Auf der Spur der Nierenhändler

Auch menschliche Organe sind ein Handels­artikel. Nun soll die internationale Gesetzgebung verschärft werden. von lia petridis, new york city

Für Transplantationstouristen ist Indien ein belieb­tes Reiseziel. Allein das Operationsteam des flüch­tigen Arztes Amit Kumar habe in Gurgaon nahe New Delhi illegal 400 bis 500 Nieren verpflanzt, sagte Mohinder Lai, der Polizeichef der Stadt, in der vergangenen Woche. Mitte Januar präsentierte die Polizei des Bundestaates Tamil Nadu ihre vorläufigen Ermittlungsergebnisse. Mehr als zehn Krankenhäuser stehen dort im Verdacht, illegale Nierentransplantationen durchgeführt zu haben, drei Hospitäler haben ihre Lizenz für Organtrans­plantationen bereits verloren. Extreme Armut bringt viele Inder dazu, eine Niere zu verkaufen. Den Ermittlern zufolge erhalten sie dafür umgerechnet 700 bis 1 000 Euro.

»Eine neue Form der Sklaverei« nannte Maud de Boer-Buquicchio, die stellvertretende Generalsekretärin des Europarats, das Phänomen Organ­handel und betonte, wie eng Organ- und Menschenhandel miteinander verknüpft seien. Um den Opfern adäquaten Schutz zu bieten und den Unterhändlern, den »Brokern«, weltweit beizukom­men, bedürfe das bereits bestehende Gesetzeswerk der Palermo-Protokolle einiger Ergänzungen. Die Palermo-Protokolle, verabschiedet von den Vereinten Nationen im Jahr 2000, dienen der Ahn­dung des Menschenhandels, insbesondere des Handels mit Frauen und Kindern.

Im Februar plant der Europarat eine Konferenz, die den Menschen- und Organhandel zum Thema hat. Dann will de Boer-Buquicchio die folgenden Ergänzungen veranlassen: eine 30tägige Erholungsphase für die Opfer, eine Klausel, die die Opfer vor einer Bestrafung schützt, das Bleiberecht im Ankunftsland und die Bestrafung der Händler. »Zudem ist eine enge Kooperation zwischen den Vereinten Nationen und dem Europarat eine Grundvoraussetzung für die Bekämpfung des Organhandels, um ein universelles, weltweit wirksames Gesetzeswerk auszuarbeiten«, sagt de Boer-Buquicchio. Sie warnt vor Internetbörsen als Handelsforen für Organe. Die erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. So wurde erst im Mai des vergangenen Jahres der BBC zufolge ein junger Brite verhaftet, der eine seiner Nieren im Internet angeboten hatte. Daniel Tuck aus Oldbury ist der erste, der auf der Grundlage eines neuen Gesetzes in Großbritannien verurteilt wurde, das den Verkauf von Körperteilen untersagt.

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch, aber auch die Weltgesundheitsorganisation WHO kriti­sieren einen Mangel an verlässlichen Daten zum welt­weiten Organhandel. Die im Dezember veröffentlichte WHO-Studie »Die Situation des internationalen Organhandels« stellt fest: »Trotz wach­sendem Bewusstsein werden die Realitäten des internationalen Organhandels nicht sonderlich gut verstanden. Das liegt zum einen an einem Mangel an Daten und zum anderen an der mangelnden Bereitschaft, die vorhandenen Daten auszuwerten.«

In ihre Studie bezieht die Autorin Yosuke Shi­mazono auch japanische und englische Medienberichte der vergangenen fünf Jahre mit ein. Sie beschreibt das Phänomen des Transplantationstourismus, der nicht nur den Kauf und Verkauf von Organen beinhalte, sondern auch alle anderen kommerziellen Aspekte der Transplantation. Organisiert werde der Handel oftmals von Mittels­leuten und sogar Krankenversicherungen, die die Reise planten und die Organspender re­kru­tier­ten.

Dabei spiele das Internet eine große Rolle, um Ab­nehmer zu finden. Zahlreiche Webseiten offerierten »Transplantationspakete« all inclusive. Der Preis eines »Nierenpaketes« beispielsweise rangiere mittlerweile zwischen 70 000 und 160 000 US-Dollar. Einer der Hauptanbieter ist nach wie vor Indien, obwohl dort bereits seit 1994 ein Verbot des kommerziellen Organhandels in Kraft ist. Der Schwarzmarkt für Organe ­floriere aber unbeeinträchtigt, schätzungsweise 2 000 Inder verkaufen ihre Nieren pro Jahr.

