Regimesturz per Chat

Die Mitglieder der verbotenen iranischen Oppositionspartei Marze Por Gohar arbeiten in Los Angeles gegen das Mullah-Regime und für einen »säkularen Nationalismus«. Oppositionelle im Iran unterstützen sie beispielsweise durch die Vermittlung von Verschlüsselungstechniken für E-Mails. Exiliranern versuchen sie klarzumachen, warum der »kritische Dialog« mit dem Regime die falsche Strategie ist. Zweiter Teil einer Reportage

»Willkommen in unserem Büro!« Einladend winkt Roozbeh Farahanipours uns durch eine niedrige Tür auf den Hinterhof eines verwinkelten Fachwerkgebäudes mitten in einem der teuersten Viertel von Los Angeles. Der freundliche Mittdreißiger ist der Vorsitzende der iranischen Oppositionspartei Marze Por Gohar (MPG). Die Partei ist im Iran verboten, weshalb sie seit sechs Jahren ihr offizielles Hauptquartier hier im Stadtteil Westwood hat. Sie ist eine der jüngeren unter den iranischen Exilparteien, die sich seit dem Sturz des Schahs in Los Angeles angesiedelt haben. Schnell führt uns Roozbeh durch ein mit Computern, Landkarten, Büchern und Aktenordnern vollgestopftes Büro. »Hier ist totales Chaos«, erklärt er in einer Mischung aus Verlegenheit und Stolz, »bloß raus hier.« Wir sind mit der restlichen Parteispitze in einem Bistro zu persischem Fast Food verabredet. »Bei der monarchistischen Partei hättet ihr sicher besseres Essen bekommen«, scherzt Roozbeh und deutet auf das »Royal Persian Restaurant« auf der anderen Straßenseite. Roozbeh, dessen Partei sich auf Englisch »Iranians for a Secular Republic« nennt, vermeidet es jedoch, schlecht über die übrigen in Los Angeles residierenden Exilparteien zu sprechen. Aber angesichts der Monarchisten, die alle Reza Shah, den Sohn des 1979 gestürzten Reza Pahlevi, an der Macht sehen wollen, aber angeblich in 26 monarchistische Parteien zersplittert sind, kann er sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Dabei sieht es so aus, als habe Reza Shah selbst gar kein Interesse an dem Job.« Unter anderem führt noch die MEK, besser bekannt als Volksmujaheddin, in Los Angeles eine Schattenexistenz. Wie auch auf den Straßen Berlins trete sie aber »höchstens mal mit bunten Sammelbüchsen in Erscheinung«, sagt Rooz­beh. Schließlich ist die Miliz, die im ersten Golfkrieg auf der Seite Saddam Husseins gegen den Iran kämpfte, in den USA als Terrororganisation eingestuft. »Das Bündnis mit Saddam hat sie im Iran schon lange desavouiert«, behauptet Roozbeh, der eigens zur Hinrichtung des Diktators eine angeblich außerordentlich gut besuchte Party für die iranische Community organisierte. Unser erstes Treffen mit Roozbeh findet im Café des Borders Bookstore auf dem Westwood Boulevard statt, wo er uns über Politik und Geschichte der 1998 illegal in Teheran gegründeten Partei aufklärt. »Nach einer Erlaubnis zur Partei­gründung haben wir das Regime gar nicht erst gefragt. Denn eine säkulare Partei widerspräche der velayat-e faqih – der ›Herrschaft der Rechtsgelehrten‹.« Die Geschichte der MPG ist mit seinem eigenen Lebenslauf eng verwoben. »Als junger Journalist habe ich versucht, eine unabhängige säkulare Zeitschrift herauszugeben, die wir im Haus meiner Großmutter produziert haben«, erzählt er, während er nebenbei mit seinem Mobiltelefon mit Parteimitgliedern im Iran chattet. »Zeitschriften im Iran dürfen aber nur radikal oder reformistisch islamisch sein. Wir wollten aber eben gar nicht islamisch sein.