Klimapolitische Scheinwelt

Die EU-Kommission hat hohe Ziele zur CO2-Reduktion formuliert. Die Methoden, die sie dafür vorsieht, haben sich jedoch längst als Flops erwiesen. von juliane schumacher

»EU macht ernst beim Klimaschutz«, titelten Zeitungen und Zeitschriften. Und tatsächlich: Einen gewissen Mut kann man der Europäischen Kommission nicht absprechen. Am 23. Januar hat sie ihre neuen Gesetze zum Klimaschutz veröffentlicht. Und da in der Klimapolitik die Versprechen und Beschwörungen derzeit umso größer sind, je globaler der Maßstab und je feierlicher der Anlass ist, kann man es durchaus als Fortschritt werten, dass die Kommission in ihrem Papier nüchtern und detailliert Vorschläge macht, wie die EU ihr Ziel erreichen könne, bis zum Jahr 2020 20 Prozent weniger CO2 auszustoßen. Darauf hatte man sich geeinigt, als sich im März 2007 die Staatschefs der 27 Mitgliedsländer zum Europäischen Rat trafen und Angela Merkel als Ratspräsidentin auf einen Beschluss drängte. 20 hieß damals die Zauberzahl, und die tauchte schließlich gleich mehrfach im Protokoll auf: 20 Prozent weniger CO2 wollte die EU ausstoßen, 20 Prozent weniger Energie verbrauchen und den Anteil der erneuerbaren Energien auf 20 Prozent erhöhen – und das alles bis 2020.

Über das schöne Zahlenspiel hinaus enthielt der Ratsbeschluss allerdings wenig Konkretes, und so beauftragte der Rat die Kommission, in sechs Monaten einen Vorschlag dafür auszuarbeiten, wie dieses Ziel zu schaffen sei. Etwas länger hat es dann doch gedauert, aber voilà, hier ist der Vorschlag, und tatsächlich steht doch einiges Interessantes drin. So schlägt die Kommission vor, das Ziel auf zwei Wegen zu erreichen. Zum einen soll der europaweite CO2-Handel weiter das Mittel sein, die Emissionen von Industrie und Energieproduzenten zu begrenzen. Die aber sind nur für etwa die Hälfte des Ausstoßes an klimaschädlichen Gasen verantwortlich, und so bezieht die Kommission in ihrem Entwurf zum ersten Mal auch den Rest der Verschmutzer ein, die normalen Verbraucher in Haushalt, Landwirtschaft und vor allem im Verkehr. Für diese hat sie je nach Land ein »Einsparziel« berechnet, nach einem komplizierten Schlüssel, in den die Bevölkerungszahl ebenso eingeht wie der derzeitige CO2-Ausstoß und die jeweilige Finanzkraft.

Reiche Länder müssen also ihren Ausstoß stärker reduzieren als arme. Deutschland muss demnach 2020 in diesen Bereichen 14 Prozent weniger CO2 produzieren als 2005, damit liegt es im Mittelfeld. Für Österreich, Dänemark, Luxemburg oder Schweden gelten deutlich ehrgeizigere Ziele.

Die Industrie beklagte sich dennoch. Die deutsche Stahlindustrie warnte, 300 000 Arbeitsplätze würden in Europa durch die Maßnahmen verloren gehen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) rechnete gar damit, dass »Millionen von Arbeitsplätzen« betroffen seien und massive Strompreiserhöhungen auf jeden Einzelnen zukämen. »Das verdrängt zuerst die energieintensiven Unternehmen und anschließend weite Teile der Industrie«, sagte BDI-Präsident Jürgen Thumann. Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) beeilte sich denn auch zu bekräftigen, Deutschland dürfe nicht »einseitig belastet« werden.

