Den Finger am Abzug

Frankreich war an den Kämpfen im Tschad nicht beteiligt, behauptet die französische Regierung. Doch es gibt Zweifel an der offiziellen Version und an der Neutralität der europäischen Truppe, die derzeit im Land stationiert wird. von bernhard schmid, paris

Fast mochte es so erscheinen, als sei Außenminister Bernard Kouchner selbst erstaunt darüber, dass die französischen Soldaten diesmal nicht offen für ein autokratisches Regime kämpften. »Zum ersten Mal in der französischen Geschichte haben wir in einem afrikanischen Kampf nicht Partei ergriffen«, sagte Kouchner am Dienstag der vergangenen Woche. Allerdings gibt es Zweifel an der offiziellen Version, Frankreich sei am bewaffneten Konflikt im Tschad Anfang Februar nicht beteiligt gewesen.

Kouchners Amtskollege aus dem Verteidigungs­ministerium, Hervé Morin, ließ sich Anfang Fe­bruar auf einer Barrikade in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena fotografieren – umgeben von Sandsäcken und französischen Soldaten, am Boden kauernd mit einem Armeegewehr, den Finger am Abzug. Kurz zuvor hatte er gegenüber der Tageszeitung Le Figaro behauptet, Frankreich könne im Tschad militärisch eingreifen, »sei es aufgrund eines bilateralen Vertrags wie etwa eines Verteidigungsabkommens, sei es aufgrund eines UN-Mandats, um die territoriale Integrität des Landes zu schützen«.

Etwa 3 500 bewaffnete Aufständische hatten am 3. Februar versucht, die Hauptstadt und den Präsidentenpalast einzunehmen. Sie wurden nach schweren Kämpfen wieder vertrieben. Mindestens 160 Menschen, darunter viele Zivilisten, verloren ihr Leben, über 1 000 wurden verletzt. Die Guerilleros behaupteten, dass die französische Luftwaffe in die Kämpfe eingegriffen habe.

Seit 1976 gibt es ein militärisches Koopera­tions­abkommen, das allerdings keine explizite Verpflichtung Frankreichs zur Verteidigung des Tschad enthält wie manche anderen bilateralen Verträge mit früheren französischen Kolonien. Auch ein Mandat der Uno könnte der Minister Her­vé Morin anführen. Am 3. Februar war der UN-Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung über die Lage im Tschad zusammengetreten, hatte sich jedoch zunächst nicht auf eine gemeinsame Position einigen können. Am folgenden Tag wurde eine Resolution angenommen, die auf französisches Drängen hin das tschadische Regime unter Präsident Idriss Déby als »legitime Macht« ex­plizit unterstützt.

Die Resolution enthält keine ausdrückliche Ermächtigung zum Gebrauch militärischer Gewalt, könnte jedoch deren Anwendung rechtfertigen. »Frankreich wird seine Pflicht tun«, tönte Präsident Nicolas Sarkozy kurz nach der Annahme der Resolution. Bernard Kouchner sprach wieder­holt davon, Präsident Idriss Déby sei schließlich »demokratisch gewählt« worden. Internationale Wahlbeobachter sahen das freilich ein wenig anders. Im Gegensatz zu den beiden vorausgehen­den Wahlen unter der Herrschaft Idriss Débys in den Jahren 1996 und 2001 gab es bei den vo­rigen Wahlen im Jahr 2006 zwar drei Gegenkandidaten. Allerdings handelte es sich um ehema­lige Mi­nister oder Mitstreiter des Präsidenten, deren Wahlkampf Déby zum Großteil selbst finan­zierte. An Zaghawa, Angehörige der Bevölkerungs­grup­pe des Präsidenten, wurden den internationalen Beobachtern zufolge zusätzliche Wählerkarten ausgegeben, während die Bevölkerung im Süden des Landes weitgehend vom Wahlprozess ausgeschlossen blieb.

