Passione Civile

Die Berlinale ehrt den italienischen Regisseur Francesco Rosi. von uli krug
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Die gute Nachricht gleich vorweg: Am 16. Februar bringt der Bayerische Rundfunk anlässlich der Tatsache, dass die diesjährige Berlinale dem italienischen Regisseur Francesco Rosi die Hommage widmet und den Goldenen Ehrenbären verleiht, zwei der besten Filme des mittlerweile 85jährigen, und das sogar zur besten Sendezeit. Der BR zeigt »Lucky Luciano«, einen Mafia-Klassiker von 1974 mit dem unvergleichlich manischen Gian-Maria Volonté in der Hauptrolle, und den einst skandalträchtigen und immer noch atemberaubend spannenden »Die Macht und ihr Preis« von 1976, in dem Lino Ventura vom bärbeißigen Kommissar zum gehetzten Freiwild wird. Freunde beklemmend aufbereiteter Mord­intrigen und krimineller Verstrickungen sollten die Aufnahmegeräte also auf jeden Fall programmieren. In deutscher Synchronisation oder wenigstens mit Untertiteln sucht man beide Filme auf DVD nämlich vergeblich. Der BR bietet also eine ganz seltene Gelegenheit, Filme aus der Glanzzeit Rosis, den siebziger Jahren, die zugleich die letzte große Ära des italienischen Kinos war, überhaupt noch zu sehen zu bekommen.

Dass Rosi, der mit seiner passione civile, seiner »bürgerlichen Leidenschaft«, als der Prota­gonist der politisch engagierten Regisseure Italiens gilt, einmal so ins kommerzielle Abseits geraten könnte, wäre in jener Glanzzeit kaum vorstellbar gewesen. Denn der Schüler Luchino Viscontis aus Neapel hat den Neorealismus weiterentwickelt und war damals sowohl an den Kassen als auch auf Filmfestivals erfolgreich. Dabei gefielen den Kritikern insbesondere Rosis bis ins Kleinste, im Dokumentationsstil inszenierte Filme aus den Sechzigern: Mit dieser ganz eigenen Methode des film-inchiesta, also einer politischen Untersuchung im Kinoformat, nahm sich der Regisseur in »Hände über der Stadt« (Goldener Löwe, 1963) der mafiösen Verfilzungen der neapolitanischen Stadtentwicklung ebenso an wie in »Wer erschoss Salvatore G.?« (Silberner Bär, 1962) des Lebens und Sterbens des modernen sizilianischen Briganten Salvatore Giuliano.

Die letzte dieser scheindokumentarischen Analysen inszenierte Rosi 1972 mit dem Film »Der Fall Mattei« (Goldene Palme), den man heute nur noch versteht, wenn man sich den Grundwiderspruch Italiens während des Kalten Krieges ins Gedächtnis ruft: die vorpolitischen Zustände des Mezzogiorno, des italienischen Südens, der bis heute das bevorzugte Gebiet der Mafia ist, zugleich die Wahlerfolge der jahrzehnte­lang ununterbrochen regierenden Democrazia Cristiana in Rom, weswegen diese wiederum der Mafia die nötige Handlungsfreiheit ließ. Das Treiben tolerierten die im damaligen Italien sehr präsenten USA, denn die einzige innenpolitische Alternative wäre ausgerechnet die bis Mitte der Siebziger moskautreue KPI gewesen. In diesem Setting spielt »Der Fall Mattei«, in dem Rosi filmisch ermittelt, wer ein Interesse gehabt haben könnte am Tod des Erdölmoguls Enrico Mattei, der 1962 beim Absturz seines Privatflugzeugs unter nie ganz geklärten Umständen ums Leben kam. Mattei führte ab 1945 die staatliche, italienische Erdölgesellschaft ENI, korrumpierte die italienische Politik und setzte sich öffentlichkeitswirksam für die al­gerische Unabhängigkeit ein. Das sollte ihm bei den nordafrikanischen Förderstaaten Vorteile verschaffen, brachte ihm jedoch die Feindschaft der französischen Terrororganisation OAS. Aber auch in den USA war man nicht erfreut darüber, wie Mattei durch Geschäfte mit der Sowjetunion das seit der Kuba-Krise bestehende Embargo brach. Ein wunderbarer Stoff für Verschwörungstheorien also, der durch Rosis Film selbst noch mysteriöser wurde: Ein vom Regisseur mit Recherchen in Sizilien beauftragter Journalist verschwand dort spurlos.