Damit hatte sich der Streit aber auch erledigt, und das Thema verschwand von Titelseiten und aus Kommentarspalten. Hätte die Industrie durch den Entwurf der Kommission tatsächlich Verluste zu befürchten, so wäre es wohl zu mehr als nur einer reflexartigen Ausgabe von Presseerklärungen gekommen. Das aber wäre gerade in Deutschland lächerlich. Schließlich soll Deutschland den EU-Vorgaben zufolge 72 Millionen Tonnen CO2 im Jahr einsparen, mit seinem im Dezember vorgestellten »Klimapaket« jedoch hat es sich bereits eine Zielmarke von 100 Millionen Tonnen gesetzt. Darüber hinaus handelt es sich bei den Gesetzen der Europäischen Kommission bisher nur um einen Entwurf, der von jedem einzelnen EU-Mitgliedsstaat und vom Europäischen Parlament beschlossen werden muss. Mehrere Länder haben angekündigt, über einzelne Aspekte noch mal verhandeln zu wollen – und das, obwohl auch das jetzige Papier schon einen Kompromiss darstellt. So ließ sich Umweltminister Sigmar Gabriel loben, zum Gelingen der neuen EU-Gesetze entscheidend beigetragen zu haben, zugleich aber brüstete er sich damit, sichergestellt zu haben, dass es im Interesse Deutschlands keine CO2-Obergrenze für Neuwagen gibt.

Dass Rücksichtnahmen und Deals dieser Art im gegenwärtigen Klimaschutz-Prozess der EU die Regel sind, zeigt sich auch in den Ausnahmen, die die neuen Gesetze vorsehen. So führt das Papier eigens die Bedürfnisse energieintensiver Industrien auf. Diesen sollen durch die Maßnahme keine Wettbewerbsnachteile gegenüber Ländern ohne CO2-Handel entstehen, die EU will ihnen also auch zukünftig die Zertifikate für den nötigen CO2-Ausstoß kostenlos ausgeben. Und letztlich ist sowieso die Tatsache entscheidend, was passiert, wenn ein Land das gesetzte Reduktionsziel verfehlt: nichts.

Auch in den neuen EU-Gesetzen ist also die Kluft deutlich zwischen Klimapolitik einerseits, die Emissionen verringern soll, und Wirtschaftspolitik andererseits, die um jeden Preis Wachstum will und dafür weiter fossile Brennstoffe in die Öfen kippt. Der große Wurf ist der EU nicht nur deshalb nicht gelungen, weil sie mit den angepeilten 20 Prozent CO2-Reduktion wieder hinter das zurückfällt, was sie auf der Bali-Konferenz als Erfolg gefeiert hat – nämlich das Versprechen der Industrieländer, ihren CO2-Ausstoß um 25 bis 40 Prozent zu senken. Sondern auch, weil sie zwar konkrete Zahlen vorgelegt, Vorschläge macht und mögliche Kosten nennt, die Scheinwelt der Klimapolitik aber mit keinem noch so kleinen Schritt verlässt. Und darin liegt das Grundproblem der derzeitigen Klimapolitik.

Klimawandel und Klimapolitik bewegen sich in zwei vollkommen getrennten Welten, die kaum Einfluss aufeinander haben und stetig weiter auseinanderdriften. Um zu verstehen, wie weit die »Erfolge« der Klimapolitik tatsächlich von der Realität entfernt sind, genügt es, sich die Emissionsstatistik anzusehen: Seit 1990, dem Referenzjahr des Kyoto-Protokolls, sind die CO2-Emissionen weltweit um mehr als 25 Prozent gestiegen, in den OECD-Ländern um 16 Prozent. Die EU macht da keine Ausnahme: Im Vergleich zu 1990 stößt sie heute rund ein Prozent mehr CO2 aus; diese Zahlen jedoch kommen nur zustande, weil in der ehemaligen DDR und anderen Ostblock-Staaten seit 1990 zahlreiche stark emittierende Kohlekraftwerke stillgelegt wurden. Wie sich der Ausstoß von Treibhausgasen in der EU tatsächlich entwickelt, kann man an den Bilanzen vieler alter EU-Staaten sehen. In Spanien nahm der CO2-Ausstoß in diesem Zeitraum um 41 Prozent zu, in Portugal um 21, in Österreich um 17. Auch wenn diese hohen Zahlen nicht für alle EU-Staaten gelten, kann von einer Reduktion auf EU-Ebene keine Rede sein.

