Welcome to Irangeles

In Los Angeles leben schätzungsweise 600 000 Iraner. Viele Gegner des Mullah-Regimes sind dort insbesondere in Medienberufen tätig. Durch Fernseh- und Radiosender auf Farsi, die auch im zu Iran empfangen sind beziehungsweise deren Programm im Internet heruntergeladen werden kann, arbeiten sie gegen die politische Propaganda in ihrem Herkunftsland. Erster Teil einer Reportage

»Die Iraner in Kalifornien entsprechen so ungefähr den Exilkubanern in Florida«, meint David, ein junger Architekt auf einer Party vor seinem Haus in San Francisco. »Eine vor der Revolution geflohene Elite, die hier mit Geldkoffern aus dem Flugzeug stieg und versucht, unsere Politik zu beeinflussen.« Zumindest auf die Exilkubaner ist David daher nicht gut zu sprechen. »Wegen ihrer Lobby dürfen wir nicht Urlaub in Kuba machen.« Aber auch die exilierten Iraner verdächtigt er, die USA »in einen sinnlosen Krieg« gegen das Regime in ihrem ehemaligen Heimatland zu treiben. In der Tat entstammen viele der 600 000 Iraner, die heute in Südkalifornien leben, der ehemaligen Elite des Landes: Anhänger des gestürzten Schahs, die während der Revolution vor allem nach Los Angeles strömten, das seitdem den Beinamen »Irangeles« trägt. »Das mit den Geldkoffern ist in einigen Fällen nicht ganz falsch«, meint auch Behrouz, ein junger Iraner, der allerdings nicht während der Revolution floh, sondern erst seit einigen Jahren in Los Angeles lebt. »Ich kenne einen Immobilienmakler, der erzählt, wie die Iraner nach Beverly Hills und Westwood kamen, um sich dort Villen zu kaufen, und zwar mit Cash.« Während man den Villenvierteln kaum ansieht, ob dort nun Amerikaner oder iranische Migranten leben, gibt es auf dem Westwood Boule­vard doch einige Leuchtschriften auf Farsi: persische Restaurants und iranische Buch- und Plattenläden, in denen es vieles zu kaufen gibt, das man in Teheran offiziell nicht erhält: etwa CDs, deren Cover lasziv gekleidete Sängerinnen zieren. »Dafür würde man im Iran einiges riskieren«, meint die wohl 50jährige Verkäuferin eines Plattenladens und deutet mit dem Finger einen Schnitt durch die Kehle an. »Die Mullahs erlauben nur langweilige Sachen.« Die Dame versichert uns aber eindringlich: »Im Iran macht die Jugend trotzdem Party, nur eben etwas versteckt.« Die Musik lade man eben aus dem Internet und kopiere sie illegal. »Wer kann denn schon ohne Musik leben?« Neben iranischen CDs und Büchern auf Farsi gibt es in Los Angeles eine beachtliche Zahl an iranischen Fernseh- und Radiosendern. Einer von ihnen ist Pars TV, der sein Programm im Stadtteil Tarzana im San Fernando Valley produziert, wo sich in unscheinbaren einstöckigen Gewerbegebäuden ein Fernsehsender an den anderen reiht. In einem kleinen fleckigen Besprechungszimmer treffen wir Amir Shadjareh, den Chef des Senders. »Pars TV ist die älteste Farsi-Station in den USA«, erzählt er, der einst Techniker beim iranischen staatlichen Fernsehen war und nach der Revolution in Los Angeles Pars TV gründete. Wie viele Leute im Iran sein Programm verfolgen, weiß er nicht genau, »wohl aber rund zehn Millionen«, schätzt er. »Wir haben viele interaktive Sendungen, bei denen Leute anrufen oder uns schreiben können. Wir bekommen Tausende E-Mails und Faxe.« Den Sender zu sehen, sei im Iran nicht illegal, sagt Shadjareh. Anfangs habe zwar das Regime versucht, das Signal von Pars TV zu stören. »Die Satellitenbetreiber haben das aber unterbunden, schließlich läuft auch das staatliche iranische Fernsehen über dieselben Satelliten.