Februar, Prag, Endstation

Im Februar 1948 fand in Prag die Umgestaltung der Regierung statt. Die KP konzentrierte gemeinsam mit der Sowjetunion die Macht auf sich. Die ersten Tendenzen gegen so genannte Westemigranten zeichneten sich ab. Egon Erwin Kisch, der seit 1946 wieder in Prag war, verstarb im März 1948. Von Birgit Schmidt

Als Teile der Roten Armee im Mai 1945 nach Prag kamen und die Stadt befreiten, blickte die tschechische Bevölkerung, sofern sie überlebt hatte, auf sechs Jahre Nazi­okkupation zurück. Für die meisten tschechischen Jüdinnen und Juden galt das nicht: Von den 118 000 Menschen, die am 15. März 1939, also nach dem Einmarsch der Deutschen, im so genannten Protektorat lebten und nach den Nürnberger Gesetzen als Juden galten, sind sehr wahrscheinlich mehr als 78 000 ermordet worden. An der Wand der Pinkassynagoge in Prag sind die Namen von 77 294 Opfern verzeichnet.

Aber auch die nichtjüdischen Tschechen hatten die Deutschen fürchten und hassen gelernt. Bis heute gilt der Massenmord an den Einwohnern der Kleinstadt Lidice, der nach dem Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich am 27. Mai 1942 und dessen Tod im Juni verübt wurde, als Symbol des deutschen Massakers am tschechoslowakischen Widerstand. »Prag ist voll von Freunden, die nicht mehr leben«, musste der Schriftsteller Egon Erwin Kisch bitter konstatieren, nachdem er 1946 aus dem Exil zurück in seine Herkunftsstadt ge­kommen war: »Jede Straßenecke drängt Tränen in die Augen.«

In seiner Autobiografie »Deutsch, Jahrgang 1921« erinnert sich der Zeitzeuge Gustav Just an die Begeisterung, die die sudetendeutsche Bevölkerung ab 1933 für den Turnlehrer Konrad Henlein und den Nationalsozialismus aufgebracht hatte: »›Ein Volk, ein Reich, ein Führer‹ und ›Wir wollen heim ins Reich‹, so skandierten immer offener und lauter die Henlein-Anhän­ger im Sudetengebiet Nord-, West- und Südböhmens, und das war die überwiegende Mehrheit. Die Quittung erhielten wir 1945«, fährt Just fort: »Als die Tschechen die seit Jahrhunderten dort ansässigen Deutschen aus ihrer Heimat vertrieben und dabei höhnisch riefen: ›Ihr wolltet doch heim ins Reich, jetzt könnt ihr heim ins Reich fahren.‹«

Drei Millionen Sudetendeutsche mussten das Land verlassen. Die tschechische Bevölkerung hatte die Nase solchermaßen voll von allem Deut­schen, dass man auch von Kulturschaffenden bzw. Schriftstellern nichts mehr in dieser Sprache hören oder lesen wollte. Zurückkehrende Schriftsteller wie Franz Carl Weiskopf, Louis Fürnberg oder eben Kisch mussten die Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass die deutsche Sprache den Menschen nun als Sprache eines Goebbels oder Heydrich in den Ohren klang und nicht mehr mit einem positiven Kulturbegriff assoziiert wurde. »Man muss die Dinge sehen, wie sie sind.« Das schrieb Weiskopf bekümmert an Egon Erwin Kisch. »Die Möglichkeit, als deutscher Schriftsteller in der Tschechoslowakei zu wirken, ist vorbei.«

Hoffnungsvoll aber waren sie auf der politischen Ebene, wenn auch nur für eine kurze Zeit­spanne. Sowohl Kisch als auch Weiskopf, Fürnberg oder Lenka Reinerova, die noch heute in Prag lebt, waren überzeugte Mitglieder der Kom­munistischen Partei – und die hatte nach dem Zweiten Weltkrieg einen guten Stand. In der Bevölkerung hatte sie eine breite Anhängerschaft rekrutieren können, und von den fünf Parteien, die sich zur Nationalen Front vereinigt hatten und im Mai 1946 zur Wahl stellten, konnte die KP 38 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Von 26 Ministern waren neun Kommunisten. Bald aber kam es in der Regierung zu Unregelmäßigkeiten. Am 20. Februar entließ der – kom­munistische – Innenminister eigenmächtig acht hochrangige Polizeibeamte und ersetzte sie durch Parteimitglieder; daraufhin traten alle anderen Minister zurück. Am 25. Februar gab Ministerpräsident Edvard Benes, der einen Bürgerkrieg fürchtete, den Kommunisten nach und ernannte statt der Zurückgetretenen ausschließlich Parteikommunisten zu Ministern. Im Juni 1948 verzichtete er selbst und machte den Weg frei für den Kommunisten Klement Gottwald. Drei Monate später starb er. Der Außenminister Jan Masaryk fiel am 10. März 1948 unter mysteriösen Umständen aus einem Fenster, die Hintergründe sind bis heute nicht geklärt.

Dass die kommunistische Machtergreifung ins­besondere für Kommunisten kein reiner Grund zur Freude war, zeichnete sich jedoch bald ab. Den Tod von Egon Erwin Kisch am 31. März 1948, also ziemlich genau vor 60 Jahren, bezeich­nete der tschechische Germanist Eduard Goldstücker als Glück. Im Nachhinein hatte Goldstücker klar werden müssen, dass das Interesse der stark von der UdSSR kontrollierten Partei nun dahin ging, sich diejenigen vom Hals zu schaffen, die in westlichen Ländern exiliert gewesen waren, die sich in mehreren Sprachen Informationen beschaffen konnten, die gelernt hatten zu diskutieren. Bald gerieten die so genannten Kosmopoliten ins Visier von Partei und Politischer Polizei. Und wie immer in der Geschichte des nationalen Kommunismus waren mit dem Wort Kosmopoliten auch, wenn nicht sogar in erster Linie, die Juden gemeint.

Wie Goldstücker. Der Mann, der zwischen 1948 und 1951 der erste Botschafter der Tschechoslowakei in Israel gewesen war, wurde im Zusam­menhang mit dem so genannten Slánský-Prozess im Jahr 1952 zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt; erst 1955 konnte er das Gefängnis wieder verlassen. Der stellvertretende Ministerpräsident Rudolf Slánský und die meisten seiner Mitangeklagten, von denen die Mehrheit Juden waren, wurden gehängt.

Das also meinte Goldstücker mit »Glück«, als er sich auf den frühen Tod des bereits damals weltberühmten Schriftstellers und Journalisten Egon Erwin Kisch bezog. »Denn wenn jemand wirklich ein ›Globetrotter‹ war«, schrieb er über ihn, »so der Egon Erwin aus der Prager Melantrichgasse. Als Altkommunist, Deutschböhme, Jude und Weltenbummler typisch westlichen Zuschnitts verkörperte er alle nur möglichen Verdachtsmomente.«

Verdachtsmomente, um der stalinschen Verfolgungswelle zum Opfer zu fallen, die während der Jahre 1949 bis 1952/53 in allen Staaten des sowjetischen Einflussbereichs durchgesetzt wurde und in erster Linie Kommunisten und So­zial­demokraten traf. Und Juden. Die Grundlage dafür wurde in der Tschechoslowakei im Februar 1948 geschaffen.