Nun ist die Europäische Kommission sicher nicht die Institution, von der man tiefgehende Analysen über den Zusammenhang zwischen Klimawandel und herrschendem Wirtschaftssystem erwartet. Aber wenn die Kommission es zumindest mit ihren selbst formulierten Zielen ernst meint – nämlich Europa vor hohen Kosten eines möglichen Klimawandels zu schützen –, sollte man erwarten dürfen, dass sie zumindest einen kritischen Blick auf die bisher eingesetzten Instrumente wirft. Das Instrument, das in der EU seit 2005 zum Einsatz kommt, ist der Emissionshandel, und der ist, was die Reduktion von CO2 angeht, ein einziger Flop. Weil die Länder großzügig Lizenzen an ihre Industrie verteilten, um den eigenen Standort zu unterstützen, gibt es insgesamt Emissionsrechte für mehr CO2, als in der EU produziert wird. Der CO2-Handel reduziert die Emissionen nicht nur nicht, er fördert sie sogar.

Ist das neue »Klimaschutzpaket« also nichts als Papier, das keinerlei Auswirkungen hat? Nein, ist es nicht. Und das liegt vor allem daran, dass, unabhängig davon, wie effektiv die Maßnahmen zur CO2-Reduktion sein mögen, aufgrund dieses Programms viel Geld in erneuerbare Energien fließen wird, deren Anteil die EU erhöhen will. Geld in Häuserdämmung, in effizientere Technologien und Produkte, in Atomkraftwerke. Das Klimaprogramm ist auch ein Programm der Wirschaftsförderung – und der Wirtschaftssteuerung. Denn einen Grund für die neuen Gesetze benennt die Kommission ganz klar: die europäische Wirtschaft vorzubereiten auf den Handel mit jener Technologie, die sich, je wichtiger der Klimawandel wird, exportieren lässt. »Je früher Europa sich bewegt«, schreibt die Kommission in einer Mitteilung zu den neuen Gesetzen, »umso größer die Chance, dass es sein Knowhow und seine Technologie zur Belebung von Innovation und Wachstum nutzen und dabei von seiner Pionierrolle profitieren kann.«

Auswirkungen wird das auch im so genannten globalen Süden haben. Denn auch dorthin, das lässt sich absehen, wird ein großer Teil des verwendeten Geldes gehen: in riesige Pflanzungen, wie es sie bereits in Indien, Brasilien und Mexiko gibt. Wie im Kyoto-Protokoll ist auch in den neuen Gesetzen zum Klimaschutz vorgesehen, dass die EU-Staaten sich quasi von der CO2-Reduktion freikaufen können, wenn sie dafür Holzplantagen oder andere »klimafreundliche« Projekte in Ländern des globalen Südens finanzieren. Diese Pflanzungen sind nicht nur ökologisch umstritten, weil sie wegen des höheren Holzertrags meist aus Monokulturen von rasch wachsenden Bäumen wie Eukalyptus bestehen, es ist auch bis heute vollkommen unklar, ob und, wenn ja, wie viel CO2 solche Holzplantagen tatsächlich »sparen«.

Setzt sich die europäische Kommission mit ihrem Vorschlag durch, wird sie auch die expandierende Biotreibstoff-Produktion weiter anheizen und die gewaltigen Plantagen fördern, die sich in Lateinamerika, in Indonesien und teils auch in Afrika in die Wälder fressen. Denn die neuen EU-Gesetze sehen auch vor, dass bis 2020 zehn Prozent des verbrauchten Benzins und Diesels Biosprit sein sollen. Das europäische Parlament hat bereits angekündigt, das verhindern zu wollen – schließlich sei inzwischen bekannt, dass die Produktion von Bio­treibstoff für Klima, Umwelt und Menschen im Süden katastrophale Auswirkungen habe. Ob dem Parlament das gelingt, wird sich zeigen – die Großproduzenten im Süden machen sich derweil schon mal bereit fürs große Geschäft auf dem europäischen Markt.