Die offizielle Behauptung, die französische Unter­stützung sei nur politischer Art gewesen, wird nicht nur von den Guerilleros in Frage gestellt. Zwei französische Soldaten wurden während der Gefechte verletzt. Nach Angaben der französischen Regierung diente der Einsatz ihrer Truppe lediglich dem Schutz des Flughafens von N’Dja­mena, um das Ausfliegen der Bürger westlicher Staaten zu ermöglichen. Tatsächlich wurden rund 1 200 Menschen, überwiegend Mitarbeiter transnationaler Firmen, evakuiert, allerdings erhielt Déby über den Flughafen auch militärischen Nach­schub.

Am 8. Februar berichtete die christliche französische Zeitung La Croix, dass französische Soldaten, Offiziere der Abteilung für militärischen Beistand und Instruktion (Dami) und »Elemente des Kommandos für Spezialoperationen (COS)«, aktiv in die Kämpfe eingegriffen hätten. Ferner habe man von Mirage-Kampfflugzeugen und Satelliten gesammelte Daten an die Regierung des Tschad weitergegeben. »Frankreich hat das Regime Idriss Débys gerettet«, resümiert La Croix.

Scheinbar im Widerspruch dazu steht, dass Frankreich zu Anfang der Krise Déby vorschlug, ihn in ein afrikanisches Drittland auszufliegen und so in Sicherheit zu bringen. Dieses Angebot, das schnell publik wurde, könnte allerdings auch ein Bluff gewesen sein, um die Guerilleros in die Hauptstadt zu locken und damit von ihren Basislagern im Hinterland abzuschneiden. Tatsächlich ging ihnen im Laufe der Kämpfe die Munition aus. Dass Déby, der in seinem Palast belagert wurde und dessen Generalstabschef bei den Gefechten fiel, offenbar nur knapp davonkam, spricht allerdings gegen die These, der bewaffneten Opposi­tion sei eine Falle gestellt worden.

Sicher ist, dass ein neuer Freund Frankreichs bei der Stützung des tschadischen Regimes half. Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi gestattete Anfang Februar ausdrücklich französischen Flugzeugen, die im Tschad operieren, im Bedarfs­fall auf dem Territorium seines Landes aufzutanken. Ende vergangener Woche gab die französische Regierung ferner zu, dass die Armee jüngst Munition aus libyschen Beständen transportiert und an die tschadische Armee weitergegeben habe. Mehrere Tonnen Munition standen am 4. Fe­bruar am Flughafen von Tripolis bereit, und die Franzosen warteten nur darauf, dass die von ihrer Regierung eingebrachte Resolution im UN-Sicher­heitsrat angenommen wurde, um die Munition an Déby zu liefern. Es hat sich also trotz aller innenpolitischen Kritik für Präsident Nicolas Sarkozy gelohnt, den libyschen Diktator zu hofieren.

Nicht ganz klar ist hingegen, warum die franzö­sische Staatsmacht ein so großes Interesse am Erhalt des Regimes im Tschad zu haben scheint. Am Erdöl, das dort seit 1999 gefördert wird, kann es nicht liegen, denn die Förderverträge haben sich die US-amerikanischen Konzerne Exxon-Mobil und Chevron sowie das malaysische Unternehmen Petronas aufgeteilt. Die französische Ölfirma Total hatte freilich zuvor ihr Desinteresse bekundet. Größer scheint das strategische Interesse am Tschad zu sein, der in der Mitte der nörd­lichen Hälfte Afrikas als militärische Drehscheibe für den Rest des Kontinents dienen kann. Überdies ist das Land ein nahezu perfektes militärisches Testgelände.

In der Führung der Guerillagruppen, einer Koalition aus drei politisch-militärischen Organisationen, dominieren ehemalige Günstlinge des Regimes von Déby, denen ihr Anteil an den Pfründen nicht groß genug war oder die in Ungnade fielen. Unter ihnen ist Mahamat Nouri, der bereits unter Präsident Hissène Habré wichtige politische und militärische Führungsposten innehatte und dessen Nachfolger Déby bis zum Jahr 2006 diente.

