Die letzte Keynote

Microsoft hat ihn zum reichsten und damit meistgehassten Mann der Welt gemacht. Nun nimmt Bill Gates, der Gründer des weltgrößten Softwarekonzerns, Abschied von seiner Firma, zumindest von deren Spitze. Jetzt will er nur noch die Welt verbessern und sich auf die wohltätige Stiftung konzentrieren, die er zusammen mit seiner Frau führt. von philipp steglich

Auf der diesjährigen Consumer Electronics Show (CES), der wichtigsten Computermesse der USA, war es soweit: Bill Gates, der Gründer von Microsoft, einer der mächtigsten Männer in der Com­puterindustrie, verkündete seinen Abschied aus dem Konzern.

Die Computerwelt verblüffte er weniger mit einem Vortrag über neue technische Entwicklungen als mit einem ungeahnt selbstironischen Film über seinen fiktiven letzten Arbeitstag bei Microsoft. Er spielte sich selbst als der schlecht frisierte, schlecht gekleidete Nerd, der er nunmal ist, und präsentierte mehr das Kind im Manne, das mit Plastikfiguren auf seinem Schreibtisch spielt und nach einer Aufgabe nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben sucht. Die kurz eingeblendeten Statements von Größen aus Showbusiness und Politik, wie Bono, George Clooney, Hillary Clinton, Barack Obama und Al Gore, versagen ihm aber in dem Filmchen eine zukünftige Mitarbeit in ihrem jeweiligen Bereich. Und so muss Gates weiterhin allein mit einer bunten E-Gitarre vor sich hin dilettieren. Von Understatement kann man angesichts der hochkarätigen Besetzungsliste wohl nicht reden. Überraschenderweise stammen die auftretenden Celebrities aus dem demokratischen, dezent weltverbessernden Spektrum Nordamerikas mit ökologischen Anklängen. Diese Auswahl irritiert dann doch, schließlich wurde Microsoft damit bisher nicht in Verbindung gebracht.

Vielmehr hat dieses 1975 gegründete Unternehmen, dessen Umsatz zuletzt rund 51 Milliarden Dollar betrug, mit der schonungslosen Durchsetzung seiner Interessen am Markt von sich reden gemacht. Denn mit einem geschätzten Marktanteil von 95 Prozent, das sein Betriebssystem Windows auf Heimcomputern innehat, konnte es in den vergangenen Jahrzehnten die technische Entwicklung der Computertechnologie entscheidend bestimmen. Gelungen ist dies der Firma weniger durch technologische Entwicklungen denn durch geschickte marktstrategische Umsetzung. Das war schon 1981 so, als IBM auf den Markt für Personalcomputer wollte und MS-DOS als Betriebssystem lizenzierte. Der IBM-kompatible PC wurde dank der offenen Lizenzpolitik von IBM ein durchschlagender Erfolg, da so auch andere Hersteller Bauteile produzieren konnten und die Preise fielen. Allerdings hat hiervon nicht vor allem Big Blue profitiert, sondern Microsoft, das ganz und gar nicht an offenen Standards interessiert war.

Die Entwicklung entscheidender technologischer Neuerungen blieb stets anderen Instituten oder Firmen vorbehalten, so wurde beispielsweise die graphische Benutzeroberfläche zuerst von Apple entwickelt. Erst Jahre später wurde eine solche mit Windows 3.0 präsentiert: copy and paste als Unternehmensmodell. Dieses Spiel, erst nach der Durchsetzung technologischer Fortschritte diese in eigene Entwicklungen zu implementieren, wiederholte sich mit allen weiteren Produkten. So konnte selbst Windows 95 nur mit mühevoller Hilfe der Benutzer zur Kommunikation mit dem Internet überredet werden. Wie auch alle Microsoft-Programme erst mehrere Versionen durchlaufen mussten, bis sie einigermaßen funktionierten und in Ansätzen stabil und sicher waren. Die Benutzer wurden so zu unfreiwilligen Beta-Testern degradiert, die weltweit ein paar Millionen Arbeitsjahre in die angeblich so ungemein produktionsfördernde Computertechnologie investierten, anstatt sich mit ihrem je ursprünglichen Arbeitsvorhaben herumzuschlagen. Wer vergeblich versucht, alle Fußnoten in Word auf der Seite eines Textes unterzubringen, auf der sie erscheinen sollen, kennt das Problem.