« Es gibt in Los Angeles mittlerweile 26 Farsi-Fernsehsender, die im Iran empfangen werden können. »Die meisten beschränken sich aber auf Unterhaltung«, meint Shadjareh abschätzig, »wir machen dagegen ein hauptsächlich politisches Programm.« Deshalb müsse sein Sender aber verstärkt Werbeeinbußen in Kauf nehmen, klagt Shadjareh. Nicht nur, dass es iranischen Firmen verboten ist, auf seinem Sender zu werben. »Auch iranisch-amerikanische Firmen schrecken davor zurück, bei uns zu werben, seit das Regime hier in Los Angeles massive Lobbyarbeit betreibt«, meint er. »Sie setzen Geschäftsleute unter Druck, dass sie ihre Werbespots von unserem Sender zurückziehen.« Hinten im Büro des Chefs, wo an der Wand über dem Schreib­tisch unter anderem ein Bild Gandhis hängt, wird es mittlerweile laut. Ein Mann im Tschador, ein iranischer Bauer und ein Mullah huschen durch die Produktionsräume und necken sich: Gleich ist es an der Zeit für das Comedy-Programm des Senders, anscheinend eine Art Monty-Python-Verschnitt. »Sehr populär im Iran«, versichert uns der Produzent. Die verkleideten Schauspieler sind schon ganz bei der Sache, bevor die Kamera läuft, und posieren neckisch für uns. Amir Shadjareh ist stolz auf sein Programm. »Auch wenn wir Entertainment machen, richtet es sich immer gegen die Mullahs.« In einem Café in Westwood treffen wir Elham Arayana, stellvertretende Präsidentin und Gründungsmitglied der im Iran verbotenen Partei Marze Por Gohar, die sich für eine säkulare Republik einsetzt. Elham war eine Anführerin der Stundentenunruhen von 1999. Vor der Universität Teheran, wo die Revolte ihren Ausgangspunkt hatte, bevor sie sich über die ganze Stadt ausbreitete, nahm Elham demonstrativ ihren Schleier ab und rief Parolen gegen das Regime. »Ich spreche aber nicht gerne von Studentenunruhen. Diesen Namen hat das Regime erfunden«, meint die heute 34jährige iranische Jüdin. »Es war ein Volksaufstand. Unzufrieden sind die meisten, und nicht nur die Studenten.« Frauen etwa zeigten im Iran ihre Ablehnung des Regimes oft mit übertrieben viel Schminke im Gesicht, auch wenn das zuweilen nicht besonders gut aussieht. Hier in den USA würde ich mich nie so stark schminken«, lacht Elham, die nach den Unruhen nach Los Angeles floh. Doch trotz der großen iranischen Migrantengemeinde in Los Angeles fiel Elham der Start in den USA nicht leicht. »Die Iraner, die schon während der Revolution gekommen sind, leben oft in einer Welt von vor 30 Jahren«, meint sie. »Einige von ihnen träumen noch von der Rückkehr der angeblich guten alten Zeiten unter dem Schah.« Im Iran dagegen sei die Zeit weitergegangen. »Eine Wiederauflage der Monarchie des Schahs wünscht sich dort niemand.« »Wenn man jüdisch ist, hat man im Iran nur halbe Rechte, und wer dazu eine Frau ist, eben nochmals nur halbe. Für mich blieb ein Viertel Rechte und das war mir nicht genug«, sagt Elham. Gerade Juden und andere Minderheiten seien im Iran besonders gefährdet, wenn sie an Protesten teilnehmen. »Schnell heißt es dann, wir seien zionistische Spione.