Der Horror des Büros

Der britische Komiker und Schöpfer der Erfolgsserie »The Office«, Ricky Gervais, schaffte es mit seinem verstörenden Humor bis nach Hollywood – jetzt will er ein paar seiner Fans loswerden und trotzdem der »King of Comedy« bleiben. Von Sven Sakowitz

Viel mehr geht eigentlich nicht: Im Regal des britischen Komikers Ricky Gervais stehen drei Golden Globes, zwei Emmys sowie dutzen­de von weiteren Auszeichnungen der Unterhaltungsindustrie. Gervais hat einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde für mehr als acht Millionen Downloads des Podcasts »The Ricky Gervais Show«, und zu seiner Stand-Up-Tour »Fame« kamen 2007 in Großbritannien mehr als 500 000 Besucher. Mit einer Krone auf dem Kopf feierte Gervais sich in seinen Shows als »King of Comedy«. Dass er es im Vereinigten Königreich zum Comedy-Herrscher gebracht hat, ist auf den ersten Blick etwas irritierend: In seinen Gags geht es schon mal um Analverkehr mit Affen, den Holocaust und krebskranke Kinder. Das klingt dann zum Beispiel so: »Ich habe verdammt viel Geld für wohl­tätige Zwecke gespendet. Wenn ich mal selber Krebs habe, werde ich ins Krankenhaus gehen und sagen: ›Ich hab’ dieses Gerät bezahlt, nehmt den kleinen glatzköpfigen Arsch da weg!‹« – Gervais brachte diesen Gag auf der Benefiz-Gala einer Krebsstiftung.

Mit Sprüchen dieses Kalibers schaffte es der Arbeitersohn aus Reading bis nach Hollywood – wo er jetzt seine erste Hauptrolle in einem Kino­film spielt. Die Komödie »Ghost Town« startet weltweit im Herbst 2008, und dann dürfte Gervais auch hierzulande einem größeren Publikum bekannt werden. Zusätzlich beginnt er als Regisseur und Hauptdarsteller die Arbeit an sei­nem zweiten US-Film »This Side Of The Truth« und geht mit einem Stand-Up-Programm auf eine USA-Tournee. Für ihn wird es eine Reise durch das Gelobte Land, aus dem alle seine humoristischen Vorbilder kommen – vom »This is Spinal Tap«-Regisseur Rob Reiner über Garry Shandling (»The Larry Sanders Show«) bis zum »Simpsons«-Vater Matt Groening. Heimweh bekommt Gervais vermutlich nicht. »Berühmt zu sein ist das Schlimmste, was dir in England pas­sieren kann«, sagt er. »Kaum sitzt du irgendwo mit Zigarre und Sonnenbrille, spuckt dich ein Lastwagenfahrer an.« Die britische Filmindus­trie schätzt er ohnehin nicht besonders – »Who fucking cares, really?«

In Großbritannien erschuf Gervais als Autor, Re­gisseur und Darsteller zwei der besten Comedy-Serien aller Zeiten. Wenn der Begriff Comedy überhaupt passt. Eigentlich sind es soziologische Meisterwerke. Das erste startete im Juli 2001 auf BBC2 und heißt »The Office«. Darin verabeitete Gervais Erfahrungen aus den sieben schlimmen Jahren, als er in den Neunzigern in einem Großraumbüro arbeitete. Monotonie, Kon­kurrenz, Bürohumor – so radikal und umfassend wie in »The Office« wurde der Horror der Angestelltenarbeit nie zuvor dargestellt.

Im Zentrum der im Doku-Stil gehaltenen ­Serie steht David Brent (Gervais), Manager eines lokalen Papierhandels. Brent hält sich für einen genialen Entertainer und den besten Freund der Belegschaft, ist aber das genaue Gegenteil. Seine Witze sind uralt, schlecht geklaut oder ganz einfach geschmacklos. Immer wieder sorgt der bösartige Boss mit unpassenden Sprüchen und offensichtlichen Lügen für betretenes Schwei­gen im Büro. Für den Fernsehzuschauer sind das quälende Momente der Peinlichkeit. Befreiendes Lachen über diesen Brent setzt bei normal sensiblen Menschen erst spät ein – etwa beim dritten oder vierten Ansehen einer Folge. Dann vereinen sich Schmerz, Scham und Freude zu einem Gefühl, für das es noch keinen Ausdruck gibt. Heimliche Helden der Serie sind die Empfangsfrau Dawn (Lucy Davis) und der Vertriebsmitarbeiter Tim (Martin Freeman), die eine komplizierte Romanze miteinander verbindet. Beide wollten eigentlich etwas anderes aus ihrem Leben machen und ertragen nun resigniert ihre trostlosen Bürojobs. »Comedy-Plus« führt Gervais als Schlagwort ein, wenn er über Tim und Dawn spricht. Es meint: nicht permanent Lachsalven und Juxraketen abfeuern, sondern den Zuschauern in komplexen Handlungs­strängen realistische, widersprüchliche Charaktere zeigen, die sie mögen können. Das geht natürlich nicht, wenn die Figuren zugunsten einer möglichst hohen Pointendichte zu Vollidioten degradiert werden. »Gute Comedy lebt von Empathie«, sagt Gervais.

