Mao statt König

Nach 240 Jahren Monarchie und zwölf Jah­ren Bürgerkrieg wurde aus dem Königreich Nepal kurz vor Jahresende eine Repu­blik. Die Abschaffung der Monarchie war eines der Ziele der maoistischen Guerilla, die zwölf Jahre lang den »Volkskrieg« or­ganisierte. Für die ehemaligen Rebellen ge­staltet sich die von den UN gesponserte Wiedereingliederung in die Gesellschaft als besonders schwierig. von benjamin kumpf, kathmandu (text und fotos)

Auf die Frage, was denn an dem kleinen Hima­laya-Staat besonders faszinierend sei, lautet die Antwort der meisten Touristen: »Der Weg vom Flughafen in die Stadt!« Erst dann folgt das Übliche: Affen-Tempel, Buddha-Statuen und die unglaublichen Landschaften, die es auf den Trek­king-Touren zu sehen gibt. Die erste Fahrt in einem der unzähligen kleinen Taxis bleibt nicht von ungefähr in Erinnerung. Es beginnt mit dem Lärm, die Straßen sind überfüllt, die Anzahl der meist kleinen Wagen übersteigt schon seit Jahren die Kapazität des Straßennetzes.

Die politische Lage in dem kleinen Staat wird von Nepalis und dort arbeitenden Ausländern gleichermaßen gerne mit dem chaotischen Verkehr auf Kathmandus Straßen verglichen. Irgend­wann ginge es schon immer weiter, man brauche nur reichlich Geduld.

Doch die Geduld mit den politischen Parteien scheint vielen Nepalis inzwischen auszugehen. »Die Unzufriedenheit wächst, und sowohl die linken Parteien als auch die konservativen Fraktionen verlieren Anhänger. Die einzigen, die von die­ser politischen Situation profitieren, sind der König und seine verbliebenen Vasallen«, meinte Anil Maharjan, Autor der liberalen Monatszeitung Himal, noch im November vergangenen Jahres. Damals waren die Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung nach dem überraschenden Machtverzicht des Königs bereits zum dritten Mal abgesagt worden.

Der unbeliebte Monarch Gyanendra bestieg im Jahr 2001 den Thron, nachdem sein Bruder, König Birendra, mit seiner Familie bei einem Abendessen im Königpalast von dem Kronprinzen Dipendra mit einem automatischen Gewehr niedergemäht worden war. Von Anfang an verfolgte der neue Monarch einen harten Kurs gegen die maoistische Guerilla, die bereits damals etwa die Hälfte des Staatsterritoriums kontrollierte. Gyanendra, als König gleichzeitig oberster Armee­chef, setzte das Militär gegen die Maoisten ein und verkleinerte stetig den ohnehin geringen Spiel­raum des Parlaments und des gewählten Premier­ministers. Mit internationaler Unterstützung, ins­besondere Indiens und der USA, die das Maoist Movement in ihre Liste der Terror­organi­sa­tionen aufnahmen und Nepal mit Waffen und Logistik versorgten, rief Gyanendra im Frühjahr 2005 den Notstand aus, kappte kurzzeitig sämtliche Telefon- und Internetverbindungen, entließ die Regierung und setzte den Premierminister unter Haus­arrest. Zahlreiche Journalisten wurden inhaftiert und unzählige Menschen verhaftet und verschleppt unter dem Verdacht, das Maoist Movement zu unterstützen. Die Repression und die Aus­schaltung der 1990 erkämpften demokratischen Institutionen einigten die ansonsten heillos zerstrittenen Parteien. Die größten Gruppen schlossen sich in der Sieben-Parteien-Allianz zusammen und wandten sich offen gegen den König. Ende 2005 einigte sich das Bündnis mit dem Maoist Movement auf ein gemeinsames Programm zur Schaffung einer Demokratie. Eine historische Zäsur, waren sich doch einige der Parteien und die Maoisten noch kurz zuvor unversöhnlich gegenübergestanden.

