Keine Knödel in Timbuktu

Globetrottel oder Gartenzwerg scheint nicht die Alternative zu sein. Es gibt eine Art von Heimatresistenz, die in der Muttererde wurzelt, gegen die sie allergisch ist. von stefan ripplinger

Es scheint schwer, ein Gefühl der Heimatlosigkeit zu entwickeln, wenn einem das Geld zum Verreisen fehlt. Immerhin ist es möglich, sich genau an dem Ort heimatlos zu fühlen, an dem man seit Jahrzehnten unverrückbar festsitzt, ja sich geradezu eingegraben hat. Es ist möglich und vielleicht sogar notwendig, auch wenn manche fragen, weshalb es nötig sein sollte.

Das Leben scheint den meisten leichter, wenn sie der Bäcker grüßt und ihnen in der Kneipe ein Plätzchen an der Theke warmgehalten wird. Erst nehmen die Nachbarn die Pakete an, bald schon hütet man ihre Kleinkinder. Und warum nicht gleich in die örtliche Bürgerinitiative oder den linken Männerchor eintreten? Grass-roots politics. Singt man aber erst mit den andern unisono, gehört man doch irgendwie auch zum großen Orchester. Wir in Neukölln, wir in Berlin, wir in Deutschland. Als nächstes verschenkt man einen Band mit Schnurren aus dem Kiez, besucht den Konzertzyklus »Von deutscher Seele«, weil Weill gespielt wird. Man sieht sich Filme an, die sich nicht schämen, in Deutschland zu spielen, weil das ja mit uns zu tun hat. Kurz, man schlägt Wurzeln. Kritisch, natürlich! Kritische Wurzeln.

Warum sollte einer nicht Wurzeln schlagen? – Vielleicht, weil er kein Baum ist. Und wenn doch ein Baum, dann einer, der von oben, von den Blättern her, wächst. Die Wurzeln stören ihn bloß, denn er möchte lieber laufen als stehen. Dass er steht, vermehrt die Sehnsucht fortzukommen. Käme er fort, sehnte er sich womöglich danach, irgendwo zu wurzeln. Dieser möchte wachsen. Aber nicht nach unten, denn da hängt er ja schon im Dreck, und da ist es eh dunkel. Unten ist es warm, weil die Säufer des Viertels hinpissen, da ist deutsche Erde. Oben fliegen die Chartermaschinen nach Brüssel. Er wächst also oben.

Der Dirigent aus Bayreuth, der Chefredakteur des patriotischen Yuppie-Magazins, der Regisseur des Hitler- und der Regisseur des kritischen Heimat-Films, sie alle kennen die Toscana und St. Moritz, sie beherrschen das Essen mit Stäbchen und schwören doch auf Krautsalat und Knödel. Sie kommen rum und kommen gern zurück. Sie haben eine Heimat. Und da gibt es andererseits Tröpfe, die auf Heimat pfeifen und Stadtgrenzen oder Pflanzstätte doch nur in dringenden Notfällen verlassen. Das ist absurd.

Und doch hat es seinen guten Grund. Wer er selbst bleiben will, sollte in die weite Welt hinaus. Sie sagt ihm immerzu: »Du musst wohl ein Deutscher sein. Trägst du auch Lederhosen? Hast du Heidegger gelesen?« Identisch ist einer immer nur anderswo. Es ist ganz einfach eine Entscheidung. Wer sich geduldig von der Nähe quälen lässt, tendiert zur Ferne und Weite. Patriotismus dagegen ist ein Reimport. Die frisch gebackenen Patrioten steigen aus dem Jet und sagen: »In Timbuktu habe ich mich endlich als ein Deutscher gefühlt. Ich glaube, ich muss einen Hitlerfilm drehen oder eine Konzertreihe zur deutschen Seele dirigieren, ich muss mich definieren.« Wer sich definiert, bleibt in engen Grenzen.