Ingeborg Boxhammers lesbische Filmgeschichte »Das Begehren im Blick«

Die beste Freundin

Ingeborg Boxhammers lesbische Filmgeschichte »Das Begehren im Blick« ist ein Plädoyer für eine differenzierte Darstellung von Frauen, die Frauen lieben.

Auf den ersten Blick könnte man über diese spezielle Filmgeschichte sagen: ein weiteres Buch übers Kino, es wird wie die anderen im Re­gal verstauben. Der zweite Blick sagt etwas anderes: Dieses Buch gibt nicht weniger als einen Einblick in das Lebenswerk der Bonner Fachfrau für lesbisches Kino, Ingeborg Boxhammer. Seit drei Jahrzehnten ist sie im Thema, veröffentlicht Beiträge und hält Vorträge. Seit 1992 baut sie eine Daten­bank zum Frauen-/Lesbenfilm auf, die derzeit Informationen zu mehreren tausend Filmen ent­hält. Seit zwei Jahren engagiert sie sich für das Online-Projekt www.lesbengeschichte.de, das neben Porträts Dokumentationen zu historisch-kritischem Gedenken an einstige Aktivistinnen und Texte zur Filmgeschichte bietet.

Dass Boxhammer offensichtlich ihr Sujet gefunden hat, merkt man der 320 Seiten starken Monografie an – der Ton ist salopp, der Stil direkt, das Sujet präsent: »Können wir das Fernseh- und Kinoprogramm aufschlagen und uns beliebig zwischen einer lesbischen Liebeskomödie oder einer Reportage über homosexuelle Aktivitäten in aller Welt entscheiden?« Nein, lautet ihre Antwort. Unter »Lesbenfilm« versteht sie einen Film, in dem »etwas Erotisches und/oder Sexuelles zwischen Frauen passiert, in dem lesbische Reaktionen der Beteiligten auf starke Irritation oder Leidenschaft schließen lassen«.

Sie wolle nicht ab und zu mal eine stereo­type Darstellung von Lesben anhand irgendeiner Nebenrolle im Hollywoodkino: »Ich will differen­zierte Darstellungen von Frauen liebenden Frauen. Ich will nicht nur weiße, makellos aus­sehen­de, junge und nichtbehinderte, mehr oder weniger gebildete, unpolitische Mittel­schichts­­frauen sehen, deren einzige Probleme darin bestehen, unbedingt eine Freundin/Ehefrau haben zu wollen oder sich mit der bisherigen nicht mehr zufrieden geben zu können.«

Diskussionen über lesbische Identitäten sollen sich in den Produktionen wiederspiegeln, filmische Realität soll vielfältiger werden.

Mit dieser Voreinstellung macht sich Boxhammer an die letzten 113 Jahre Filmgeschichte und schreibt sie von Beginn an neu. Filmgeschichte zu schreiben, das sei lange die Arbeit männlicher Autoren gewesen. So sei eine Pio­nierin des Kinos gleich unter den Tisch gefallen: Alice Guy.

Die Sekretärin Guy besuchte erstmals 1895 eine Filmvorführung. Bald darauf schlug sie ihrem Chef vor, selbst ins Filmgeschäft einzusteigen. Damit begann ihre eigene Filmkarriere: Bei über 700 Filmen war sie als Regisseurin oder Produzentin aktiv.

Nicht nur, weil sie als Frau in der scheinbaren Männerdomäne arbeitete, sondern auch, weil sie in einem ihrer ersten Filme eine so genannte »Hosenrolle« übernommen habe, sieht Boxhammer hier ein frühes Vorkommen lesbischer Sujets im Kino. Die Hosenrolle war eine frühe Form des Cross-Dressing: Die Frau in der Hose ist nicht mehr den Blicken der Männer ausgesetzt, sondern agiert plötzlich als vermeintlicher Mann unter den Frauen.

Nicht weniger smart kommt einige Jahre später Asta Nielsen daher. In »Zapatas Bande« spielt sie den Chefbanditen, allerdings klar als Frau erkennbar. Trotzdem wird sie kurze Zeit nicht als Frau im Räubergewand, sondern als »schöner Räuber« (Zwischentitel) identifiziert – per Zungenkuss von der geraubten Tochter eines Grafen.