Die Wut in der Bevölkerung über das Vorgehen des Königs wuchs weiter und kulminierte im Frühjahr 2006 in einer Massenbewegung. Militante Streiks und Demonstrationen legten die größeren Städte Nepals über Wochen hinweg lahm. Darauf reagierten Militär und Polizei mit brutaler Gewalt, Inhaftierungen und scharfen Schüssen. Allerdings verkalkulierte sich Gyanendra. Die politische Bewegung gewann weiter an Dyna­mik, und die internationalen Partner entzogen ihm die Loyalität. Die Massenproteste führten zur Wiedereinsetzung des Parlaments und zu einer weitgehenden Entmachtung des Königs.

»Wir waren alle euphorisch«, berichtet der Journalist Anil Maharjan. »Wie viele meiner Kollegen lebte ich eine Weile im Untergrund, um einer möglichen Verhaftung zu entgehen. Trotzdem nahm ich an den Demonstrationen teil. Dieses Gefühl, nach der großen Angst schließlich gesiegt zu haben, beflügelte uns alle über Monate.« Die Augen des 32jährigen strahlen hinter den Gläsern seiner Brille, während er von den Demonstra­tionen des Jana-Andolan II erzählt. So werden die Ereignisse vom April 2006 in Nepal bezeichnet, in Anlehnung an die erste Demokratiebewegung des Landes im Jahr 1990.

»Nach der Absetzung des Königs haben wir alle geglaubt, dass wir nun eine echte Demokratie herstellen können, sogar mit den Maoisten.« Maharjan bezeichnet sich selbst als links, die Mao­isten unterstützt er aber nicht, wie die meisten sei­ner Kollegen. »Die Maobadhis haben gute Ansätze, aber sie akzeptieren keine anderen Meinungen. Gerade im Oktober wurde wieder einer meiner Kollegen von der maoistischen Jugend­orga­nisation umgebracht. Er war bestimmt nicht der letzte.«

Die Ermordung des Journalisten Birendra Shah durch Mitglieder der maoistischen Jugendorganisation Young Communist League sorgte Ende vergangenen Jahres im ganzen Land für Aufruhr. Einschüchterungen und Verschleppungen unlieb­samer Medienschaffender gehören zum Repertoire der Maoisten und werden fortgeführt, auch wenn sie keine Untergrundorganisation mehr sind. Zwar versprach die maoistische Parteiführung nach der Ermordung des Journalisten, die Täter an die Polizei auszuliefern und künftig derartige Akte zu unterbinden. Doch allein im Dezember wurden mindestens vier Journalisten von Angehörigen der Partei verschleppt, mehrere Tage lang festgehalten und gefoltert.

Die Maoisten scheinen insgesamt noch nicht in der Legalität angekommen zu sein. Eine Ausnahme bilden die wenigen Anführer der streng hierarchisch organisierten Partei. Ein Großteil der ehemaligen Guerilleros lebt derzeit in Camps, die von den UN gesponsert werden, und wartet nach der Abgabe ihrer Waffen auf eine Wiederein­gliederung in die Gesellschaft. Im Gegensatz zu der regulären Armee erhalten die ehemaligen Kämpfer keinen geregelten Sold und sehen kaum eine Perspektive. Die Führung der Partei macht sich inzwischen Sorgen um die Ergebnisse der Wahl, die im April dieses Jahres stattfinden soll. Weil die Maobadhis stets die Ergreifung der Macht als Parole ausgegeben hatten, fällt es ihnen nun schwer, ihre neue Rolle als eine der vielen politischen Kräfte zu akzeptieren: das gilt für die Kader wie für die einfachen Mitglieder. Vor allem, weil sich in ihren ehemaligen Machtzentren inzwischen wieder rege Aktivitäten entfalten. Betrieben werden diese nun von den konkurrierenden Parteien, darunter sechs weitere kommunistische. Die Perspektive, bei den Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung nicht die überwältigende Mehrheit der Stimmen zu bekommen, ist für die Maoisten wegen ihres Selbstverständnissses als »Stimme des Volkes« inzwischen zur realen Bedrohung geworden.

