Eins mit der Scholle

Aufregend, ekstatisch, unvernünftig und deutsch: Wie Rüdiger Safranski die Romantik sieht, beschreibt jörg sundermeier

Es ist sehr zu loben, wenn es jemand wagt, der hierzulande üblichen, nach Fußnoten süchtigen Wissenschafts­prosa, die stärker vom Jargon als vom Gesagten zehrt, eine klas­si­sche, sonst nur im englischsprachigen Raum übliche historische Erzählung entgegenzuhalten, die neben ihrem wissenschaftlichen Anspruch auch eine sinnliche Note besitzt, indem sie »anschaulich« schildert. Rüdiger Safranski, der eher als Fernsehphilosoph und Pfeifenraucher denn als Wissenschaftler berühmt ist, hat mit seinem Buch »Romantik. Eine deutsche Affäre« genau das gewagt. Und er wurde dafür mit einem Platz auf der Bestsellerliste belohnt.

Doch schon der Untertitel lässt aufhorchen. Die Romantik also soll eine Affäre gewesen sein? Eine deutsche oder eine der Deutschen? Mit wem? Merkwürdige Untertitel hat Sa­frans­ki häu­fig gewählt, eine Lebensschilderung heißt »Frie­drich Nietzsche. Biographie seines Denkens«, ei­ne andere »Friedrich Schiller oder die Erfindung des Deutschen Idealismus«. Wo Idealismus erfunden werden kann, kann eine Denkrichtung schon mal eine Affäre sein.

Safranski stützt sich in seinem Buch auf das berühmte Fragment von Novalis, in dem es heißt: »Die Welt muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung. Das niedre Selbst wird mit einem bessern Selbst in dieser Operation identifiziert. So wie wir selbst eine solche qualitative Potenzreihe sind. (…) Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheim­nisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es – Umgekehrt ist die Operation für das Höhere, Un­bekannte, Mystische, Unendliche – Dies wird durch diese Verknüpfung logarithmisiert – Es bekommt einen geläufigen Ausdruck.« Doch setzt für Safranski die Romantisierung schon vor den Frühromantikern ein, nämlich bei Herder, der sich 1769 auf ein Schiff begab. »Unbesorgt, wie Apostel und Philosophen, so gehe ich in die Welt, um sie zu sehen«, hieß es für He­rder. Er, so Safranski, infizierte mit seinen während der Fahrt erlangten Erkenntnissen den jun­gen Goethe, jener wiederum ließ sie in den Geniekult des »Sturm und Drang« einfließen. Von ihm aus sei es, auch dank des rauschhaften Erlebnisses der Französischen Revolution, nur ein kleiner Schritt gewesen hin zu jenen ersten bahnbrechenden Werken der durchweg gut situierten jungen Beamten Schlegel und Schlegel, von Hardenberg (Novalis), Tieck und Wackenroder. Und zur Philosophie eines Schelling und eines Fichte.

Überhaupt, so stellt Safranski fest, seien die letzten 20 Jahre des 18. Jahrhunderts Jahre des Lesens gewesen, in dieser Zeit erschienen genau­so viele Bücher wie in den 80 Jahren der Aufklä­rung zuvor, und die Herren – aber, noch schlim­mer, auch die Damen – gaben sich begeistert der Lektüre hin. Einige Philister fürchteten schon um ihre Seelen, die sich in der Lektüre verlieren könnten.

Das Wirken und Nachwirken der Romantiker verfolgt Safranski dann durch die Epoche der Restauration nach dem Wiener Kongress, beschreibt dabei durchaus kritisch die ästhetisierte Politik der Romantik, die »romantische Reichsidee« und das »romantische Unbehagen an der Normalität«, um schließlich im zweiten Teil seines Buches über »Das Romantische« bis 1968 zu sprechen, das er in Wagners Opern eben­so wie bei Nietzsche entdeckt, bei Hofmanns­thal, George und Rilke, in der »Tanzwut in Thüringen«, auf Heideggers Holzwegen, beim rechten Ernst Jünger und beim linken Franz Jung, bei Goebbels und schließlich bei den Achtundsechzigern, die nicht nur mit Parolen wie »Schlagt die Germanistik tot, färbt die blaue Blume rot« an die Romantiker anknüpften. Deutschland ist dabei niemals die DDR, die dort geführte Diskussion über die Romantik ignoriert Safranski völlig.

