Verdikt für Gewerkschafter

Der Prozess gegen Angelo Lucifero hat begonnen. Weil er sich mit einer Schreckschusspistole gegen Neonazis wehrte, wurde er zu einer Haftstrafe auf Bewährung und 120 Tagessätzen verurteilt. ­Zudem verlor er seinen Job bei Verdi. von jan langehein

Angelo Lucifero, langjähriger Sekretär von Verdi in Thüringen, weiß, worum es geht, wenn von rechter Gewalt die Rede ist. Als prominenter Vertreter des gewerkschaftlichen Antifaschismus ist er immer wieder das Angriffsziel militanter Neonazis gewesen. 23 Mal sei er in den vergangenen Jahren überfallen worden, zählte er kürzlich im Erfurter Lokalradio »Frei« zusammen, einmal hätten ihm Unbekannte sogar die Bremsschläuche am Auto durchgeschnitten.

Im vergangenen Frühjahr kaufte Lucifero eine Schreckschusspistole, um sich im Notfall wehren zu können. Eigentlich hasse er Waffen, sagt er im Rundfunk; zum Kauf der Pistole habe er sich durchringen können, weil sie den Angreifer verjagen solle, statt ihn zu verletzen.

Nur wenige Tage, nachdem er sie gekauft hatte, setzte Lucifero seine Waffe ein, um einen erneuten Naziüberfall abzuwehren. Seit 16. Januar muss er sich, unter anderem wegen Körperverletzung und diverser Verstöße gegen das Versammlungs- und Waffengesetz, vor Gericht verantworten. Wenn er verurteilt wird, muss er mit Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe rechnen.

Was war passiert? Am 15. März vorigen Jahres wollte er auf einer Kundgebung in Erfurt Flugblätter gegen geplante Naziaktionen verteilen. Später sagte er aus, gleich zu Beginn hätten drei junge Männer von hinten auf ihn eingeschlagen und seien dann weggerannt, auf dem Platz habe er Fahnen der NPD entdeckt. Angesichts dieser Lage habe er die Gaspistole eingesteckt, die noch originalverpackt im Auto lag. Während der Kundgebung sei er erneut angegriffen worden, sagt Lucifero: »Ein junger Nazi ist mit einer kleinen Kamera auf mich zugegangen und hat mir damit ins Gesicht geschlagen. Ich habe ihm die Kamera heruntergeschlagen. Daraufhin habe ich von anderen wieder Schläge auf die Brust, auf die Hand und auf den Bauch bekommen.«

Lucifero zog seine Waffe und hielt sie zwischen sich und die Angreifer. »Sie sind weggelaufen und ich bin zurückgelaufen, habe im Abstand von etwa fünf Metern dreimal in deren Richtung geschossen.« Verletzt habe er niemanden, sagt Lucifero, das sei mit dieser Waffe auf eine solche Entfernung gar nicht möglich. Warum also der Vorwurf der Körperverletzung? Nach Information von Steffen Dittes von der Initiative »GewerkschafterInnen gegen Rechts« (GGR), die Lucifero politisch unterstützt, klagten zwei der beteiligten Nazis in ihren Aussagen über »Ohrgeräusche« – angeblich »Knalltraumata« in Folge der Schüsse.

Schlimmere Folgen scheint der Vorfall indes für Lucifero selbst zu haben. Nach der Kundgebung wurde er vorläufig festgenommen und erken­nungs­dienstlich behandelt, im August erhielt er einen Strafbefehl zugestellt über ein Jahr Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen.

Die GGR bezeichneten dieses Urteil damals als »skandalös«: Die Ermittler hätten Lucifero nach der ersten Vernehmung überhaupt nicht mehr angehört; Zeugen, die seine Beschreibung der Situation und sein Handeln in Notwehr hätten bestätigen können, seien nicht vorgeladen worden. Stattdessen tauchten in den Akten fast ausschließ­lich bekannte Rechtsextremisten als Zeugen auf, kritisiert Dittes. Über die Möglichkeit, sich doch noch in einer mündlichen Verhandlung zu verteidigen, verfügt Lucifero nur, weil er gegen den Strafbefehl Widerspruch eingelegt hat – und so eine noch höhere Strafe riskiert.

Unterdessen haben die Ereignisse vom 15. März den Thüringer Verband von Verdi in eine Krise gestürzt, die im Dezember einen Höhepunkt erreichte. Der Landesvorsitzende Thomas Voß suspendierte Lucifero vom Dienst und erteilte ihm Hausverbot, die endgültige Kündigung soll so bald wie möglich folgen.