Über den Tausch der Kleidung und seine Funk­tion im Theater geht es in Boxhammers Buch sukzessive in die Gegenwart. Zunächst geht es um die »Unterschlagung« des homosexuellen Lebens: »Immer schon haben Frauen sich auch oder ausschließlich auf Frauen bezogen, immer schon sind sie auch oder ausschließ­lich mit Frauen ins Bett gegangen – auch oder gerade im Filmbusiness. Es gibt kaum Überlieferungen, die das dokumentieren.« Beispiele: die späte Würdigung Mary Pickfords, die mit Charlie Chaplin und anderen die Produktionsfirma »Uni­ted Artists« gründete, durch die Filmgeschichtsschreibung. Erst die neuere feministische Forschung habe sie wieder ans Licht befördert. Bemerkenswert auch Ala Nazimova, die im Jahr 1922 plante, Oscar Wildes »Salome« mit komplett homosexueller Besetzung zu inszenieren.

Homosexualität im Film fristete ihr Dasein in belanglosen Nebenrollen.

Erst 1992 kam eine Dokumentation mit dem Titel »The Celluloid Closet« ins Kino, die diese Nebenrollen und Szenen collageartig aneinanderreihte. Wie dieser Verdrängungsprozess gestaltet wurde, beschreibt Boxhammer an den Topoi »Die beste Freundin« oder »Böse Gegenspielerinnen«. Die letztgenannte Variante wurde dann noch mal richtig unangenehm: als Psycho­pathinnen, Mörderinnen, Vampirinnen. Wir finden Frauen in Ketten oder suizidale Charaktere, Aufseherinnen und Verbrecherinnen – sozusagen Negativvarianten der dominanten Frau. Mit der Kommerzialisierung der Erotik und der Verbreitung von Sexfilmen durfte das lesbische Begehren dann immerhin im hete­rosexuellen Porno eine Rolle spielen: »Die Geschichte der O.«, »Chained Girls« oder die »Emmanuelle«-Filme sind populäre Beispiele.

Mit den achtziger Jahren beginnt die große Zeit des Coming-out-Films. Nicht zuletzt das Panorama-Programm der Berlinale war hier öffentlichkeitswirksam. Mit der Verleihung des »Teddy-Award« gibt es hier alljährlich einen anerkannten Preis für schwullesbische Filme.

Das lesbische Kino hat also seinen Platz gefunden, Vorkämpferin Boxhammer ist das aber keinesfalls genug: »Und wo bleiben all die anderen Genres? Lesbische Western, eine lesbische Jamie Bond?«

Selbst wenn sie heute noch realisiert würden, der Autorin würde es nicht reichen: »Lieber wären mir neue Lebensentwürfe und unkonven­tionelle Visionen.« »Das Begehren im Blick« will ein kämpferisches Buch sein und steht damit doch der freien Aussicht manchmal im Weg.

Das Buch ist ein Einstiegswerk; keine Frage, es geht nicht um Vollständigkeit. Die Auswahlkriterien erscheinen dabei manchmal stark subjektiv. Dass ein Film wie »Faster Pussycat, kill, kill!« von Russ Meyer, der dezidiert zu einem sehr frühen Zeitpunkt Machtverhältnisse in lesbischen Beziehungen und um lesbische Beziehungen thematisiert, fehlt, ist ärgerlich, wie insgesamt das Weglassen von Meyer.

Boxhammer lässt ihr Publikum auch über ihre eigenen Maßstäbe im Unklaren, gerade und auch beim erotischen Film, der »in der lesbischen Diskussion umstritten« sei. Ach ja? Bei wem, wieso und warum? Müsste hier nicht Beate Uhse auch ein Thema sein, oder Sybille Rauch und ihre Schwester? Licht aus, Vorhang auf – ist das Kino nicht von Beginn an erotisch besetzt?

Die Autorin verharrt lieber in Allerweltsweisheiten: »Wofür braucht die (lesbische) Welt Pornos? Ich könnte auf die Idee kommen, Stellungen auszuprobieren, die mir bisher unbekannt waren. Da jeder Film auch aus einem voyeuristischen Interesse heraus konsumiert wird, ist es überflüssig, den Voyeurismus eines Sexfilms hervorzuheben.« Wenigstens erfährt man: »Authentizität scheint im Lesbenporno enorm wichtig zu sein.«

Ein wenig mehr Bildschärfe hätte hier gut getan – schade, dass Boxhammer hier nicht so genau hinschaut wie bei Alice Guy.

Ingeborg Boxhammer: Das Begehren im Blick. Streifzüge durch 100 Jahre Lesbenfilmgeschichte, Mäzena Verlag 2007, 320 Seiten, 26,95 Euro
Archiv: www.lesbengeschichte.de