Präsident Idriss Déby stellt den Aufstand als ein vom Sudan unterstütztes islamistisches Kom­plott dar. Tatsächlich erhalten die Guerilleros – wie bereits Déby, als er noch gegen Habré kämpfte – sudanesische Unterstützung, während der Tschad seinerseits Milizen in Darfur unterstützt. Doch die Guerilleros haben wenig Interesse an der islamistischen Ideologie. Der Bürgerkrieg ist ein Machtkampf innerhalb einer schmalen Schicht von Offizieren und Funktionären sowie des Clans Débys. Zu den Guerillaführern zählen auch ein Neffe des Präsidenten, Timan Erdimi, und dessen Zwillingsbruder Tom, der den lukrativen Posten eines Direktors der staatlichen Erdölgesellschaft innehatte. Die beiden hatten sich gegen das Clanoberhaupt Déby gewendet, als dieser seinen Sohn zum Nachfolger zu machen versuchte.

Jenseits der Warlords gibt es allerdings auch eine zivile Opposition. Sie gehört zu den Verlierern der derzeitigen Konfrontation zwischen dem Regime und den bewaffneten Aufständischen. Wäh­rend um N’Djamena gekämpft wurde, ließ die Regierung vier bekannte Führer der demokra­tischen Opposition festnehmen und an unbekanntem Ort inhaftieren: Ibni Oumar Mahamat-Saleh, Lol Mahamat Choua, Wadel Abdelkader Kamougué und Yorongar Ngarléjy.

Auch zahlreiche ihrer Anhänger wurden verhaftet. Von zwei Oppositionsführern, Saleh und Yorongar, fehlte bis Anfang dieser Woche jede Spur. Die französische Regierung begann, das tscha­dische Regime sanft unter Druck zu setzen, und äußerte sich besorgt über den Verbleib der Opponenten. Manche Beobachter fürchten, dass sie ermordet worden seien. Verteidigungsminister Hervé Morin erklärte, er werde sich um ihr Schicksal kümmern, »sobald die Situation es erlaubt«. Worauf der französische Politologe und Afrikanist Jean-François Bayart in einem Gastbeitrag für die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde erwiderte: »Zwei, vier oder acht Tage unter Strom­stößen, unter der Peitsche oder mit verkrümmten Gliedern sind lang.«

Wenigstens den Eindruck zu erwecken, man sorge sich um inhaftierte Oppositionelle, ist für die französische Regierung wohl auch deshalb wichtig, weil andere EU-Staaten ihre Politik misstrauisch beobachten. Sie wollen nicht, dass die europäische Truppe Eufor als schlichte Verstärkung der Opération Epervier (Sperber), der ständig im Tschad stationierten derzeit 1 200 französischen Soldaten, betrachtet wird. Durch die Kämpfe um N’Djamena unterbrochen, wurde Mitte vergangener Woche die Stationierung der Eufor wieder aufgenommen. Die Truppe soll mit knapp 4 000 Mann im Tschad, vor allem in den Grenzgebieten zum Sudan, sowie der Zentralafrikanischen Republik operieren. Ihr offizielles Mandat ist es, die rund 200 000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Darfur auf tschadischem Staatsgebiet zu schützen. Kritiker befürchten jedoch, sie diene vor allem der Stabilisierung des Regimes im Tschad.

Großbritannien und Deutschland machten gegenüber Frankreich ähnliche Vorbehalte geltend und weigerten sich, Soldaten für die Eufor abzustellen. Allerdings tragen sie zu ihrer Finanzierung bei. Das größte Kontingent der Truppe, an der 14 EU-Staaten beteiligt sind, stellt Frankreich mit gut 1 100 Soldaten. Das Oberkommando der Eufor hat bereits bekannt gegeben, dass man sich notfalls, wenn man sich in den komplexen Kon­flikten nicht zurechtfinde, auf die Kenntnisse der Epervier-Streitmacht stützen werde.

Auch Déby scheint von der Eufor eine Stabi­lisie­rung seines Regimes zu erwarten. Er forderte unmittelbar nach dem Ende der Kämpfe, die Sta­tio­nierung der europäischen Truppe solle so schnell wie ­möglich wieder aufgenommen werden. Die Guerillagruppen wiederum forderten von den EU-Staaten, ihre Truppen zurückzuhalten oder abzuziehen. Von einer Neutralität kann wohl kaum noch die Rede sein. Im Chatforum von Le Monde schrieb Bayart: »Die Eufor wird jetzt mit einem Prozess der politischen und mög­licher­wei­se physischen Liquidierung der demokratischen Opposition im Tschad assoziiert.«