« Den Antisemitismus des Regimes will sie nicht als iranisches Phänomen verstanden wissen. Die Iraner hätten eigentlich nichts gegen Juden oder Israel. »In den Augen der iranischen Bevölkerung ist die Unterstützung der Hizbollah Geldverschwendung« Elham meint, der Antisemitismus sei »eigentlich eine Art arabischer Import«. Ihre Meinung, nach der das Regime eine »arabische Fremdherrschaft« sei, ist unter vielen Oppositionellen verbreitet. Als Ursache allen Übels bezieht man sich gerne auf die »Zwangsislamisierung« der Perser durch die Araber vor über 300 Jahren. Die »Fremdherrschaft« der Mullahs durch eine militärische Intervention zu beseitigen, hält Elham dennoch nicht für eine vernünftige Idee. »Eine Intervention einer fremden Armee in unser Land kann ich nicht gut finden«, meint sie. »Die Iraner würden wie wohl jedes Volk Schutz bei ihrer Regierung suchen«, und darum nütze ein militärischer Angriff nur dem Regime. Elham bevorzugt stattdessen wirtschaftliche Sanktionen gegen den Iran. Als ihre Partei davon erfuhr, dass der republikanische Abgeordnete Joel Anderson im kalifornischen Parlament ein Boykottgesetz gegen die Islamische Republik plant, setzte sie sich mit ihm in Verbindung. Elham trat zusammen mit einigen Parteifreunden als Zeugin vor der kalifornischen Landesversammlung auf, um diese von der Notwendigkeit von Sanktionen zu überzeugen. Joel Anderson klärt uns telefonisch aus seinem Büro in San Diego über das von ihm initiierte Boykottgesetz auf. »Divestment ist das Gegenteil von Investment«, sagt er. »Wenn die Aktieninhaber einer Firma ihre Aktien abstoßen, beschädigt das den Marktwert der Firma.« Daher habe er ein Gesetz eingereicht, das den staatlichen Pensionsfonds verbietet, in Firmen zu investieren, die im Iran wirtschaftlich aktiv sind. »Wir sagen den Firmen: Ihr habt drei Monate, um uns einen Plan vorzulegen, aus euren Irangeschäften auszusteigen, und ein Jahr, um den Plan in die Tat umzusetzen.« Abgeguckt hat man sich diese Strategie von einem ähnlichen Gesetz aus den achtziger Jahren, das sich gegen die Apartheid in Südafrika richtete. Neben dem häufig von solchen Kampagnen betroffenen Ölunternehmen Shell plant Anderson auch, die europäischen Ölkonzerne Total, ENI, Repsol und OMV für ihr Engagement im Iran zu strafen. Dass das Divestment-Gesetz von der Versammlung ohne Gegenstimmen oder Enthaltungen angenommen wurde, »lag an den eindrucksvollen Zeugnissen der iranischen Oppositionellen«, sagt Anderson. »Ich denke, alle Bundesstaaten werden sich anschließen.« Er hofft, dass es bald auch ein entsprechendes Gesetz auf Bundesebene geben wird. »Es kann doch nicht sein, dass Profit über unserer aller Sicherheit gestellt wird«, empört er sich und bezieht sich dabei nicht nur auf die Bürger der Vereinigten Staaten. »Irans Präsident hat oft genug gesagt, dass er Israel von der Landkarte tilgen will – und ich glaube ihm das!« Andersons Divestment-Kampagne richtet sich daher nicht nur gegen das iranische Atomprogramm, sondern auch gegen die Unterstützung der Hamas und der Hizbollah, »für die der amerikanische Steuerzahler nicht auch noch bezahlen soll«. Auf dem Westwood Boulevard erklärt uns Faryar Nikbakht bei einer Zigarette seine Sicht auf die Entwicklung des iranischen Nationalbewusstseins seit dem Sturz des Schahs im Jahre 1979. »Ich komme aus der Generation der Revolution von 1979, und die hat viele Fehler gemacht«, meint er nachdenklich, »vor allem den, dass die Linken sowie die Nationalisten die Mullahs völlig unterschätzt haben.« Faryar, der sich uns sowie Amerikanern gegenüber der Einfachheit halber »Frank« nennt, hat damals in Berkeley studiert. »Als ich von den Ereignissen im Iran hörte, wollte ich sofort nach Hause! Aber als ich ankam, war alles schon vorbei«, lacht er. Naiv sei seine Generation Khomeini gefolgt. Faryar spricht von Schuld­gefühlen und Resignation. »Zuhause im Iran haben sich viele ins Private zurückgezogen, wo das Regime sie in Ruhe lässt.