« Aus dem Umkreis der gescheiterten Zeitschrift sei schließlich die MPG entstanden, eine Partei, die sich für Menschenrechte, Pressefreiheit und eine säkulare Republik einsetzt. Schon bald interessierte sich das Regime des damaligen, als »Reformer« geltenden Präsidenten Khatami für die junge Partei. »Eines Tages hat mich jemand aus Khatamis Büro angerufen und uns finanzielle Unterstützung angeboten. Jung und unerfahren, wie ich war, habe ich einfach gesagt: Wir arbeiten doch gegen euch, wie sollen wir da euer Geld annehmen?« amüsiert sich Roozbeh. Wichtigstes Ereignis in der Geschichte seiner Partei und auch seiner eigenen Geschichte waren die Studentenproteste von 1999. »Wir haben maßgeblich dazu beigetragen«, sagt Roozbeh stolz zu den Protesten, bei denen Studenten auf den Straßen von Teheran demonstrierten und Slogans gegen das Regime skandierten, bis die Proteste gewaltsam niedergeschlagen wurden. Er und einige seiner Mitstreiter seien zwei Monate im Geheimgefängnis Towshid inhaftiert worden – nach Angaben seiner Partei wurden sie gefoltert –, bevor ihm nach überraschender Freilassung die Flucht über die Türkei in die USA gelungen sei. »Unser Vorbild ist der säkulare Nationalismus von Mohammed Mossadegh«, erklärt Roozbeh. Mossadegh verstaatlichte als Premierminister 1951 die iranischen Erdölfelder, damit das Öl dem Iran und nicht länger der britischen Ölindustrie zugute kam. Deshalb organisierte die CIA 1953 einen Militärputsch, der Mossadegh entmachtete und den kurz zuvor aus dem Land geflüchteten Schah als absoluten Herrscher wieder an die Macht brachte. Dass seine Begeisterung für die Ideen Mossadeghs in den USA vielleicht auch heute nicht gern gesehen wird, fürchtet Roozbeh jedoch nicht: »Unter Clinton hat sich Madeleine Albright für den CIA-Putsch gegen Mossadegh entschuldigt.« Während wir irgendwo auf dem Highway zwischen Westwood und dem San Fernando Valley im Stau stehen, erzählt uns Roozbeh von seinen politischen Kampagnen. »Der National Geographic hat eine Karte herausgegeben, in der der Persische Golf plötzlich Arabischer Golf hieß.« Daraufhin habe seine Partei gemeinsam mit den Royalisten, den iranischen Tudeh-Kommunisten und anderen Gruppierungen eine Kampagne gestartet, um den Begriff »Persischer Golf« wieder durchzusetzen. In der Abgrenzung gegen den »arabischen Islam« zugunsten einer säkularen »persischen Kultur« sind sich die verschiedenen politischen Fraktionen einig wie sonst nur in ihrer Begeisterung für die iranische Fußballnationalmannschaft. »Wenn unser Fußballteam gewinnt, dann feiern wir und sagen, der Iran hat gewonnen. Wenn aber die iranische Mannschaft verliert, sagen wir einfach, die Islamische Republik hat verloren«, scherzt Roozbeh. »Der Iran ist nicht die Islamische Republik.« Schließlich seien 58 Prozent der Iraner gegen das Regime, und das gebe das Regime sogar zu. »Dummerweise hat eine Theokratie kein Problem mit mangelnder Unterstützung der Bevölkerung, weil es nicht nach dem Volk geht, sondern nach Gottes Willen.« Einen US-Militärschlag gegen das Regime hält er aber für falsch. Stattdessen plädiert er für Sanktionen. »Wir müssen dabei durch Medienarbeit die Iraner davon überzeugen, dass sich Sanktionen nicht gegen sie, sondern gegen das Regime richten.« Und auch unter den Iranern in den USA sei Überzeugungsarbeit zu leisten. »Die Iraner hier lieben Mercedes«, sagt er und deutet auf die vielen teuren Fahrzeuge vor uns. »Und das, obwohl Daimler das Regime unterstützt, weil der Konzern im Iran investiert.