Ermittler in Bewegung

Nicht die Bundesanwaltschaft erlitt eine Niederlage durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs zu den 129a-Verfahren, sondern der Bundesgerichtshof selbst. von christoph villinger

Als »Serientäterin« bildete die taz Generalbundesanwältin Monika Harms auf ihrer Titelseite ab und hängte ihr allein für das vorige Jahr »sechs Schlappen« an. Andere Medien legten nach und hatten mal wieder ein Schwein gefunden, um es durchs Dorf zu jagen. Zum Teil waren es die gleichen Blätter, die noch im Frühjahr mit derselben Stimme der Empörung fragten, was denn die Bundesanwaltschaft (BAW) wegen rund 25 unaufgeklärter Brandanschläge vor dem G8-Gipfel von Heiligendamm eigentlich unternehme.

Insgesamt sechs Mal hatte der Bundesgerichtshof (BGH) das Bundesinnenministerium und die BAW im vorigen Jahr zurückgepfiffen. Für das Ausspähen von Computern verlangt der BGH eine gesetzliche Regelung, ein allgemeiner Aufruf zum »heiligen Krieg« falle nicht unter Paragraf 129a, Polizeibeamte dürften nicht selbst auf der Suche nach Bekennerschreiben die Post sortieren, den Haftbefehl gegen den Berliner Stadtsoziologen Andrej Holm wegen Mitgliedschaft in der Militanten Gruppe hob der BGH wieder auf, in einem anderen Beschluss stufte er die Militante Gruppe von einer »terroristischen« zu einer »kriminellen« Vereinigung herab, und schließlich erklärte der BGH die Razzien vor dem G8-Gipfel für rechtswidrig.

So forderte schließlich nicht nur Wolfgang Neskovic, rechtspolitischer Sprecher der Linken im Bundestag, den Rücktritt von Monika Harms. Er warf ihr vor, »die Gesetzesänderung des Paragrafen 129a, die unter Rot-Grün 2002 beschlossen wurde, einfach zu ignorieren«. Für Neskovic geht aus dem Gesetzestext klar hervor, dass Brandanschläge auf Sachen, solange sie nicht die Bundesrepublik insgesamt erheblich schädigten, nicht nach Paragraf 129a verfolgt werden dürften.

Aber noch nicht einmal die Grünen wollten sich der Rücktrittsforderung anschließen. Und Monika Harms bestreitet schlicht, »Niederlagen« erlitten zu haben. Bisher sei unklar gewesen, wie der neue Terrorismus-Paragraf auszulegen sei. Die BAW habe durch ihr Handeln nun eine Klärung durch den BGH herbeigeführt.

Und tatsächlich: Wenn man das Rechtssystem der BRD nicht als geschlossenes System versteht, dann kann Harms ohne weiteres den Schwarzen Peter an die Ermittlungsrichter am BGH weiterreichen. Denn diese hatten Harms’ Anträge auf Überwachungsmaßnahmen und Durchsuchungsaktionen ohne Bedenken abgezeichnet, statt die Vertreter der BAW mit einem »Das reicht nicht« nach Hause zu schicken. Man darf getrost unterstellen, dass die Richter sich nicht allzu viel Zeit zur Prüfung der Anträge nahmen. Ideal­typisch ist es nach dem Prinzip der Gewaltenteilung die Aufgabe einer Generalbundesanwältin, eben immer »Böse, böse« zu rufen. So wie es die Aufgabe eines Verteidigers ist, seinen Mandanten als den Liebsten und Harmlosesten von allen darzustellen. Am Ende entscheidet der Richter.

So ergeben die verschiedenen Beschlüsse des BGH in den vergangenen beiden Jahren erst in der Gesamtschau einen Hinweis darauf, wie und bei was in Zukunft der Paragraf 129a anzuwenden sei. Bei einer genaueren Lektüre der Entscheidungen des BGH stellt sich heraus, dass die Richter keinesfalls die Ermittlungen als solche kritisieren. Vielmehr verlangen sie solides Handwerk und die Einhaltung rechtsstaatlicher Grund­sätze. Da darf eben kein Beamter des Bundeskriminalamtes mal so schnell im Sortier­zen­trum der Post die Briefe nach einem Bekennerschreiben durchblättern, sondern muss im Nebenraum warten, bis ihm ein Postbeamter den gewünschten Brief übergibt.

Auch in den anderen Entscheidungen kritisieren die Richter des BGH nicht, dass ermittelt wird, sondern nur, was für qualitativ schlechte Ergebnisse die Fahnder nach zum Teil jahrelangen Observationen ablieferten. Im Verfahren gegen Andrej Holm stoßen sich die Richter vor allem daran, dass sich aus den Ermittlungsergebnissen auch ganz andere Schlüsse ziehen ließen. Deshalb hoben sie den Haftbefehl gegen Holm wegen Mitgliedschaft in der Militanten Gruppe auf. Das Verfahren gegen ihn und drei weitere Männer aus Berlin und Leipzig, bei denen im August ebenfalls Hausdurchsuchungen stattfanden, dürfte bald eingestellt werden.