« Für ihre Kinder aber habe die Trennung zwischen säkularer Privat­sphäre und islamistischer Außenwelt harte Konsequenzen. »Die Kinder wachsen in Angst auf. Eine Demokratie braucht aber selbstbewusste Menschen und keine ängstlichen Untertanen.« Faryar selbst gehört wie Elham zur jüdischen Minderheit und ist Vorsitzender des Komitees für die Rechte religiöser Minderheiten Irans. Unter anderem setzte er sich für die 13 iranischen Juden aus der Stadt Shiraz ein, die das Regime 1999 unter dem Vorwurf verhaftete, sie seien »zio­nistische Agenten«. »Wir haben damals für internationalen Druck gesorgt, und das war erfolgreich«, meint er. Die oft geäußerte Ansicht, Engagement von außen bringe politische Gefangene nur in zusätzliche Gefahr, hält er für falsch. »Druck auszuüben, ist immer besser, als nichts zu tun.« Wirklich leidenschaftlich wird Faryar, wenn er auf die traditionell in Stammesgemeinschaften lebende Bergbevölkerung zu sprechen kommt. »Ein freier, demokratischer Iran kann viel von ihr lernen. Diese Stämme sind sehr freiheitsliebend und haben einen ausgeprägten Sinn für individuelle Rechte – auf ihre eigene Art«, behauptet Faryar. »In den Bergen gab es keine Mullahs. Die waren immer nur in den Städten.« Aber auch in den Städten gebe es Entwicklungen, die Faryar Anlass zur Hoffnung geben. »Es gibt heute zum Beispiel eine Arbeiterbewegung.« Die Gewerkschaften dürften zwar offiziell nur »islamisch« sein, aber »sie stellen echte Forderungen und führen echte Arbeitskämpfe«. Das habe es auch unter dem Schah nicht gegeben. »Für eine zukünftige Demokratie ist eine starke Gewerkschaftsbewegung außerordentlich vorteilhaft.« Im San Fernando Valley, wo sich viele Iraner angesiedelt haben, stellt man uns ein weiteres iranisches Medienprojekt vor. Durch den Hintereingang eines großen Einfamilienhauses gelangen wir in eine Art Wohnzimmer, wo an großen Schreibtischen zwei junge Redakteurinnen arbeiten. Wir werden in das Zimmer des Chefs gebeten – Shahbod Noori, der Herausgeber der Zeitschriften Tehran und Bazaar. Bester Laune präsentiert er uns einige seiner letzten Ausgaben, großformatige Zeitschriften in Farsi, deren bunte Cover mal schöne Iranerinnen zeigen, aber etwa auch von iranischen Sicherheitskräften brutal misshandelte Oppositionelle oder an Baukränen aufgehängte Männer. Besonders stolz ist Shahbod auf ein Cover, das einen Affen mit dem Gesicht Mahmoud Ahmadinejads zeigt. »Diese Ausgabe hat mich eine Menge Anzeigenkunden gekostet. Niemand außer mir würde so etwas jemals drucken«, meint er lachend, »nur ich bin verrückt genug dazu.« Geld verdient er ohnehin kaum mit seinen Zeitschriften, die eine ungewohnte Mischung aus politischem Protest, schockierend brutalem Bildmaterial, Heiratsanzeigen, iranischen Bikini-Models und Werbung für Anwaltskanzleien und Anti-Aging-Mittel bieten. »Das Geld für die Zeitung verdient sowieso dieses Haus«, meint Shahbod. Aufgrund der stetig horrend steigenden Immobilienpreise in den besseren Vierteln von Los Angeles gewinnt es ständig an Wert. Stolz zeigt Shahbod das Bild eines Iraners, der eine schlechte Schwarzweiß-Kopie seiner Zeitschrift liest. »Ich habe auch immer alles gratis online verfügbar. Und die Leute im Iran drucken sich meine Zeitschriften tatsächlich aus dem Internet aus«, obwohl sie, wie Shahbod hinzufügt, dafür »ihren Kopf riskieren«. Aber auch in den USA ist es für Leute wie ihn nicht ganz sicher. »Vor dreizehn Jahren hat jemand einfach mein ganzes Büro ausgeräumt«, erzählt er. »Ich kam morgens an, und das Zimmer war völlig leer. Sie haben alle Möbel und einfach alles mitgenommen. Welcher gewöhnliche Dieb würde schon so etwas tun?«