Die Geschichte zeigt, warum Italien in den Siebzigern von gar nicht so unberechtigten Ängs­ten beherrscht war: Angst vor der mächtigen Mafia, vor einem rechtsextremen Staatsstreich, aber auch vor den Brigate Rosse. Das Klima brachte eine einzigartige Blüte des Genrekinos hervor: Beklemmende Krimis (so genannte ­Gialli), harte Polizeistreifen und Mafia­filme setzten den Boom der italienischen Filmindustrie fort. Einen der auch kommerziell erfolgreichsten Genrefilme brachte Rosi gegen den Widerstand der Staatsanwaltschaft, aber auch gegen den Willen der KPI, 1976 in die Kinos: In »Cadaveri Eccellenti«, der in Deutschland »Die Macht und ihr Preis« heißt, verfilmte der Regisseur einen der großen Thriller des sizilianischen Erfolgsautors Leonardo Sciascia, »Il Contesto« von 1971, auf Deutsch »Der Zusammenhang« bzw. »Tote Richter reden nicht«. Im Film verstrickt sich ein Kriminalbeamter tödlich in eine Mordserie, deren Opfer ausschließlich Strafrichter sind. Die Umrisse einer riesigen Verschwörung werden sichtbar, die römische Politik erscheint als bloße Kulisse mafiöser Herrschaft. Das beanstandete nicht nur das christdemokratische Establish­ment, sondern auch die seit Mitte der Siebziger auf den Euro-Kommunismus setzende Opposition.

Die bald auch in Italien erfolgende, allgemeine Verbreitung von Fernsehgeräten schadete jedoch dem italienischen Genrekino und einer Filmindustrie, die ohne staatliche Hilfen überleben konnte, in erheblichem Maß: Krimis wurden nun auch südlich der Alpen zur Angelegenheit von Fernsehserien. Rosi wandte sich deshalb am Ende des Jahrzehnts nicht nur vom »Giallo« ab, sondern auch vom ins politische Tagesgeschäft eingreifenden Kino überhaupt – und damit auch vom ästhetischen Erbe des Neo­realismus. Mit »Jesus kam nur bis Eboli«, nach dem gleichnamigen Roman des unter Mussolini nach Süditalien verbannten jüdischen Oppositionellen Carlo Levi, leitete Rosi 1979 sein Spätwerk ein, das zwar weiterhin durchaus zeit­geschichtliche Vorlagen aufgreift, ansonsten aber opulentes Requisiten- und Schauspieler­kino bietet. Allerdings war der Regisseur damit nicht mehr so erfolgreich, obwohl oder vielleicht weil er versuchte, der seit den Achtzigern bis heute herrschenden Tendenz zur Emotionalisierung und Personalisierung im Kino gerecht zu werden.

Leider sind es nur diese meist nicht recht geglückten Spätwerke Rosis wie die Primo-Levi-Verfilmung »Die Atempause« (1997), die bisher auf DVD veröffentlicht wurden. Vielleicht hilft die Hommage der Berlinale ja, einen überragenden Film wie »Die Macht und ihr Preis« in Deutsch­land endlich zugänglich zu machen. Wenn in diesem Zuge sogar weitere halbvergessene, große Regisseure des italienischen Genrekinos wie etwa Damiano Damiani oder Fernando di Leo aus der Nische im Nachtprogramm kleiner Privatsender geholt würden, wäre das sicher mehr, als man von einem Filmfestival erwarten kann. Aber hoffen darf man doch.