Das alles ist recht anschaulich erzählt, anekdo­­ten- und materialreich, doch es ist nicht eben neu, was Safranski uns da als »deutsche Affäre« auftischt. Und er macht es sich allzu leicht – während er leichthin und, wenn er etwa Novalis den »Mozart der Romantiker« nennt, sogar kalauernd vor sich hin plaudert, wirft er dies und das einfach durcheinander, gerät ihm Früh- und Spätromantik mitunter zu einer Theorie aus einem Guss, werden Nietzsche, Heidegger oder Jünger anhand einiger weniger Zitate als Romantiker einsortiert, und ebenso Franz Jung, und alles, was irgendwie aufregend, ekstatisch, unvernünftig oder erhaben ist, ist für Safranski schon romantisch.

Doch dieser Argumentation gemäß wäre Bene­dikt XVI. ein ganz tolldreister Romantiker, und Lenin oder Trotzki hätten vermutlich ebenfalls ganz wunderbare Romantiker abgegeben, denn entsprechende Zitate lassen sich auch in ihren Werken finden. Safranski allerdings macht sich nicht die Mühe, Romantiker aus dem Ausland zu berücksichtigen, denn er ist da ganz Germanist und aller Komparatistik Feind. Zudem würdigt er Caroline Böhmer, Dorothea Schlegel, Rahel Varnhagen und andere Romantikerinnen in einer Weise zu Groupies herab, wie es jüngst nur Peter Hacks in seiner Polemik »Zur Romantik« getan hat. Derzeitige Literaturwissenschaft­lerinnen und Literaturwissenschaftler aber kön­nen dergleichen nicht mehr schreiben, ohne sich lächerlich zu machen. Bei Hacks allerdings muss man unterstellen, dass diese Herabwürdigung wider besseren Wissens und um der Polemik willen geschah (was ihn nicht entschuldigt) und dass er sehr wohl um den europäischen Kontext wusste, während Safranski die Romantikerinnen einfach unterschlägt, da er sie, wie so viele und so vieles, nicht zur Kenntnis nimmt.

Safranskis Versuch, zwischen Goethes Verdikt, dass das Romantische »das Kranke« sei, und den Romantikern zu vermitteln, um die Wirkungsweise der Romantik besser erklären zu können, scheitert an dem unbedingten Willen zur einfachen, ja vereinfachenden Darstellung. Das nämlich, was in dieser Rezension eingangs gelobt wurde – der Mut zur Erzählung –, ist zugleich Safranskis Fehler. Um seine Version der Geschichte erzählen zu können, ebnet er wie ein Belletristiker alles ein, was ihm nicht passt. Er übergeht, wo es ihm angemessen scheint, den derzeitigen Forschungsstand und pickt sich an Zitaten heraus, was irgendwie seine Argumentation stützt.

Doch genau dafür lobt ihn die Kritik. Safranskis Version der Romantik wurde durchweg als großartige Erzählung gerühmt, selbst da, wo Kri­tik aufschien, wurde sie verhalten geäußert. Manfred Schneider immerhin bemerkte in Literaturen, dass die deutsche Romantik nicht etwa zur See hin wollte, wie Safranski vollmundig behauptet, sondern ihr Heil und Unheil im tiefdunklen deutschen Wald suchte, so dass sie sich bald mit der heimatlichen Scholle ganz eins fühlte, während die Irrationalisten aus anderen Ländern zu Entdeckungsreisen aufbrachen.

Ansonsten aber wurde Safranski allerorten zu­gestimmt, der zwar vor der deutschen Romantik und ihren ideengeschichtlichen Folgen warnt, zugleich aber schreibt: »Andererseits darf uns die Romantik nicht verloren gehen, denn politische Vernunft und Realitätssinn ist (sic!) zuwenig zum Leben.« So haben wir unsere Fehler erkannt und uns zugleich mit ihnen versöhnt, wir entschuldigen uns und müssen nichts ändern. Matthias Matussek hat in der für ihn typischen Überemphase das Buch in einem Satz charakterisiert, einem Satz, der stimmt, wenn man ihn nicht als Lob liest: »Es ist der Roman des deutschen Geistes.«

Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre. Hanser Verlag, München 2007, 432 S., 24,90 Euro