Das ist unser Haus!

Sogar mit Hausbesetzungen haben Neonazis schon versucht, die kulturelle Hegemonie über eine Wohngegend zu erringen. Mit Erfolg, wie das Beispiel Weitlingstraße zeigt. von ivo bozic
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Einen bekannten Werbespruch für Bausparverträge könnten Neonazis gut für sich abwandeln: »Wir geben unsrer Zukunft ein Zuhause.« Denn Tatsache ist: Parteien, Organisationen und Führungspersönlichkeiten kommen und gehen, aber da, wo man sich einmal häuslich niedergelassen hat, bleibt oft dauerhaft etwas für die Zukunft. Das gilt, versteht sich, nicht nur für Nazis. Auch wenn von der linken politischen Berliner Hausbesetzerszene nicht viel übrig geblieben ist, die Viertel in Kreuzberg und Friedrichshain, in denen sie in den achtziger und neunziger Jahren Häuser bezog, Kneipen und Läden eröffnete, sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferte, hat sie dauerhaft geprägt. Für andere soziale Gruppen, ob Künstler, Yuppies oder Migranten, die sich ein Wohnviertel aneignen, gilt dasselbe. Was die Linken subkulturell mit Hausbesetzungen schafften, versuchen die Neonazis durch Immobilienankäufe und auch durch ihre strategische Siedlungspolitik.

Doch auch Nazis haben es gelegentlich mit Hausbesetzungen versucht, und auch sie waren dabei nicht ganz erfolglos. Neben einem Objekt in Wurzen ist das bekannteste und herausragendste Beispiel die Besetzung eines Hauses in der Weitlingstraße 122 im Berliner Bezirk Lichtenberg noch zu DDR-Zeiten, im April 1990. Genau genommen hatten die Nazis das Haus gar nicht besetzt, sondern ein anderes in der Türrschmidtstraße, ebenfalls in Lichtenberg. Auf Anraten des Nazi-»Führers« Michael Kühnen übrigens. Die staatliche Kommunale Wohnungsverwaltung überließ ihnen im Tausch das Haus in der Weitlingstraße und schloss über neun Einraumwohnungen Mietverträge mit den als Bürgerinitiative zur Wohnraumsanierung getarnten Nazis ab. Auch in zwei weiteren Häusern in der Straße erlangten Nazis bald die Hoheit.

Von Anfang an war das Eckhaus in der Nähe des Bahnhofs Lichtenberg mit der Nummer 122 Sitz und Zentrale der Nationalen Alternative (NA). Hier verkehrte alles, was bei militanten Neo­nazis Rang und Namen hatte: Arnulf Priem, Chris­tian Worch, der spätere Aussteiger Ingo Has­selbach und auch der spätere Pumpgun-Attentäter Kay Diesner. Hier wurden Übergriffe auf Linke und Ausländer geplant, wurde ein Waffen­arsenal angelegt.

Bereits im Dezember 1990, also nach nicht einmal neun Monaten, wurde von der Wohnungsbaugesellschaft der Räumungsantrag für das Haus gestellt. Trotzdem ist der »Weitlingkiez« bis heute eine No-Go-Area für Ausländer. Hier wohnen mindestens 65 polizeibekannte Neonazis, die NPD sitzt seit September 2006 in der Bezirksverordnetenversammlung, in einigen Wahllokalen erhielt sie zehn Prozent der Stimmen. Regelmäßig kommt es zu Überfällen auf Ausländer und Linke. Ein türkischer Imbissbudenbesitzer musste sein Geschäft im August schließen, weil er immer wieder attackiert worden war, Opfer von Nazi-Angriffen wurden auch ein vietnamesischer Blumenhändler und der kurdischstämmige Abgeordnete der Linkspartei, Giyasettin Sayan. Der Berliner Verfassungsschutz hat jüngst auf die »überdurchschnittlich hohe Anzahl von Gewalttaten« in diesem Viertel hingewiesen.

Selbstverständlich ist diese Aneignung des Kiezes durch die rechte Szene nicht allein auf das Haus in der Weitlingstraße zurückzuführen, obwohl der »Mythos Weitlingstraße«, der sich da­raus entwickelt hat, bis heute nachwirkt. Die Neonazis haben in der Folge ihre Infrastruktur im Viertel gefestigt. Da gab es etwa Ende der neun­ziger Jahre in der Nähe das »Café Germania«, einen Treffpunkt für Neonazis nach dem Vorbild eines SA-Sturmlokals. Die Kneipe »Kiste« in der Weitlingstraße diente jahrelang als Treffpunkt und wurde erst 2006 nach vehementen Protesten der Antifa geschlossen. Es gibt aber weiterhin Kneipen und Läden, die die rechte Klientel bedienen.

Das Zentrum Demokratische Kultur (ZDK) hat in einer Studie untersucht, inwieweit der »Mythos« um das »besetzte« Haus ursächlich für die Prägung des Weitlingkiezes und für die vor allem seit 2001 wieder zunehmenden neofaschistischen Aktivitäten war. In den vergangenen Jahren haben sich dort mehrere Kameradschaften gegründet, und vor allem hat sich in Lichtenberg so etwas wie eine Szene »autonomer Nationalisten« etabliert. Das ZDK ist bei seiner Studie nicht wirklich zu einem Ergebnis gekommen, hat aber festgestellt, dass es bereits zu DDR-Zeiten und vor dem Bezug des Hauses in der Weitlingstraße in jenem Viertel eine beachtliche Anzahl von Rechtsextremisten gab. Die rechtsextreme »Lichtenberger Front« und die »Bewegung 30. Januar« sollen dort schon vor dem Mauerfall aktiv gewesen sein.

Auffällig jedenfalls ist, dass sich ausgerechnet aus dem politischen wie geographischen Umfeld des Hauses in der Weitlingstraße die Berliner »autonomen Nationalisten« etabliert haben, eine Fraktion der Neonazis, die ganz bewusst auf subkulturelle Codes und Infrastrukturprojekte setzt und sich dabei sehr stark an dem Vorbild linker Autonomer orientiert. Sie sind äußerlich kaum von den verhassten »Zecken« oder Antifas zu unterscheiden, tragen schwarze Kleidung, Basecaps, Palestinensertücher und kopieren den Stil von Antifa-Demonstrationen bis hin zu Schriftarten, Parolen und Logos. Aber nicht nur äußerlich ähneln die »autonomen Nazis« der linken Szene. Auch inhaltlich legen sie Wert darauf, »sozialistisch«, allerdings national-sozialistisch, zu sein. Sie sind echte Querfront-Nazis. Sogar mit roten Fahnen kann man sie zuweilen aufmarschieren sehen. Welche Rolle für diese Entwicklung jene kurze Episode der Hausbesetzung gespielt hat, wäre allerdings noch zu untersuchen.