Im Fall von drei anderen Berlinern, denen neben dem Anzünden von drei LKW der Bundeswehr in Brandenburg ebenfalls die Mitgliedschaft in der Militanten Gruppe vorgeworfen wird, bestätigte das BGH sogar die konkreten Vorwürfe der BAW. Nur solle alles doch bitte etwas niedriger gehängt werden: Drei brennende LKW gefährdeten noch nicht den Bestand der BRD, deshalb könne nur von einer »kriminellen Vereinigung« ausgegangen werden. Dennoch blieben sowohl BAW als auch BKA zuständig. Eine Grundsatzentscheidung war das noch nicht.

Die brachte erst kurz vor Weihnachten ein Beschluss zu einem anderen Fall. Darin äußerte sich der BGH zu einer Vielzahl von Beschwerden gegen die Durchsuchungsaktion im Vorfeld des G8-Gipfels. Auf Betreiben der BAW hatte das BKA im Mai 2007 in einer bundesweiten Razzia die Wohnungen und Arbeitsstätten von 18 Personen durchsucht. Die BAW warf ihnen vor, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung und für zwölf Anschläge zwischen Juli 2005 und März 2007 mit einem Gesamtschaden von etwa 2,6 Millionen Euro verantwortlich zu sein. Als »Zentrum« dieser »terroristischen Vereinigung« machte die BAW die Herausgeber des seit Jahren legal erhältlichen Buches »Autonome in Bewegung« aus.

Grundsätzlich verneinte der BGH hier die Zuständigkeit der BAW. Zudem sei »nicht belegt, dass die zwölf Anschläge überhaupt von einer Organisation begangen worden sind«. Denn diese seien »weder nach der Art ihrer Begehung, d.h. nach ihrer Frequenz und Intensität, noch nach ihren Auswirkungen geeignet, die Bundesrepublik Deutschland erheblich zu schädigen«. Es handle sich um »mittlere Kriminalität«, die selbstverständlich »nachhaltig zu verfolgen und zu ahnden« sei, nur eben nicht mit dem Paragrafen 129a. Die angeordneten DNA-Überprüfungen beanstandete der BGH allerdings diesem Fall ebenso wenig, wie er es bei dem Verfahren gegen Andrej Holm getan hatte.

Anders argumentierte der BGH übrigens im Januar 2006 bei neonazistischen Anschlägen im Havelland. Weil dort mit der Parole »ausländerfreies Havelland« durch »gezielte Brandanschläge gegen Geschäfte von Ausländern diese Bevölkerungsgruppe erheblich eingeschüchtert und aus einem bestimmten Teilgebiet der Bundesrepublik Deutschland vertrieben werden sollte«, handelt es sich sehr wohl um eine »terroristische Vereinigung« und verwarf die Revision der angeklagten Neonazis.

Im Ergebnis sind die Beschlüsse des BGH Teil der Auseinandersetzung um den Versuch, den deutschen Fahndungsapparat neu aufzustellen. Noch ist nicht klar, in welche Richtung die Veränderungen gehen werden. Aber besonders Innenminister Wolfgang Schäuble versucht diese seit einem guten Jahr durch ein neues BKA-Gesetz in eine bestimmte Richtung zu drücken. Ihm geht es vor allem darum, die Kompetenzen des BKA auszuweiten und insbesondere das gesetzliche Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und Polizeiapparat weiter auszuhöhlen. Dazu kann sich Schäuble eine gemeinsame technische Behörde zum Abhören für Verfassungsschutz (VS), BKA und Landespolizei vorstellen. Sicher mit großzügiger und rund um die Uhr geöffneter Cafeteria, damit dort die Kollegen vom VS denen vom BKA den einen oder anderen Tipp geben können.

Und abhören dürfen möchte Schäuble in Zukunft sowieso möglichst jeden. Im neuesten Entwurf des BKA-Gesetzes entfällt sogar der Abhörschutz für Abgeordnete, Strafverteidiger und Geistliche, der für Journalisten und Ärzte wurde schon vorher eingeschränkt. »Wenn das BKA-Gesetz in der vorliegenden Fassung verabschiedet wird, entsteht de facto eine Geheimpolizei, wie sie in Deutschland zuletzt in der DDR existierte«, warnt der Chaos Computer Club (CCC).

Mit dieser Einschätzung steht der CCC keinesfalls alleine da, auch unter den politischen Entscheidungsträger ist man alles andere als einer Meinung. Sogar Justizministern Brigitte Zypries graut es davor, welche Mittel und Möglichkeiten da in die Hände der Fahnder gelegt werden könnten – nicht nur aus Angst vor privatem oder behördlichem Missbrauch. Zur Zeit funktionieren die »checks and balances«, und ein zu Unrecht Beschuldigter wie Andrej Holm kommt nach drei Wochen wieder aus der U-Haft. Aber was wäre, wenn das gesellschaftliche Klima aufgeheizt ist wie nach dem Anschlag am 11. September 2001 gegen das World Trade Center?