« In einem kleinen persischen Café stellt Roozbeh uns Babak Namdar vor, einen gut aussehenden Mann Ende 20 mit kalifornischem Akzent und einer Stimme, die die laute persische Popmusik im Hintergrund mühelos übertönt. Zum ersten Mal seit Tagen sehen wir auf der Straße eine Frau mit Kopftuch vorbeigehen. Eine Seltenheit hier in Tehrangeles. Babak erzählt von seinem politischen Engagement. Als Computerfachmann kümmert er sich hauptsächlich darum, iranischen Oppositionellen Verschlüsselungstechniken für E-Mails zu vermitteln. Dass er sich, obwohl bereits als Siebenjähriger in die USA gekommen, lebhaft für eine nationalistische iranische Partei engagiert, findet er selbst nicht merkwürdig. Seiner Meinung nach ist die ältere Generation der Emigranten für das islamische Regime in gewisser Weise mitverantwortlich, und nun sei es an seiner Generation, das Regime zu stürzen. Dafür bräuchte es »eine Schattenregierung, die nach dem Sturz bereitsteht, um anarchische Zustände zu verhindern«. Babak hat anscheinend das Außenministerium im Blick. Seine Visitenkarte weist ihn schon mal als »Director of Foreign Policy« der MPG aus. Auf die Frage, ob der Nationalismus seiner Partei nicht die Nachbarstaaten des Iran verschrecken könne, antwortet er gelassen. »Sollen sie doch ruhig Angst haben!« Er ist im Gegensatz zu Roozbeh weniger auf politische Vorsicht bedacht. »Bah­rain ist doch eine ehemalige iranische Provinz, und Teile von Tadschikistan gehören auch zum Iran.« Genau genommen sei übrigens auch Kurdisch nur ein ­Farsi-Dialekt. »Wir sind eine Nation mit vielen Ethnien und mit gleichen Rechten – aber alle sind wir eine Nation.« Im Gegensatz zu Babak spricht sein Parteikollege Mohsen Barghandan leise und vorsichtig, und auch seinem Akzent ist anzuhören, dass er noch nicht lange in den USA lebt. »Ich habe als Journalist in Bushir gearbeitet, der ›Atomstadt‹, wie man sagt.« Dort habe er über die Taxifahrerstreiks berichtet, die Benzinknappheit und die Vertreibungen aus den Dörfern rund um die Atom­anlagen. Das habe ihm Verhöre durch die Geheimpolizei eingebracht. »Beim ersten Mal hat man mich acht Stunden verhört. Ich sollte der Polizei Informationen über Oppositionelle geben«, erzählt er leise, als müsse er noch immer aufpassen, dass die Gruppe am Nebentisch nichts mitbekommt. Vor vier Jahren gelangte er mit der Hilfe der MPG und des State Department in die USA. »Klar ist es hier viel besser«, sagt er traurig. Wirk­lich wohl fühlt er sich in Los Angeles trotzdem nicht. »Ich will so bald wie möglich zurück. Alle meine Freunde und meine Familie sind noch dort.« Mit Hilfe seines Mobiltelefons verbindet uns Roozbeh mit einem Parteimitglied in der iranischen Provinz Belutschistan. Die Telefonnummer hat er auf einem Zettel notiert, den er gleich darauf entsorgt. »Nummern von Iranern speichere ich nicht in meinem Telefon. Wenn der Geheimdienst an mein Handy kommt, wäre das für unsere Leute im Iran fatal.« Der anonyme Gesprächspartner schildert uns die Repression des Regimes und die Armut in seiner Provinz. Nach der Rolle der Exilopposition in den USA gefragt, antwortet er bestimmt: »Die Opposition muss im Iran agieren.