»Die Maoisten haben kalte Füße bekommen und daher die Wahlen sabotiert«, meint Durga Sob von Fedo, der Feminist Dalit Organisation. Die Gruppe wurde von Frauen aus der Kaste der Unberühr­baren, der Dalits, gegründet und tritt offensiv für ein Ende der Diskriminierungen ein. Auf einem Kongress über die Möglichkeiten der beruf­lichen Weiterbildung für Frauen in ländlichen Ge­bieten findet die Sprecherin klare Worte. »Die Maoisten sind in Frauenfragen definitiv am progressivsten unter all den Parteien. Aber sie müssen nun endlich Wahlen zulassen, damit die Men­schen selbst entscheiden können.« Viele Mitglieder von Fedo sympathisieren mit den Mao­badhis.

Im November 2007 waren es vor allem die Mao­isten, die die Wahlen verhinderten, indem sie die sofortige Abschaffung der Monarchie und eine Veränderung des Verhältniswahlrechts als Vorbedingungen für Wahlen forderten. Die Sieben-Parteien-Allianz konnte sich auf kein gemein­sames Vorgehen einigen, und es herrschte abermals Stillstand. Die Maoisten dachten in der Öffentlichkeit laut über die Wiederaufnahme des »Volkskriegs« nach und verkündeten martialisch die Bereitschaft ihrer Truppen, weitere 40 Jahre zu kämpfen.

Kurz vor Jahresende kam abermals unerwartet Bewegung in das Land. Überraschend stimmte die Regierung den Forderungen der Maoisten zu und nahm formell den Beschluss zur Abschaffung der Monarchie an. Nun muss lediglich die verfassunggebende Versammlung – die im April gewählt werden soll – das Dokument unterzeichnen.

Im Parteibüro der Maoisten herrscht seitdem Hochbetrieb. Der Wahlkampf hat begonnen. Das Gebäude der Kommunistischen Partei Nepals-Maoisten (CPN-M) in Kathmandus Nachbarstadt Patan versprüht den zweifelhaften Charme eines Berliner Squat: rote Fahnen und zahllose Transparente an der Außenfassade, lieblos ausgehängte Demo-Plakate an den Wänden, dunkle Flure, ein miefiges Treppenhaus und das unbestimmte Gefühl von Neuankömmlingen, hier nicht wirklich willkommen zu sein.

Hinter der Tür des Büros der Tamang Libera­tion Front erwarten den Besucher dann aber ein lichtdurchfluteter Raum, eine Menge lächelnder Gesichter und der obligatorische Milchtee. Die Ta­mang Liberation Front ist eine der zahlreichen Unterorganisationen der CPN-M. In Nepal werden Menschen seit Jahrhunderten wegen ihrer ethnischen Herkunft und Kastenzugehörigkeit unterdrückt. Gerade diese Leute bilden die Anhängerschaft der maoistischen Bewegung.

Jagat Tamang ist seit knapp acht Jahren Mitglied der Maoisten und lebt in einem kleinen Dorf am Rande des Kathmandu-Tals. Trotz seines geringen Alters hat er es bereits relativ weit in der innerparteilichen Hierarchie gebracht und arbeitet als »Regional Secretary« in seiner Gemeinde und den umliegenden Dörfern. »Ich bin für die Kontrolle der Region verantwortlich. Gerade in den letzten Monaten kamen immer mehr sub­ver­sive Elemente in unsere Region und haben ver­sucht, Verschwörungen anzuzetteln.« Auf Nachfrage erklärt der junge Kader, dass derzeit Monar­chisten aus der Hauptstadt beharrlich versuchen würden, die Bevölkerung gegen die Maoisten auf­zuwiegeln. Zwar spricht Jagat Tamang ausgezeichnetes Englisch, seine genauen Aufgaben für die Partei vermag er aber dennoch nicht präzise darzustellen, das Thema erscheint ihm offensicht­lich zu sensibel. Gerade bei Fragen zu seinen Funktionen als Kontroll- und Sanktionsorgan gerät er oft ins Stocken, wird hin und wieder ärgerlich.

