Wodka, one, two, three, four!

Zu Unrecht vergessene Musik, Teil fünf: Belgian Asociality begeistern doris akrap mit einer Hommage an den Roadrunner

Die Kantkinder des Punkrock, die Teenies also, die für die Achtziger zu jung und für die Neunziger zu alt waren, haben es nicht leicht, ihrer Geschichte eine bestimmte Musikrichtung zuzuordnen. Diese Jugendlichen wuchsen in der Übergangszeit auf, in der die großen Musikentwürfe des Underground erledigt waren und die Ära des Grunge und des Techno begann, die recht schnell von kommerziellem Erfolg begleitet wurde.

Die Autofahrten zu den in abgelegenen Käffern befindlichen Punkerschuppen, die ich mit meiner südhessischen Bezugsgruppe an den Wochenenden zu dieser Zeit unternahm, wurden lange von zwei Kassetten bestimmt, die Hin- und Rückweg begleiteten und die diese Erfahrung der Übergangsgeneration deutlich machen.

Auf dem Hinweg, als wir noch klar denken konnten und uns mehr oder weniger darüber bewusst waren, dass die Zeit des Punkrock zu Ende war, wurde das 1991 nur auf Kassette erschienene erste Album der Londoner Band Back to the Planet gespielt, »Warning the Public«. Die hübsche Stimme von Fil Walters und die Mischung aus Techno, Ska und Dub war allerdings die denkbar schlechteste Einstimmung auf die uns bevorstehenden rauen Nächte, in denen nicht wenig Pfungstädter Bier floß.

Auf dem Rückweg wurde die zweite Kassette eingelegt. Aus dem Autoradio erklangen Töne, die wesentlich besser zu unserer Verfassung passten: schneller, dumpfer Hardcore-Punk, kein Stück, das länger war als 1,5 Minuten, und Texte, die bis auf ein paar eingängige Zeilen völlig unverständlich waren. Reinster Stoff also.

Einer aus der Autogruppe hatte diese Kassette von seiner Punkerfreundin stibitzt. Die Begeisterung für die Band war riesig, so dass ungefähr 20, von einer Überspielung zur nächsten immer schlechter werdende Kopien der Aufnahme im Umlauf waren. Das Tape kursierte unter dem Namen »Belgische Asoziale«, da so die Aufschrift auf der Kassette lautete. Weil es noch kein Internet gab und niemand die Band je gesehen oder von ihr gehört hatte, reimten wir uns zusammen, dass es sich um ein geheimes Undercoverprojekt der Beastie Boys handeln könnte, denn ein Lied hieß »Feasty Boys«. Neben den Songs »Skinhead« und »Khomeini«, die wir aus politischen Gründen gut fanden (»Skinheads have more hair then brains« (sic!) / »ladies and gentlemen, may I present to you the fascistic bastard Khomeini«), waren unsere drei Favoriten ganz klar »Sigaret«, »Wodka« und »Miep Miep«. Die auf ihre Art liebevolle Hommage an die Cartoon-Figuren Roadrunner und Wile E. Coyote, »Miep Miep«, besteht fast ausschließlich aus unverständlichen Konsonanten, von denen wir damals nur schwer sagen konnten, ob es sich um eine belgische Landessprache, ein dadaistisches Punkmanifest oder doch nur die einfachste Form handelte, sternhagelvolle Saufpunks zum Mitgrölen anzuregen. Die Lyrics dieses Lieds lassen sich auf der mittlerweile existierenden Homepage der Band wie folgt nachlesen: »Miep, Miep / miaaaaarghn / e e e e e / e e e e e / kwkwbkdkwwk / kwkwkwiidkkwk.« Bei den anderen beiden Liedern war die intellektuelle Anstrengung ein bisschen größer. Während »Sigaret« neben einigen anderen Zeilen vor allem aus dem Refrain »I want a sigaret« bestand, reduzierte sich »Wodka« beinahe ausschließlich auf »Ik wil wodka, Ik wil Wodka, Ik wil Wodka, one, two, three, four.«

Lange nachdem die Kassette der »Belgischen Asozialen« schon längst vergessen worden war, fand ich auf dem Frankfurter Flohmarkt den auf Vinyl gepressten Hardcore-Punk aus Bel­gien. Anders, als auf der Kassette vermerkt war, hieß die Band »Belgian Asociality«. Die Enttäuschung war groß, denn auf dem Cover war ein Foto der Mitglieder: vier Jungs, die lässig Bierkästen der Marke Jupiter in den Händen hielten. Die Illusion, bei der Musik könne es sich um die bislang unbekannte belgische Periode der Beastie Boys handeln, war dahin. Doch lohnt es sich angesichts der zunehmenden Ethnisierung Belgiens, diese Platte wieder aufzulegen. Denn die Situationsbeschreibung der Gruppe »Belgian Asociality« war damals so richtig wie heute: »Ik word hier kreeeezieee.«

Belgian Asociality: Belgian Asociality (Punk etc. 1988)