Kulturkampf der Riesen

Microsoft will den lange ersehnten Durchbruch im Internetgeschäft. Dafür muss das Unternehmen sich Yahoo kaufen. Ob diese Fusion die Allmacht von Google auf dem Suchmaschinenmarkt gefährden würde, ist noch ungewiss. Google reagierte auf die Übernahmepläne mit einer Imagekampagne, in der sich die Firma als Verfechterin einer freien Internetkultur geriert. von carsten schnober

Für 44,6 Milliarden US-Dollar – 30 Milliarden Euro – wollte der weltweit größte Software-Hersteller Microsoft das zweitgrößte Internetportal Yahoo übernehmen. Doch Yahoo lehnte Anfang der Woche ab mit der Begründung, die Offerte sei nicht angemessen hoch. Zum Vergleich: Den Vereinten Nationen steht in den nächsten beiden Jahren nur ein Zehntel dieser Summen zur Verfügung, und für Microsoft handelt es sich dabei etwa um den Jahresumsatz von 2006. Selbst die spektakuläre Übernahme des Video-Internetportals Youtube durch Google, den Marktführer unter den Suchmaschinen, für 1,3 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr wirkt daneben wie die bekannten Peanuts.

Es treffen Giganten eines nicht mehr ganz neuen Marktes aufeinander, und es überrascht kaum, dass sich nur wenige Tage nach Microsofts Übernahmeangebot Google einschaltete und Yahoo großzügig Unterstützung bei der Wahrung seiner Unabhängigkeit anbot. Beispielsweise könne Yahoo die Suchanfragen seiner Nutzer demnächst preisgünstig über Google abwickeln. Der Kampf um Yahoo entwickelt sich zu einer entscheidenden Auseinandersetzung zwischen zwei weltweiten Monopolisten: Microsoft beherrscht den Software-, Google den Suchmaschinenmarkt.

Lange Zeit war es undenkbar, dass Microsoft auf einen so starken Widersacher wie Google stoßen könnte, nachdem das Unternehmen aus Redmond in den neunziger Jahren alle potenziellen Konkurrenten in den wirtschaftlichen Ruin getrieben oder aufgekauft hatte. Der Windows-PC ist zum Standard geworden, obwohl die von verschiedenen Herstellern vertriebene Hardware sich theoretisch auch mit anderen Betriebssystemen ausstatten ließe. Auf Hardware-Händler übt Microsoft allerdings großen Druck aus, weshalb diese meist ausschließlich Windows-PCs verkaufen. Alternativen wie das System Linux, das auf freier Soft­ware basiert, oder andere Betriebssysteme wie die von Mac­intosh bleiben Nischenprodukte auf dem Markt.

Dank seines Monopols im Bereich der Betriebs­systeme hat Microsoft Anwendungen wie seine Office-Suite, den Web-Browser Internet Explorer und seinen Media Player gegen vormalige Marktführer wie Netscape und Real Player de facto als Standards durchgesetzt. Konkurrenten von Microsoft bleiben weitgehend chancenlos, trotz etlicher Klagen von europäischen und US-amerikanischen Kartellwächtern. Die ungeliebte, aber erfolgreiche Strategie von Microsoft besteht darin, eine größtmögliche Inkompatibilität zwischen den Nutzern zu erzeugen. Wer mit Microsoft-Nutzern zusammenarbeiten oder kommunizieren will, wird zum Kauf derselben Software gedrängt, weil der Datenaustausch sonst umständlich oder sogar unmöglich wird.

Doch trotz seiner führenden Marktposition hat das Unternehmen Microsoft bei vielen Anwendern seinen Ruf selbst ruiniert, indem es immer wieder unfertige und fehlerhafte Software zu hohen Preisen verkaufte. Auch seine Mechanismen gegen illegale Kopien verärgerten viele Kunden, die sich vor der Benutzung legal erworbener Software unter Herausgabe zahlreicher persönlicher Daten umständlich registrieren müssen.

Der Konkurrent Google präsentiert sich als Gegenentwurf zum klischeebehafteten Bild vom raffgierigen Monopolisten Microsoft und als Verfechter einer freien Internetkultur. Dazu passt das Motto der Marketingabteilung der Firma: »Don’t be evil!« Als Beleg für angebliche Wohltätigkeit stellt Google den Nutzern fast alle seine Angebote gratis zur Verfügung. Neben der Suchmaschine sind Google Mail und Google Maps sowie Google Earth und Google Desktop zu erwähnen. Mit einer ebenfalls kostenlosen Online-Office-Suite namens Google Docs nähert sich das Internet-Unternehmen sogar direkt dem Terrain von Microsoft.

Über offene Standards und Schnittstellen werden auch Betreiber kleinerer Seiten ermutigt, die Google-Funktionalität zu nutzen. Wegbeschreibungen und Ortsangaben mit Hilfe von Google-Landkarten finden sich ebenso auf unzählbaren Internetseiten wie auf die eigene Home­page zugeschnittene Google-Suchfelder. Bei unkommerziellen Projekten wie Wikipedia und zahlreichen Blogs stößt der Dienstleister auf Gegenliebe, weil ihre Seiten häufig weit vorne bei den Suchergebnissen auftauchen.