Er ist Mitte Zwanzig, ein unscheinbarer Mann mit wachen Augen und einem einnehmenden Lächeln. Seine Bewegungen, insbesondere sein Gang, unterscheiden ihn jedoch von der Masse der Menschen, die sich eher unsicher und vorsich­tig durch den Verkehr Kath­mandus tasten. Jagat Tamangs energischer Gang hingegen macht deut­lich: Hier läuft ein Mensch mit Macht. Ein Mann, der eine Waffe trägt.

»Natürlich trage ich eine Pistole. Auch nach dem Friedensabkommen müssen wir uns gegen das Militär und die konterrevolutionären Kräfte verteidigen.« Wortgetreu und präzise stellt Tamang die zentralen Positionen des Zentralkomitees dar. Zweifel, eigene Kritik oder Wünsche will der junge Kader nicht zulassen. Nur seine Gründe, in den Reihen der Maoisten zu kämpfen, legt er dar: »Ich komme aus einem kleinen Dorf im Westen des Landes. Einige Jahre nach dem Beginn des Volkskriegs kamen Soldaten in unser Dorf, töteten einige Männer und plünderten unsere Vorräte. Auch mein Onkel wurde ermordet.«

Jagat Tamangs Geschichte ist nur allzu typisch für den nepalesischen Konflikt. Während des zwölf­jährigen Bürgerkriegs zwischen dem Maoist Movement und dem Militär sorgten die Staats­organe mit ihrem brutalen Vorgehen selbst für einen konstanten Nachschub junger Mao-Rekruten.

Zwölf Jahre nach dem Beginn ihres »Volkskriegs« sind die Maoisten nun einem ihrer Ziele näher gekommen: Die Tage des Königs sind gezählt. Die Erlangung der Macht und die Installierung einer »Volksregierung« nach den erklärten Vorbildern Mao und Stalin scheinen jedoch in weite Ferne gerückt. Seit dem Ende des Bürgerkriegs haben die Maoisten keine Akzente auf der politischen Agen­da gesetzt, auch nicht mit den sozialen Fortschrit­ten in den von ihnen seit mehreren Jahren kontrollierten Regionen. Inwieweit die dortigen Räte und »Volksregierungen« tatsächlich progressive Veränderungen initiierten, lässt sich derzeit noch nicht beurteilen. Doch selbst die Maoisten äußern sich zurückhaltend. Am Rande der Zehn-Jah­­res-Feier der Tamang Liberation Front in einem angemieteten Saal in Kathmandu zeigt sich der 50jährige Mr. Lama eher skeptisch. »In unseren Machtzentren konnten wir die Rolle der Frauen verändern. Das können wir mir Stolz behaupten. Aber weitere Entwicklungen waren nicht wirklich möglich, wir waren im Krieg.« Im Hintergrund tanzt eine Gruppe älterer Männer auf der Bühne, die Orden für die Veteranen werden überreicht, die Kerzen für die gefallenen Kämpfer entzündet.

Nach über zehn Jahren im Untergrund als Logistiker in den Reihen des Maoist Movement ist Mr. Lama nun wieder nach Kathmandu zurückgekehrt und führt das Büro der Tamang Liberation Front in Patan. Der kleine Mann mit den zahlreichen Lachfalten wirkt müde. »Das Leben in der Guerilla war hart. Aber nun ist das politische Geschäft so kompliziert geworden. Ich weiß nicht, ob wir all unsere Ziele erreichen können.«

Der kurze Augenblick des Zweifels währt jedoch nicht lange. Mr. Lama richtet sich wieder zu voller Größe auf und verkündet mit Inbrunst, die Führung der Partei und der Vorsitzende Prachandra würden dem Volk schon den rechten Weg weisen.