Keine Kohle für Kohle

Eine Schneekatastrophe hat die Energiekrise in China verschärft. Kohle und Strom werden knapp. von stefan frank

Die schlimmsten Schneefälle seit 50 Jahren haben in China zu zahlreichen Zerstörungen und Engpässen geführt: verschüttete Straßen, einstürzende Dächer, fehlende Lebensmittellieferungen, Wasser- und Stromausfälle. Mehr als 100 Millionen Menschen sollen betroffen sein, drei Millionen Menschen wurden aus einigen der am stärksten verwüsteten Gebiete evakuiert. Obwohl Armee­hubschrauber Hilfsgüter und Trinkwasser in entlegene Gegenden bringen sollten, wurde in staat­lichen Medien die Befürchtung geäußert, dass die Hilfe nicht überall ankommt.

Stromknappheit sei gegenwärtig ein »sehr ernstes« Problem, erklärte die Nationale Kommission für Entwicklung und Reform. Die Knapp­heit betreffe 17 Provinzen, sagte der Kommis­sions­sprecher Zhu Hongren. Hierfür ist vor allem ein Mangel an Kohle verantwortlich. Fünf Prozent der Kohlekraftwerke mussten bereits stillgelegt werden, wodurch es in zahlreichen Städten zu Stromausfällen kam. Da davon auch die Brunnen der Wasserwerke betroffen sind, fiel in einigen Städten die Wasserversorgung aus, und Angst vor Lebensmittelknappheit führte selbst in Shanghai zu Panikkäufen.

78 Prozent der Elektrizität werden in China von Kohlekraftwerken produziert. Obwohl die Regierung den Bau zahlreicher Atomkraftwerke plant und den Einsatz regenerativer Energien fördert, wird sich an der Dominanz der Kohle in Zukunft kaum etwas ändern. Verglichen mit Öl und Gas war Kohle bislang billig, und während Öl- und Erdgasvorkommen immer knap­per werden, schien es so, als könne China seinen Kohlebedarf durch heimische Vorkommen decken, nicht nur in den kommenden Jahren, sondern für Jahrhunderte.

Doch die Produktion hat mit dem Verbrauch nicht Schritt gehalten, und nun kommen weitere Probleme hinzu, unter anderem der harte Winter. Er betrifft sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite. Einer im Vergleich mit normalen Wintern viel höheren Nachfrage nach Kohle steht ein deutlich verringertes Angebot gegenüber, da die Schneestürme die Transportwege in weiten Teilen des Landes blockiert haben.

Die anderen großen Kohleproduzenten der Welt können die Lücke nicht füllen, da sie selbst Produktions- und Transportprobleme haben. Australien etwa hat zwar ausreichende Produktionskapazitäten, doch der »Flaschenhals« ist der größte Kohleexporthafen des Landes, Newcastle, im Südosten des Landes in der Nähe von Sydney gelegen. Im vorigen Jahr stauten sich dort mehr als 50 Schiffe, deren Besatzungen manch­mal drei Wochen lang vor dem Hafen vor Anker lagen, bis sie ihre Schiffe endlich beladen konnten. Derzeit sind es zwar nur noch an die 30 Schiffe, doch an eine Ausweitung der australischen Kohlelieferungen an China ist nicht zu denken, zumal der Bundesstaat Queensland, wo 6,5 Prozent der weltweit verbrauchten Kohle gefördert werden, derzeit von Überschwemmungen heimgesucht wird.

Südafrika hatte im Januar ebenso wie China mit Stromausfällen zu kämpfen, sodass die Förderung in den Gold- und Kohleminen zeitweilig stillstand, da ein sicherer Betrieb nicht mehr möglich war. Zwar hat der staatliche Stromkonzern Eskom versichert, zumindest 90 Prozent der Energielieferungen an die Gold-, Platin- und Kohleminen sicherzustellen, doch viele glauben, dass die Schwierigkeiten noch lange nicht vorbei sind. Ein weiteres Problem ist in Südafrika die Eisenbahn, die nicht in der Lage ist, die geförderte Kohle in vollem Umfang zu den Häfen zu transportieren.

Der große Gewinner ist Indonesien. Das Land hat seinen Anteil an der weltweiten Kohleförderung in den vergangenen Jahren stetig erhöht und ist nun der größte Exporteur thermischer, für die Strom- und Wärmeerzeugung verwendeter Kohle. Im vorigen Jahr stieg die Kohleproduktion auf 215 Millionen Tonnen. 193 Mil­lionen Tonnen waren es im Jahr 2006. Sollte es keine unerwarteten Probleme geben, wird sich die Förderung dieses Jahr auf 234 Millionen Tonnen belaufen, wovon 55 Millionen für den heimischen Bedarf gebraucht werden, während der Rest exportiert wird.

Indonesien ist geographisch günstig gelegen, um den Bedarf Chinas zu decken, die Seewege sind viel kürzer als von Australien oder Südafrika aus. Allerdings wird sich das Wachstum der Exporte in den kommenden Jahren möglicherweise verlangsamen, da der Anteil der in Indonesien selbst verbrauchten Kohle stetig wächst, vor allem durch den Bau neuer Kohlekraftwerke.

Noch vor kurzem hätte niemand in China eine Kohleknappheit erwartet, schließlich ist das Land der weltgrößte Kohleproduzent und war jahrzehntelang einer der wichtigsten Exporteure. Doch der Kohlebergbau forderte einen hohen Preis, nicht nur in Form von Umweltzerstörung, sondern auch von Menschenleben. Parteizeitungen gaben zu, dass China die gefährlichsten Bergwerke der Welt hat. Nirgendwo verunglückten mehr Arbeiter – jedes Jahr etliche tausend, drei- bis fünfmal mehr als im gesamten Rest der Welt. Da wegen der Ein-Kind-Politik Arbeitskräfte in vielen Regionen Chinas knapp werden, musste die Regierung handeln. Sie befahl im vergangenen Jahr die Schließung Tausender besonders gefährlicher, oft sehr kleiner Minen. Auch dies hat zu den Engpässen beigetragen, es ist zu befürchten, dass andere unsichere Minen weiter betrieben werden, um die Produktion nicht noch stärker zu verringern.

Als Reaktion auf die Kohlekrise hat die Regierung die inländischen Produzenten davor gewarnt, die Lage auszunützen, außerdem wurden alle Kohleexporte gestoppt. Davon sind vor allem Stahlwerke und Stromkonzerne in Japan und Südkorea betroffen, die sich nun schnell um Ersatz kümmern müssen. Doch das ist schwierig. »Ich war nicht in der Lage, irgendein Angebot aus Australien oder Indonesien zu finden«, sagte ein Händler aus Singapur der Nachrichtenagentur Reuters.

Anders als Öl war Kohle in der Vergangenheit auf dem Weltmarkt niemals knapp. Je nach Angebot und Nachfrage schwankten die Preise, doch niemand, der bereit war, den geforderten Preis zu zahlen, ging leer aus. Viele asiatische Konsumenten sind nun in der Situation, dass sie die benötigte Menge nicht bekommen, unabhängig davon, was sie zu zahlen bereit sind. Diese Krise wird sicherlich nicht Jahre währen, sondern wohl längstens bis zum Frühling. Doch bis dahin wird sie noch zu etlichen Stromausfällen führen und Millionen Menschen sehr zu schaffen machen. Das chinesische Wirtschaftswunder führt immer wieder zu unwillkommenen Überraschungen.