Weitaus ärgerlicher und bedeutender war Microsofts Einsatz gegen die Etablierung offener Standards. Unvergessen ist der so genannte Browser-Krieg: Microsoft entwickelte eigene Erweiterungen des HTML-Standards, um seinen Internet Explorer gegen den bisherigen Marktführer, Netscape Navigator, durchzusetzen. Infolgedessen wurden Internetseiten, vor allem großer Firmen und Banken, auf diesen Browser hin »optimiert« – die Benutzer hatten keine Wahl: Wenn sie weiterhin Online-Banking nutzen wollten, waren sie auf den Explorer angewiesen.

Diese Vorgehensweise wiederholte sich bei der Etablierung des Windows Mediaplayers. Da aufgrund der beherrschenden Marktposition von Microsoft die gern beschworenen »Selbstreinigunsgkräfte« des Marktes nicht zum Zuge kommen wollten, strengten die Konkurrenten weltweit eine Vielzahl von Gerichtsverfahren an, die auch mit empfindlichen Strafen endeten. Erst im September 2007 hielt der Europäische Gerichtshof eine von der EU verordnete Rekord-Strafzahlung in Höhe von 497 Millionen Euro gegen Micro­soft für gerechtfertigt. An der Dominanz der Firma über die wichtigste technologische Industrie der Jetztzeit und die Informationstechnologie haben diese Gerichtsverfahren jedoch bisher nichts ändern können.

Bill Gates versuchte unterdessen, sein Image aufzupolieren, und gründete die, nach ihm und seiner Ehefrau benannte, Melinda and Bill Gates Foundation. Mit einem Kapitalvermögen von knapp 40 Milliarden US-Dollar ist auch diese Stiftung ein Global Player und hilft den Gründern, kräftig Steuern zu sparen. Der Milliardär Warren Buffett kündigte 2006 an, das Stiftungskapital sukzessive mit weiteren 30 Milliarden Dollar aus seinem Vermögen aufzustocken. Die Stiftung fördert die Entwicklung von Impfstoffen gegen Krankheiten wie Aids, Tuberkulose und Malaria, die vor allem die Menschen in den ärmeren Ländern der Welt bedrohen. Das Vermögen der Stiftung wird jedoch zugleich in große Unternehmen investiert, die eine für die Entwicklungsländer eher nachteilige Firmenpolitik vertreten – Pharmaunternehmen, die sich gegen die preiswerte Herstellung von Generika für arme Länder einsetzen und so eher Teil des Problems als ein Teil der Lösung sind. Die Los Angeles Times hat Anfang dieses Jahres in einem Bericht ausführlich dargestellt, worin das Problem besteht, wenn die Stiftung einerseits ein Impfprogramm gegen Kinderlähmung und Masern in Nigeria finanziert und andererseits Anteile an Ölkonzernen hält, die dort unmittelbar aus der Umweltverschmutzung und der damit einhergehenden, erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigung der Einwohner, ihre Profite ziehen.

Bill Gates bleibt sich auch hierin treu. Der Studienabbrecher aus Harvard taugte nie als großer Visionär und Weltverbesserer. Hierin unterlag der Mann »mit dem Sieben-Dollar-Haarschnitt« allezeit seinen direkten Konkurrenten Steve Jobs von Apple oder Linus Torvalds, dem Entwickler von Linux. Auf der CES zog Gates Bilanz einer angeblichen ersten »digitalen Dekade«, der nun eine zweite folge. Sprache und Touchscreens würden nun bisherige Eingabegeräte wie die Tastatur ablösen. Eine Vision, deren Richtigkeit von Produkten wie iPhone und iPod-Touch des Konkurrenten Apple derzeit schon erfolgreich beweisen wird.