An diesen Grundsatz hielten er und sein Partner Stephen Merchant sich auch bei der Comedy-Serie »Extras«. Sie startete im Juli 2005 bei BBC2. Gervais spielt den Komparsen Andy Millman, der unbedingt eine kleine Sprechrolle beim Film bekommen will. Nebenbei entwickelt Millman eine TV-Sitcom, die sogar produziert wird. Dafür fügt er sich allen Anweisungen der Sender-Verantwortlichen, ist berühmt, aber unglücklich und auf dem besten Weg, ein Arschloch zu werden. Kritik an der Unterhaltungs­industrie und am Streben nach Prominenz gehen bei »Extras« Hand in Hand. Die aus »The ­Office« bekannten schmerzhaften Momente geraten dabei zur Folter für den Zuschauer. So nutzt Gervais das rassistische Klischee »Alle Schwarzen sehen gleich aus« für eine Szene, in der Mill­mans Freundin Maggie (Ashley Jensen) den vor ihr stehenden Schauspieler Sa­muel L. Jackson konsequent mit dessen Kollegen Laurence Fishburne verwechselt.

Gags wie diese brachten Gervais den Vorwurf ein, er sei ein Reaktionär. Und das seit seinen Auf­tritten in der Channel-4-Sendung »The 11 O’ Clock Show« im Jahr 1999. Damals gab er einen Journalisten, der durstigen Afrikanern empfahl, sie sollten doch näher ans Wasser ziehen. Die Times-Kolumnistin Caitlin Moran klagte über Zynismus und forderte, die Sendung einzustellen.

Weil Gervais regelmäßig unter seinem echten Namen auftritt, können oder wollen einzelne Kritiker nicht zwischen Rolle und Person unterscheiden. Sie verstehen nicht, dass Gervais nicht über so genannte Minderheiten und Tabus herzieht, sondern anhand von drastischen Beispielen über reaktionäre Ansichten und bedenkliche Verhaltensweisen. Gervais erklärt: »Mein Humor ist durch und durch politisch korrekt. Es ist doch klar, dass meine Charaktere satirisch zu verstehen sind. Ich bin ein liberaler, gebildeter Mensch, der gegen Rassismus, Schwu­lenfeindlichkeit und Sexismus eingestellt ist. Ich kann doch nicht jedes Mal ein Schild hochhalten, auf dem ›Satire‹ steht. Glaubt wirklich jemand, ich kann über Hungersnöte lachen?«

Einer, der das glaubt, ist der Live-8-Organisator Richard Curtis. Der beklagte sich 2005 nach Gervais’ Auftritt beim Konzert in London via Sunday Mirror: »Er nutzt die Armut in der Welt für einen Witz. Ich habe keine Ahnung, wer den eingeladen hat.« Gervais hatte auf der Bühne das Konzert mit ernster Miene für beendet erklärt, weil George Bush und Tony Blair eine Vervierfachung der Entwicklungshilfe beschlossen hätten.

Manchmal zweifelt Ricky Gervais an der Wirkung seines Humors. So sagte er kürzlich dem Sunday Herald: »Es versteht bestimmt nicht jeder, worum es mir geht. Vielleicht sollte ich ein paar Fans loswerden.« Es kommen eher noch ein paar dazu, denn die Nachfrage nach seiner Art von Comedy ist zumindest in den USA enorm. »The Office« (in einer adaptierten Version) und »Extras« liefen dort genauso erfolgreich wie die ähnlich angelegte Serie »Curb Your Enthu­siasm« von »Seinfeld«-Erfinder Larry David. Die Medienbranche entwickelte für sie bereits den Genre-Begriff »Awkward TV«. Im Kino ist von diesem Trend bis jetzt noch nicht viel zu spüren. Das zu ändern ist die nächste Amtshandlung von König Ricky. Seine Untertanen wird er sich nicht aussuchen können.