Die bedingungslose Kooperation mit chinesischen Zensurbehörden und die Geheimnistuerei um den Umgang mit den zahlreich gesammelten personenbezogenen Daten seiner Nutzer haben dem Ruf des Unternehmens Google vergleichsweise wenig geschadet. Deshalb konnte Googles Chefjurist David Drummond bei seiner ersten Stellungnahme zum Übernahmeangebot von Microsoft auf die Moral zu sprechen kommen. Er beruft sich auf die offene Internet-Kultur, deren Entstehung von Unternehmen wie Google und Yahoo erst ermöglicht worden sei. Microsoft dagegen stellt er als Bedrohung für diese Kultur dar. Bei der Eroberung des PC- und Webbrowsermarkts unterstellt Drummond Microsoft in ungewöhnlich konfrontativer Weise den Einsatz illegaler und unfairer Praktiken, und er befürchtet nach der Übernahme von Yahoo die Anwendung derselben Methoden im Internet. Nach der Fusionierung von zwei der größten Webportale könne ein neues Monopol im E-Mail- und Chatbereich entstehen. Die Kunden des neuen Microsoft-Yahoo-Konzerns könnten in diesem Szenario nur noch untereinander kommunizieren.

Erinnert man sich an frühere Angriffe von Microsoft auf wichtige Internet-Standards wie E-Mail und auf die Sprache HTML, auf der das gesamte World Wide Web basiert, sind solche Über­legungen keinesfalls abwegig. Derzeit macht der Windows-Hersteller von sich reden, weil er das von vielen Behörden weltweit bereits eingeführte Open Document Format angreift, das den Austausch von Office-Dokumenten unabhängig von der verwendeten Software ermöglicht.

Drummond sieht im Kulturkampf um die digitale Welt auf der einen Seite das offene und »innovative« Internet, in dem sich gute Ideen – wie die von Google und Yahoo – gemäß liberaler Ideale durchsetzen. Auf der anderen, »dunklen« Seite versuche Microsoft immer wieder, Monopole zu etablieren und sie zur Expansion in neue Märkte zu nutzen, was Innovation und Wettbewerb hemme.

Der Grund für Googles Attacke auf Microsoft liegt jedoch nicht in der Angst um bürgerliche Freiheiten. Der Blick nach China genügt, um der Firma diesbezüglich eine gewisse Gleichgültigkeit nachzuweisen. Vielmehr verteidigt sie sich gegen einen Frontalangriff auf ihr Monopol unter den Suchmaschinen, das für den gesamten Werbemarkt im Internet von zentraler Bedeutung ist. Der Vorsprung des Unternehmens gilt für die nächsten Jahre als uneinholbar, und aufgrund seiner riesigen Sammlung von Daten über das Suchverhalten seiner Nutzer wäre derzeit der Anspruch, das gesamte Internet zu kontrollieren, eher Google als Microsoft zuzutrauen. Folgerichtig antwortete der Chef von Microsoft, Steve Ballmer, auf die Vorwürfe gegen sein Unternehmen, dass die Übernahme von Yahoo die einzige ­Chance sei, die Dominanz von Google zu brechen.

Die Verantwortlichen von Yahoo haben eine Fusion mit dem ungeliebten Rivalen Microsoft zunächst abgelehnt. Um eine feindliche Übernahme zu verhindern, müssen sie ihren Aktionären jedoch Alternativen bieten. Andere potenzielle Käufer mit genügend Kapital gibt es allerdings wenige. Rupert Murdoch etwa, Besitzer von mehreren Fernsehsendern und von My­space, hat bereits jedes Interesse dementiert. Eine Offerte von Google erübrigt sich, weil ein solcher Zusammenschluss vor den Kartellbehörden keine Chance hätte. Nach Angaben der britischen Zeitung The Times steht noch eine mögliche Fusion mit dem Online-Dienst AOL von Time-Warner zur Debatte. Die Ablehnung von Yahoo verweist außerdem auf einen zu niedriegen Preis und deutet damit weitere Verhandlungsbereitschaft an. Einige Analysen rechnen damit, dass Microsoft nachlegen und sein Angebot auf 57 Milliarden US-Dollar erhöhen könnte.

Wie auch immer die Sache ausgeht, Microsofts Expansionsbestrebungen im Internet weisen darauf hin, dass die Firma sich nicht mehr allein auf ihr derzeitiges Geschäftsmodell verlassen will. Der PC von morgen könnte über ein billiges oder kostenloses Betriebssystem verfügen und den Großteil seiner Aufgaben werbe- oder auch gebührenfinanziert über das Internet abwickeln. Neben den immer wichtigeren Kommunikationsdiensten verbreiten sich Ansätze, auch klassische Anwendungen auf Internet-Basis anzubieten – Google Docs befindet sich hier keineswegs in einer Vorreiterrolle. Derartige Konzepte sind so alt wie Computer-Netzwerke, konnten sich aus praktischen Gründen bislang jedoch nicht etablieren. Die heutige Verbreitung schneller Internetanschlüsse eröffnet aber neue Perspektiven. Neuerungen im Vermarktungsmodell von Software könnten die Folge sein, und diese bedrohen den bisherigen Alleinherrscher von Microsoft.