In China, das in den Medien wohl die meiste Aufmerksamkeit erhält, wenn es um den Organhandel geht, wurden im Jahr 2005 12 000 Nieren und Lebern verpflanzt. Eine besondere Brisanz sieht Shimazono darin, dass in China exekutierten Gefangenen die Organe entnommen und dann weiterverkauft werden. Oftmals sind diese Gefangenen Mitglieder der religiösen Bewegung Falun Gong, die sich auch während des UN-Forums in New York City im Dezember Gehör verschafften, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Shimazono erklärt in ihrer Studie, dass bei über 900 der chinesischen Nieren- und Lebertransplantationen im Jahr 2004 Patienten aus dem Ausland die Empfänger waren. Im Iran hingegen ist die Nierenspende legal, aber hier sind strenge Kontrollen vorhanden, die eine Ausfuhr der Organe reglementieren. Anders auf den Philippinen: Dort wird der kommerzialisierte Nieren­handel unterstützt, und Patienten aus aller Welt werden als Abnehmer begrüßt.

Die Hauptabnehmerländer sind einem Bericht der NGO Organs Watch zufolge Australien, Kanada, Israel, Japan, Oman, Saudi Arabien und die USA. Nancy Scheper-Hughes, Professorin für Anthropo­logie an der Universität Berkeley, Kalifornien, und Vorsitzende von Organs Watch, erklärte: »Sie müssen verstehen, dass in den Anbieterländern oftmals sehr bekannte Chirurgen in den Handel verwickelt sind. Die haben kein Interesse daran, dass Daten gesammelt werden. Zudem ist das Stig­ma des Menschenhandels stärker. Leider rangiert der Organhandel in der Hierarchie des Horrors noch ganz weit unten.«

Auch bei den Verdächtigen in Tamil Nadu handelt es sich um »angesehene Ärzte« in »seriösen Krankenhäusern«, berichtet CNN-IBN. Die Ermittler kamen dem Organhändlerring nur auf die Spur, weil eine Frau, der der Broker weit mehr als die dann ausgezahlten 700 Euro versprochen hatte, zu einer Aussage bereit war.

Arthur Caplan, Vorsitzender des Zentrums für Bioethik an der Universität Pennsylvania, erklärte vor dem UN-Forum den Mangel an Forschung im Bereich des Organhandels so: »Das alte Problem. Das Leid der Ärmsten erhält nur in sehr drastischen Fällen die Aufmerksamkeit der Welt. Unglücklicher- oder vielleicht glücklicherweise hat das Phänomen in den letzten fünf Jahren so gravierende Dimensionen angenommen, dass es mittlerweile mehr Beachtung erhält. Insbeson­dere die Kritik an China und Indien, den neuen Global Playern, scheint vielen westlichen Regierun­gen aber prekär, denn da stehen natürlich Wirtschaftsinteressen im Vordergrund.« Auf keinen Fall dürfe ein legaler Markt entstehen, Caplan befürwortet eine strikte globale Reglementierung der Organtransplantation. Kontrolle über das Phänomen könne man mittels einer genauen Do­kumentation von Transplantationen und der Herkunft der Organe erzielen. Eine Or­gan­trans­plan­tation müsse in jedem Fall freiwillig erfolgen, die Spender sollten gut informiert sein und keinerlei kommerzielles Interesse verfolgen.

Potenziellen Verkäufern einer Niere wird versichert, sie hätten keine gesundheitlichen Folgen zu befürchten, da die verbleibende Niere ausreiche. Das gilt jedoch nur, wenn eine Nachbehandlung erfolgt, die sich die »Spender« meist nicht leisten können. Manche Marktliberale meinen den­noch, auch bei Organtransplantationen sollte das Prinzip des Freihandels gelten. Doch von Frei­willigkeit könne angesichts der extremen Armut keine Rede sein, sagt Scheper-Hughes von Organs Watch. »Das mag in Westeuropa oder den USA funktionieren, aber die soziale Realität in Indien und China ist eine andere. Jetzt gilt es, die Wirklichkeit mit verschärften Gesetzen und konkreten Aktionen in den Griff zu bekommen: Die Veröffentlichung der Namen der Ärzte, die in den entsprechenden Ländern in den Handel involviert sind, wäre ein Anfang.«