Die Entscheidung hatte sich bereits seit längerem angedeutet. Unmittelbar nach dem Vorfall in Erfurt distanzierte sich der Landesvorsitzende des DGB, Steffen Lemme, öffentlich von Lucifero, als er jede Form von Waffengebrauch kategorisch verurteilte und Schreckschusspistolen in dieses Urteil ausdrücklich miteinbezog. Auch Thomas Voß äußerte von Anfang an eine zumindest ambivalente Meinung. »Die von der NPD angegriffene Person ist ein Kollege, der sich engagiert und mutig gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit einsetzt«, schrieb er zwar in einer ersten Stellungnahme und warnte vor einer Vorverurteilung. Sein eigenes Urteil über Lucifero deutete er in derselben Erklärung allerdings bereits an: »Wir können und wollen uns nicht der gleichen Mittel bedienen, wie man sie aus dem rechtsradikalen Raum kennt.« Damit sagt Voß ex negativo, der »angegriffene Kollege« habe Nazi-Methoden angewendet – aus dem Verdi-»Wir«, das dies weder könne noch wolle, wurde Lucifero moralisch also bereits am 16. März ausgeschlossen.

Den faktischen Ausschluss begründete Voß kürzlich einerseits mit Luciferos Weigerung, sich von seinem Verhalten am 15. März zu distanzieren; andererseits sieht er offenbar Teile von Luciferos Antifa-Arbeit als eine Art Veruntreuung an. Der jungen Welt sagte er, Lucifero habe »in unzulässiger Weise persönliche politische Arbeit auf Kosten und mit Mitteln der Gewerkschaft Verdi betrieben«. Steffen Dittes weist den Vorwurf zurück: Es gehe vor allem um die Antifa-Zeitung Karussell, die Verdi bis zum Jahr 2006 druckte und vertrieb. Seit die Vereinbarung darüber ausgelaufen sei, habe Lucifero den Druck selbst finanziert. Verdi habe nur noch den Vertrieb bezahlt – und zwar im Einklang mit den zuständigen Gremien.

Seit der Plan, Lucifero zu entlassen, im Dezember bekannt wurde, wird über den Fall in Thüringen diskutiert, und die Medien berichten ausführlich. Unerwünschten Applaus erhielt Thomas Voß. Der Erfurter Kreisvorsitzende der NPD, Kai-Uwe Trinkaus, lobte die Entscheidung und höhnte: »Das nun einsetzende Tauwetter innerhalb der Gewerkschaft Verdi sollten möglichst viele Kameraden nutzen, um Mitglied zu werden.« Aus den eigenen Reihen erntet Voß dagegen keineswegs nur Lob, im Gegenteil, bei zahlreichen Gewerkschaftsinitiativen und Verdi-Verbänden geriet er in die Kritik. Die Erfurter GGR sind dabei, eine Solidaritätskampagne auf die Beine zu stellen, aus ganz Deutschland treffen offene Briefe bei Voß und beim Bundesvorstand von Verdi ein. In ihnen heißt es: Luciferos Entlassung so kurz vor dem Prozess sei ein katastrophales Signal für die antifaschistische Gewerkschaftsarbeit. »Da ist mal ein Naziopfer, das nicht nur ein Opfer ist, sondern sich wehrt, und die eigene Gewerkschaft setzt sein Verhalten mit dem der Nazis gleich«, schimpft Steffen Dittes.

Worauf die Unterstützer hinweisen, trägt das Kürzel »A 121« und ist ein Beschluss des Verdi-Bundeskongresses, in dem dieser sich mit Lucifero solidarisch erklärt und außerdem verspricht, »ihm jede mögliche Unterstützung, auch juristischer Art, zukommen« zu lassen. Der »Zentrale Arbeitskreis Offensiv gegen Rassismus und Rechts­extremismus« bei Verdi folgert daraus, Luciferos Entlassung widerspreche der geltenden Beschlusslage der Gesamt­orga­nisation. Voß allein habe ihn gar nicht entlassen dürfen.

Sollten sich die Justitiare der Gewerkschaft mit dem Fall beschäftigen und sich dieser Auslegung anschließen, hätte Lucifero eine Chance, seinen Job zurückzubekommen. Bis dahin dürfte einige Zeit vergehen, und Lucifero und seine Unterstützer werden gleich zwei Auseinandersetzungen zu führen haben: eine gegen das Gericht und eine gegen die eigene Gewerkschaft.