« Die Furcht der Partei, man verliere im Iran die Glaubwürdigkeit, wenn man nicht das Schicksal der Massen teilt, ist groß. Das Telefon knackt, die Verbindung ist schlecht. Roozbeh will uns weitere Parteimitglieder vorstellen, und das wieder im Café des Borders Bookstore. Auf der Terrasse des Cafés treffen wir Ahrman. Im Gegensatz zu Roozbeh, der vor dem Regime nach Kalifornien floh, kam er schon vor dem Sturz des Schahs zum Studieren in die USA, wo er heute in der High-Tech-Branche im Silicon Valley arbeitet. Seine Veranlassung, in der Partei mitzuwirken, erklärt er mit seiner Begeisterung für Dr. Shapour Bakhtiar – einen iranischen Politiker, der in der Résistance gegen die Nazis kämpfte und später unter Mossadegh ein Ministerium innehatte. »Dr. Bakhtiar gehörte zu den vehementen Kritikern des Schahs«, erklärt Ahrman, »aber er wusste schon vor der Revolution, dass ein islamistisches Regime noch schlimmer wäre als die Herrschaft des Schahs.« Und wie Bak­thiar, der 1991 von iranischen Agenten in Paris ermordet wurde, trete auch die MPG für eine moderne säkulare Republik und einen »starken Iran« ein. Direkt ins Englische übersetzt bedeutet Marze Por Gohar »Glorious Frontiers Party«, ein nationalistischer Name, mit dem wohl niemand außerhalb des Iran etwas anfangen kann. Im Englischen nennt man sich dann doch lieber »Iranians for a Secular Republic«. »Für Deutsche mag Nationalismus negativ klingen, für uns aber ist Nationalismus positiv besetzt«, versucht Ahrman zu vermitteln. »Es geht nicht darum, im Namen des Nationalismus Minderheiten zu unterdrücken. Im Iran haben die Menschen seit Jahrtausenden friedlich zusammengelebt.« Als echten Nationalisten scheint es den Mitgliedern der MPG nicht ganz leicht zu fallen, dem Iran das Recht auf Nukleartechnologie abzusprechen. Eine Bombe in den Händen der Mullahs fänden Roozbeh und Ahrman jedoch fatal. »Mit Steinen steinigen sie, mit Seilen hängen sie Leute auf, mit Gewehren schießen sie auf Demons­tranten. Was würden sie wohl mit einer Atombombe tun?« Auch Ahrman hat Zweifel an den friedlichen Absichten des Regimes: Zur Energiegewinnung könnte der Iran auch seine Raffinerien wieder aufbauen, meint er. In seinen Augen hat die Bombe vor allem einen Zweck: das Regime zu stabilisieren, und das nach innen ebenso wie nach außen. »Man wüsste auch nicht, wer den roten Knopf kontrolliert«, fügt Roozbeh hinzu. Immerhin gibt es im Iran sieben verschiedene Geheimdienste und bewaffnete Organe, die sich mal bekämpfen, mal zusammenarbeiten. »Ahmadinejad ist außerdem ein echter Gläubiger«, meint Ahrman beunruhigt. »Ein Präsident mit Atombombe, der meint, als Märtyrer ins Paradies zu kommen, hat keine Angst vor einem nuklearen Zweitschlag!« Auf die im Westen oft als vermeintlich weniger fundamentalistischen »Reformer« gibt Ahrman nichts. »Die Reformisten und die Radikalen spielen eine Art Guter-Bulle-böser-Bulle-Spiel.« Khatami, der im Westen als liberaler »Reformist« gilt, unterschrieb angeblich persönlich den Befehl zur Verhaftung Roozbehs. Den »kritischen Dialog« Deutschlands mit dem Iran hält Ahrman für Appeasement-Politik: »Was wäre gewesen, wenn Roosevelt eine ähnliche Politik gegenüber Hitler betrieben hätte?« Das iranische Regime ist in seinen Augen zudem eine Inspirationsquelle für andere Islamisten. Gerade deshalb sei der »kritische Dialog« mit dem Regime »die absolut falsche Antwort«. Ahrman hofft auf die jüngere Generation und vor allem auf die Frauen. »Sie sind heute besser gebildet als die Männer, weil sie sich alles erkämpfen müssen, und sie sind ein wichtiger Teil des Widerstands.« Allerdings sei die junge Generation schwer zu organisieren. »Weil man der Revolution gegen den Schah so idealistisch gefolgt ist, ganz egal, was danach kommen würde, kam es zur Herrschaft der Mullahs. Deshalb ist man heute vorsichtiger.« Die Menschen wollten heute genau wissen, was das Regime ersetzen soll. »Sie sind kritischer als früher, und eigentlich ist das nur zu begrüßen.«