden Kompromiss mit der Fatah und erst recht mit Israel ablehnt.